Robert Greil, Chefstratege von Merck Finck Privatbankiers
Die neue Weltordnung 2.0

Robert Greil ist Chefstratege bei Merck Finck Privatbankiers. Foto: Merck Finck Privatbankiers
Amerika zieht sich zurück, Europa altert und China und Indien nutzen weiter die Gelegenheit, ihre wirtschaftliche Macht zu erweitern und größeren geopolitischen Einfluss auszuüben. Wie die neue Weltordnung 2.0 aussieht und welche Folgen sich für Märkte ergeben.
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt Unternehmen, Kapitalmärkte, Gesetzgeber. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die Analysen und Thesen der bedeutendsten Nachhaltigkeitsexperten, Top-Ökonomen und Großinvestoren – gebündelt und übersichtlich. Sie sollen dir die wichtigen Entwicklungen auf dem Weg zur nachhaltigen Gesellschaft und Finanzwelt clever und zuweilen kontrovers aufzeigen.
Da diese Artikel nur für Finanzprofis gedacht sind, bitten wir dich, dich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
I
m Januar 1991, kurz nach der deutschen Wiedervereinigung und weniger als ein Jahr vor dem Zerfall der Sowjetunion, erklärte der damalige US-Präsident George H. W. Bush die Geburt einer „neuen Weltordnung“. In einer Rede vor dem US-Kongress wenige Tage nach dem Beginn des ersten Golfkriegs charakterisierte er diese neue Weltordnung als eine, in der „unterschiedliche Nationen zusammenrücken im gemeinsamen Ziel, die großen Hoffnungen der Menschheit zu erreichen: Frieden und Sicherheit, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“.
Heute ist an die Stelle von Bushs Vision eine vollkommen andere Sicht von globaler Hegemonie getreten, in der etablierte internationale Normen und Institutionen bei der Verfolgung nationaler Eigeninteressen und binnenwirtschaftlicher Profite zunehmend ignoriert werden. Während Bush damit prahlte, dass Amerika „zweihundert Jahre lang harte Arbeit für die Freiheit geleistet“ habe, betrachtet der 45. US-Präsident Donald Trump eine solche Führerschaft als Belastung und Multilateralismus als Augenwischerei. Tatsächlich hat Trump die heutige neue Weltordnung präzise in nur zwei Wörtern zusammengefasst: „America First.“
Eine Geopolitik dieser Prägung kann als direkte Reaktion auf die Globalisierung gesehen werden, da Populisten wie Trump die Ressentiments derjenigen ausnutzen, die sich zurückgelassen fühlen. In vielen Ländern haben die demografischen Trends solche Ungleichgewichte verschärft.
Neue Weltordnung im doppelten Sinn
Nehmen wir beispielsweise Westeuropa und Japan, wo die alternde Bevölkerung zu immer weniger arbeitenden Menschen führt. Im Vergleich dazu profitieren die Schwellenmärkte von einer demografischen Dividende und klettern, insbesondere in Asien, auf der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette weiter nach oben, unter anderem durch Investitionen in die Digitalisierung. Während weite Teile Lateinamerikas und Afrikas gleichermaßen von der Globalisierung profitieren, haben sie größtenteils noch einen weiten Weg in Richtung wirtschaftlicher Liberalisierung und technischer Innovation vor sich. Auch aus diesen Gründen wird China die USA bis spätestens 2030 als größte Volkswirtschaft der Welt überholen.
Es hat zunehmend den Anschein, als würde China zum Deutschland des Fernen Ostens: ein Wirtschaftsriese, der eine massive Binnennachfrage befriedigt und zugleich ein Knotenpunkt für den Export von Waren und Dienstleistungen mit hohem Mehrwert ist. Unterdessen haben sich einige asiatische Volkswirtschaften zu führenden Anbietern von Nahrungsmitteln und anderen standardisierten Gütern zur Deckung der chinesischen Nachfrage entwickelt.
Bis China zur weltgrößten Volkswirtschaft wird, wird Indien zur bevölkerungsreichsten Nation der Erde geworden sein. Das Reformtempo in Indien ist beeindruckend und unterstützt ein anhaltendes Wirtschaftswachstum, das im ersten Quartal dieses Jahres 7,7 Prozent betrug. In Indien, das bereits ein globales Fintech-Zentrum ist, wurden allein im vergangenen Jahr mehr als 1.000 neue Technologie-Start-up-Unternehmen gegründet – womit das Land in Sachen neu gestarteter Ökosysteme hinter den USA und Großbritannien bereits auf Platz 3 rangiert.
Unter der heute damit im doppelten Sinn neuen Weltordnung, in der sich Amerika zurückzieht und Europa altert, werden China und Indien weiter die Gelegenheit nutzen, ihre wirtschaftliche Macht zu erweitern und größeren geopolitischen Einfluss auszuüben.
- Seite 1 − Globale Hegemonie
- Seite 2 − Europa am Scheideweg
Über den Autor
