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Riester- und Rürup-Rente Gesucht wird… der Mathelehrer von Andrea Nahles

DER-FONDS-Kolumnist Markus Stillger
DER-FONDS-Kolumnist Markus Stillger
„Immer wieder kommt diese saudumme Debatte, die Millionen Menschen verunsichert.“ Mit diesen Worten kommentierte der ehemalige Arbeitsminister Walter Riester vor einigen Tagen ausgerechnet im Bayerischen Rundfunk die Kritik des bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer an der nach ihm benannten Privatvorsorge. Seehofer hatte zuvor in einem Interview das niedrige Renten-Niveau in Deutschland beklagt und die als Ersatz beziehungsweise Ergänzung konzipierte Riester-Rente für gescheitert erklärt.

Meine Meinung hierzu: Horst Seehofer hat Recht! Und gleichzeitig richte ich an Walter Riester den Hinweis, dass ich seine Lebensleistung absolut respektiere. Als gelernter Fliesenleger hat es der Schwabe über eine führende Funktion in der IG Metall bis ins Kabinett der damaligen rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder geschafft, in der er von 1998 bis 2002 das Amt des Arbeits- und Sozialministers bekleidete. Aber wenn es etwas in seinem Leben gibt, auf das er nicht stolz sein sollte, dann ist es die Patenschaft, mit der er seinen Namen für einen der größten Rohrkrepierer der bundesdeutschen Finanzwirtschaft hergab.

In diesem Zusammenhang kann er übrigens dem ehemaligen Mitglied des Sachverständigenrats und Wirtschaftsweisen Bert Rürup die Hand geben. Wobei sich der Namensgeber der vor allem an die Zielgruppe der Besserverdienenden gerichteten Rürup-Rente sogar völlig ungeniert vor den Karren einer der Haupt-Vertriebstruppen dieses genauso überflüssigen Produkts spannen ließ.

Beide Instrumente – sowohl Riester- als auch Rürup-Rente – zeichnen sich vor allem durch eine sehr provisionsträchtige Struktur aus. Grundsätzlich und nicht nur in Zeiten der aktuellen Niedrigzinsphase ist es für einen Anleger wichtig, bei einer Geldanlage neben der bekannten Matrix Liquidität-Ertrag-Sicherheit auch auf die Kosten einer Anlage zu achten. Hier hat sich die Riester-Rente völlig zu Recht die schulmeisterliche Bemerkung „Sechs, setzen!“ verdient – nicht zuletzt deshalb, weil die geistigen Väter dieser Anlageform nicht in der Regierung Schröder saßen, sondern aus der Finanzindustrie kamen.

Wer sich hier für Hintergründe interessiert, dem sei die Lektüre des Buches Geld, Macht, Politik der beiden Investigativ-Reporter Wigbert Löer und Oliver Schröm empfohlen. Ich interpretiere die dort beschriebenen Zusammenhänge jedenfalls so, dass sich die Politik hat kaufen lassen. Im Angesicht des schleichenden Sterbens des Produkts Lebensversicherung wurde mit der Riester-Rente eine neue Plattform geschaffen, mit der das Überleben von zehntausenden Finanzvermittlern gesichert werden sollte.

Aber selbst die meisten Vermittler sind mit der Komplexität der Riester-Rente überfordert. Zunächst ist da festzustellen, dass es sich um einen Sparvertrag in Form einer Einzahlung in eine Versicherung oder einen Investmentfonds handelt. Grundsätzlich ist das nichts Schlechtes. Aber beim Riester-Modell besteht keine Chance, vor dem 65. Lebensjahr an den Kapitalstock zu gelangen, und auch dann gibt es eine Rückzahlung nur in Form einer lebenslangen Rente.

Zum Zeitpunkt der Rentenzahlung wird sich das Verhältnis des Kunden zu seinem Berater in der Regel in Luft aufgelöst haben. Deshalb bleibt die Beschwerde „Das hat mir aber keiner gesagt, das von der Rente nur 60 Prozent netto bei mir ankommen!“ leider ohne Adressat. Und mit der nachgelagerten Besteuerung ist auch der Steuervorteil, der beim Verkauf des Produkts gerne in den Vordergrund gestellt wird, schnell wieder aufgezehrt.

Die einzige Personengruppe, bei der Riestern sich wirklich lohnt, sind nach derzeitigem Stand einkommensschwache, kinderreiche Familien. Aber auch bei denen sind vor dem Schlussgebet zwei Fürbitten zu erfüllen. Punkt eins: Die Zulagenanträge für die Förderung müssen gestellt werden. Nach Angaben einer Studie der Universität Freiburg (Vorsorgeatlas Deutschland) vergisst jeder vierte Riester-Sparer in Deutschland die entsprechenden Zulagenanträge zu stellen. Und Punkt zwei: Riester-Guthaben wird auf die Grundsicherung angerechnet, sodass gerade einkommensschwache Zielgruppen hier am Ende völlig leer ausgehen.

Definitiv nicht leer geht bei dieser ganzen Nummer die Finanzindustrie aus. Ein Riester-Vertrag gilt dank der dort angewendeten Provisions-Zillmerung als extrem margenstarkes Produkt. Nicht selten stecken da für 100 Euro Monatsprämie bis zu 3.000 Euro Provisionsverdienst für den Verkäufer drin. Wenn da der nebenberufliche Strukki mit dem letzten Tropfen Benzin beim Kunden vorfährt, ist die vielgelobte Riester-Rente dann oftmals die letzte Rettung. Allerdings nicht für den Anleger.

Für mich gehören gezillmerte Produkte verboten – auch und gerade mit Blick auf den aktuellen Niedrigzins. Die oft gescholtene Qualität der Beratung würde sich deutlich verbessern, weil die „Immer-den-Tank-leer“-Fraktion sich neue Beschäftigungsfelder suchen müsste. Man muss sich das mal vorstellen: Bei 1,0 Prozent Zins pro Jahr und 100 Euro Monatsbeitrag dauert es 22 Jahre, bis ich einen gesamten Zinsertrag von 3.000 Euro erwirtschaftet habe.

Wenn ich dann Aussagen der derzeitigen Arbeitsministerin Andrea Nahles in einem Interview der Bild am Sonntag höre („Der Staat garantiert, dass alle Riester-Inhaber ihr Geld ausgezahlt bekommen" und „Wer eine Riester-Rente abgeschlossen hat, hat alles richtig gemacht") frage ich mich allen Ernstes, welche Berater von Frau Nahles solche Aussagen für die Presse freigeben.

Die auf einer ganz simplen Bierdeckel-Rechnung basierende Forderung von Finanzminister Wolfgang Schäuble, das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre zu erhöhen, bezeichnet sie im gleichen Interview als lebensfremd. Lebt der Mathematiklehrer unserer Arbeitsministerin noch? Falls ja, bitte melden Sie sich, da müssen noch ein paar Unterrichtsstunden nachgeholt werden! Und alle, die in der Schule aufgepasst haben, wissen, dass es zu einem stinknormalen Sparplan – am besten mit einer Rabattierung des Agios – in einen breit gestreuten soliden Aktienfonds keine Alternative gibt. Schon gar nicht durch Riester und Rürup.

Über den Autor: Markus Stillger ist Gründer und Inhaber der Stillger & Stahl Vermögensberatung und der MB Fund Advisory aus Limburg an der Lahn. Für DER FONDS kommentiert er an dieser Stelle ab sofort jeden Monat aktuelle Trends an den Kapitalmärkten und stellt ihnen seine eigene Weltsicht entgegen.

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