Stell dir vor, du möchtest einem Freund in Japan Geld senden. Du besitzt Euro, mit denen dein Freund jedoch wenig anfangen kann – er würde das Geschenk lieber in Yen oder vielleicht sogar in einer Kryptowährung wie Bitcoin erhalten. Mit herkömmlichen Systemen müsstest du umständlich Währungen tauschen und dafür hohe Gebühren zahlen. In der Welt von Ripple könntest du stattdessen einfach erklären: „Ich habe Euro, und mein Freund möchte Yen oder Bitcoin.“ Ripple sucht dann nach der besten Kombination von Teilnehmern im Netzwerk, um diesen Tausch zu ermöglichen. Dabei könnte dein Euro in Yen umgetauscht werden, während ein anderer Teilnehmer gleichzeitig Euro in Bitcoin konvertiert – alles innerhalb von Sekunden und zu minimalen Kosten.
Das 2012 vom gleichnamigen Entwicklerhaus Ripple Labs ins Leben gerufene digitale Zahlungsprotokoll Ripple unterschiedet sich in mehreren Aspekten von anderen verbreiteten Krypto-Projekten. So nutzt Ripple nach strengem Verständnis keine Blockchain zur Organisation von Transaktionen, sondern baut auf einem System aus Bestätigungen über unabhängige Server auf. Der eigene Krypto-Token XRP wird nicht – wie etwa bei Bitcoin – durch die Arbeit von Minern neu geschürft, sondern in strukturierter Weise von Ripple zum Handel freigegeben. Dennoch handelt es sich bei Ripple um ein höchst spannendes Krypto-Projekt, das heute bereits praktische Anwendung in der traditionellen Finanzwelt findet – vor allem für internationale Zahlungen.
Eine Art „Krypto-Swift“? – Ripple im internationalen Zahlungsverkehr
Nach Marktkapitalisierung ist Ripples Krypto-Asset XRP das achtgrößte der Welt. Mit einem Alter von zwölf Jahren zählt das Krypto-Projekt zugleich eher zu den Pionieren der Branche und wurde noch vor Ethereum ins Leben gerufen. Anders als Bitcoin, das heute eine Form des digitalen Wertspeichers darstellt, und Ethereum, das die grundlegende Infrastruktur für die Welt des digitalen Finanzwesens darstellt, bietet sich Ripple als fortschrittliche Lösung für klassische Finanzinstitute an. In dieser Hinsicht ist das Projekt ein positives Beispiel der Krypto-Adoption in der Realwirtschaft: Heute existieren Partnerschaften mit angeblich über 100 Finanzinstituten, die die Nutzung von XRP entweder planen oder die Währung bereits anwenden – vor allem für grenzüberschreitende Transaktionen.
Denn während internationale Zahlungen über das von Finanzinstituten genutzte Swift-Netzwerk Tage dauern können und oft mit hohen Gebühren verbunden sind, kann das Ripple-Netz diese Prozesse beschleunigen und kostengünstiger machen. Kein Wunder, denn die Transaktionsrate im Netzwerk beträgt bis zu 1.500 Transaktionen pro Sekunde und die Transaktionskosten liegen bei nur 0,00001 XRP – weniger als ein Tausendstel eines Eurocents.
Der XRP-Token dient dabei als Brückenwährung. Wenn Banken oder Zahlungsdienstleister verschiedene Währungen transferieren, kann XRP als Liquiditätsquelle und Zwischenwährung genutzt werden. Dies ermöglicht es, verschiedene Währungen in Echtzeit zu tauschen, ohne dass mehrere Konten in verschiedenen Währungen gehalten werden müssen. Durch die Verwendung von kryptografischen Verfahren und XRP als Kryptowährung vertraut Ripple auf Krypto-Technologie, ohne eine klassische Blockchain zu nutzen.
Ein Projekt zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung
Als Krypto-Projekt steht Ripple in einem Spannungsfeld zwischen einem zentralisierten und dezentralisierten Aufbau. Im Vergleich zu traditionellen Banknetzwerken ist Ripple dezentraler, da weltweit unabhängige Validatoren zur Bestätigung von Transaktionen aktiv sind. Allerdings wird es oft als zentralisierter betrachtet als typische Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum, da das Mutterunternehmen Ripple Labs eine erhebliche Kontrolle ausübt, insbesondere durch die Verwaltung der „Unique Node List“ (UNL), mit der Ripple Labs Einfluss auf die Bestätigung von Transaktionen hält, und durch den Ausgabemechanismus der Währung XRP. Denn diese wird nicht nur von Ripple Labs ausgegeben, das Unternehmen selbst ist daneben auch Inhaber einer beträchtlichen Anzahl seiner Token. Diese Dualität macht Ripple zu einem hybriden System: Es bietet die Effizienz und Governance eines zentralisierten Netzwerks, während es dennoch einige dezentrale Elemente beibehält.
Rechtliche Herausforderungen und Zukunftsperspektiven für Ripple
Trotz dieser Vorteile hat Ripple noch keine weitläufige Adoption für den globalen Transaktionsverkehr gefunden. Einer der Gründe dafür sind sicherlich auch regulatorische Hürden – so auch das Ende 2020 begonnene Gerichtsverfahren der US-Börsenaufsicht SEC gegen Ripple Labs. In diesem konfrontierte die SEC das Unternehmen mit einer Anschuldigung, die die Behörde schon mehrmals gegen unterschiedliche Akteure der Branche gerichtet hat: Kryptowährungen seien Wertpapiere (securities) und keine Rohstoffe (commodities). Denn die SEC beschuldigte Ripple Labs, mit der Ausgabe von XRP einen nicht genehmigten Verkauf von Wertpapieren betrieben zu haben.
Der sich schlussendlich über vier Jahre hinziehende Gerichtsprozess wird von vielen Beobachtern als „worst case“ eines regulatorischen Streits für ein Krypto-Projekt gesehen: Denn trotz einiger Teilerfolge – im Juli 2023 urteilte die zuständige Richterin beispielsweise, dass an Privatanleger verkaufte XRP keine Wertpapiere seien – erfuhr Ripple über Jahre wesentliche Wettbewerbsnachteile, etwa als einige der größten Kryptobörsen den Handel mit XRP einstellten.
Im August 2024 fand der Prozess ein Ende, als das Gericht Ripple zu einer Strafzahlung von 125 Millionen US-Dollar für den Verkauf von Wertpapieren verurteilte – weit unter der ursprünglichen Forderung von 2 Milliarden US-Dollar, aber zugleich auch höher als die von Ripple vorgeschlagenen 10 Millionen. Denn während Privatverkäufe von XRP nach der Ansicht des Gerichts keine Wertpapierverkäufe darstellen, gelte das für institutionelle Verkäufe nicht. Eine erfolgreiche Zukunft des Projekts scheint nach dem Urteil wieder möglich.
Über den Autor
Adrian Fritz verantwortet als Head of Research die Forschungsabteilung von 21.co. Das Unternehmen ist die Muttergesellschaft von 21 Shares, einem Emittenten von Krypto-ETPs.