DIW-Ökonomin Claudia Kemfert
Risiken der Atomkraft
Leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin): Claudia Kemfert Foto: DIW Berlin
Seit Kernkraft kommerziell genutzt wird, kommt es immer wieder zu größeren Unfällen in Kraftwerken. Claudia Kemfert und Christian von Hirschhausen vom DIW Berlin zeichnen mit Ben Wealer, Fabian Präger und Björn Steigerwald von der Technischen Universität Berlin die Vorfälle der Nachkriegszeit nach.
Ungeachtet der Zwischenfälle ist Kernkraft aber auch im Normalbetrieb störanfällig und weist daher niedrige Kapazitätsauslastungen auf. Der aggregierte Auslastungsfaktor28 aller Kernkraftwerke seit den 1970er Jahren liegt bei 66 Prozent, das heißt, über ein Drittel der Kapazität wurde nicht zur Stromerzeugung eingesetzt, was überwiegend mit langen Betriebsunterbrechungen zu tun hat29. Die aggregierte Kapazitätsauslastung (Abbildung 4) zeigt, dass in der ersten Dekade der kommerziellen Kernenergienutzung in den 1970er Jahren die Auslastung im Mittel bei nur rund 50 Prozent lag. Danach stieg sie kontinuierlich an. Jedoch lagen die Höchstwerte der Kapazitätsauslastung selbst...
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Ungeachtet der Zwischenfälle ist Kernkraft aber auch im Normalbetrieb störanfällig und weist daher niedrige Kapazitätsauslastungen auf. Der aggregierte Auslastungsfaktor28 aller Kernkraftwerke seit den 1970er Jahren liegt bei 66 Prozent, das heißt, über ein Drittel der Kapazität wurde nicht zur Stromerzeugung eingesetzt, was überwiegend mit langen Betriebsunterbrechungen zu tun hat29. Die aggregierte Kapazitätsauslastung (Abbildung 4) zeigt, dass in der ersten Dekade der kommerziellen Kernenergienutzung in den 1970er Jahren die Auslastung im Mittel bei nur rund 50 Prozent lag. Danach stieg sie kontinuierlich an. Jedoch lagen die Höchstwerte der Kapazitätsauslastung selbst in den 2000er Jahren nur bei 80 Prozent, das heißt ein Fünftel der Kapazitäten konnte nicht genutzt werden. Seit den 2000er Jahren bis zum Fukushima-Unglück betrug die Auslastung circa 80 Prozent und fiel danach seit 2012 wieder ab (Abbildung 4).
Vielfältige Gründe für Ausfallzeiten
Die IAEO führt eine sehr detaillierte Statistik über alle kommerziell genutzten Kernreaktoren weltweit und deren Ausfallzeiten (outages). Dabei handelt es sich um Situationen, in denen die tatsächliche Ausgangsleistung eines Reaktorblocks über einen bestimmten Zeitraum hinweg niedriger ist als die Referenzleistung30. Dabei werden drei Kategorien von Ausfallzeiten unterschieden: Erstens: geplanter Ausfall aufgrund von Ursachen, die unter der Kontrolle der Betriebsleitung stehen.
Zweitens: ungeplanter Ausfall aufgrund von Ursachen, die unter der Kontrolle der Betriebsleitung stehen. Drittens: Ausfall aufgrund von Ursachen außerhalb des Einflussbereichs der Betriebsleitung (sogenannte „externe“ Ereignisse). Geplante Ausfallzeiten beinhalten den regelmäßig notwendigen Brennstoffwechsel, sowie andere Zeiten, die nicht direkt mit einem Brennstoffwechsel zusammenhängen. Die ungeplanten Ausfälle resultieren vor allem aus technischen Problemen, Testphasen sowie Faktoren im Zusammenhang mit Bedienpersonal (human factor related). Die extern motivierten Ausfallzeiten fallen überwiegend in die Kategorie „andere“ (other). Sie werden nicht näher definiert31.
Hohe Ausfallraten in französischen Kernkraftwerken
Eine Betrachtung der Entwicklungen in Frankreich ist aufgrund des hohen Anteils der Kernenergie in dem Land sowie der hohen Anzahl an Reaktoren interessant. Frankreich ist mit über 50 laufenden Kernreaktoren und einem Anteil an der Stromproduktion von gut 70 Prozent nach den USA der weltweit zweitgrößte Produzent von Elektrizität aus Kernenergie. Jedoch ist der französischen Kernkraftwerkswirtschaft trotz unterschiedlicher Versuche der Standardisierung vom Reaktorbau und Nutzung von Lerneffekten kein wirtschaftlicher Durchbruch gelungen.
28 Quotient aus Stromerzeugung aus Kernenergie und Referenzleistung der Anlage multipliziert mit 8.760 Stunden.
29 Eigene Berechnungen auf Basis der IAEO PRIS Datenbank (online verfügbar).
30 Nach dieser Definition umfassen Ausfallzeiten sowohl die Leistungsreduzierung als auch die Abschaltung eines Reaktors. Die Ausfallzeit wird als signifikant angesehen, wenn der Verlust an Energieerzeugung äquivalent mit mindestens zehn Stunden Dauerbetrieb mit Referenzleistung entspricht. Siehe IAEA (2020): Operating Experience with Nuclear Power Stations in Member States. Wien.
31 Vergleiche zur technischen Standards zur Analyse von Zuverlässigkeit Roy Billinton und Ronald N. Allan (1996): Reliability Evaluation of Power Systems. 2nd ed. New York: Plenum Press.
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