DIW-Ökonomin Claudia Kemfert
Risiken der Atomkraft
Leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin): Claudia Kemfert Foto: DIW Berlin
Seit Kernkraft kommerziell genutzt wird, kommt es immer wieder zu größeren Unfällen in Kraftwerken. Claudia Kemfert und Christian von Hirschhausen vom DIW Berlin zeichnen mit Ben Wealer, Fabian Präger und Björn Steigerwald von der Technischen Universität Berlin die Vorfälle der Nachkriegszeit nach.
Sowohl die technische als auch die sozioökonomische Bewertung von Unfällen bleibt bis heute kontrovers, es gibt keine einheitliche Bewertungsskala für Kernenergie-Unfälle. Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) bewertet Ereignisse anhand der INES-Skala (International Nuclear Event Scale), die von null bis sieben reicht21. Die von den Internationalen Atomenergiebehörden entwickelte Skala wird nicht nur von Umweltverbänden, sondern auch von der Atomindustrie selbst kritisiert22. Eine statistische Untersuchung der Daten über nukleare Vorfälle und Unfälle hat ergeben, dass die INES-Skala inkonsistent ist und die von der IAEO gelieferten Scores unvollständig sind23.
Nach...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Sowohl die technische als auch die sozioökonomische Bewertung von Unfällen bleibt bis heute kontrovers, es gibt keine einheitliche Bewertungsskala für Kernenergie-Unfälle. Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) bewertet Ereignisse anhand der INES-Skala (International Nuclear Event Scale), die von null bis sieben reicht21. Die von den Internationalen Atomenergiebehörden entwickelte Skala wird nicht nur von Umweltverbänden, sondern auch von der Atomindustrie selbst kritisiert22. Eine statistische Untersuchung der Daten über nukleare Vorfälle und Unfälle hat ergeben, dass die INES-Skala inkonsistent ist und die von der IAEO gelieferten Scores unvollständig sind23.
Nach dem Unfall in Fukushima wurde der IAEO, die in ihren Statuten die Förderung der Nutzung der Kernkraft als Aufgabe hat, vorgeworfen, ihr würde die nötige Unparteilichkeit fehlen, Unfälle klar einzuordnen24. Eine mögliche Lösung wäre der kontinuierlichen NAMS-Ansatz (Nuclear Accident Magnitude Scale of Radiation Release), der auf die freigesetzte Radioaktivität selbst abzielt und nach oben hin offen ist 25. Auch eine ökonomische Skala anhand monetärer Bewertungen ist möglich, aber aufgrund unterschiedlicher Monetarisierungsansätze schwer zu vergleichen26.
In einer statistischen Analyse von 216 kerntechnischen Zwischenfällen wurde festgestellt, dass diese zwar durchschnittlich seit den 1970er Jahren rückläufig sind. Jedoch gibt es in jeder Periode schwere Unfälle und kleinere Zwischenfälle mit Schäden von 20 Millionen Dollar, deren Erwartungswert (Eintreten) von Jahr zu Jahr steigt. Statistisch gesehen kommt es demnach mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit alle 60 bis 150 Jahre zu einem Zwischenfall mit Ausmaßen vom Fukushima-Unglück. Ein Vorfall wie im US-Kernkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg tritt alle zehn bis 20 Jahre auf27.
21 INES-Skalen: Stufe 0 „keine oder sehr geringe sicherheitstechnische Bedeutung“, Stufe 1 „Störung“, Stufe 2 „Störfall“, Stufe 3 „Ernster Störfall“, Stufe 4 „Unfall mit örtlich begrenzten Auswirkungen“, Stufe 5 „Unfall mit weitergehenden Auswirkungen“, Stufe 6 „Schwerer Unfall“ und Stufe 7, einem „katastrophalen Unfall“. Siehe RS Handbuch, S. 4.
22 Vergleiche Declan Butler (2011): Nuclear Safety Chief Calls for Reform.” Nature 472 (7343), 274 (online verfügbar)
23 So hatten nur 50 Prozent der Ereignisse in der Datenbank INES-Scores. Außerdem schlussfolgerten die Autoren, dass die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima zwischen einem INES-Level von 10 und 11 liegen und nicht durch die maximale Stufe von 7 gedeckelt werden sollte. Siehe auch Spencer Wheatley, Benjamin Sovacool und Didier Sornette (2017): Of Disasters and Dragon Kings: A Statistical Analysis of Nuclear Power Incidents and Accidents. Risk Analysis 37 (1), 99–115.
24 Vergleiche David Smythe (2011): An Objective Nuclear Accident Magnitude Scale for Quantification of Severe and Catastrophic Events. Physics Today.
25 Vergleiche Smythe (2011), a.a.O.
26 Vergleiche Hans Jürgen Ewers und Klaus Rennings (1992): Abschätzung der monetären Schäden durch einen sogenannten Super-Gau. Basel. Wheatley etal. , a.a.O.; sowie Rainer Friedrich und Alfred Voss (1993): External Costs of Electricity Generation. Energy Policy21 (2), 114–122.
27 Siehe auch Thomas Rose und Trevor Sweeting (2016): How safe is nuclear power? A statistical study suggests less than expected. Bulletin of the Atomic Scientists 72 (2), 112–115; für eine ähnliche Studie.
Über die Autoren