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Aktualisiert am 09.08.2022 - 10:54 Uhrin EurozoneLesedauer: 6 Minuten

Robert Halver zum allgemeinen Preisanstieg Die Sache mit der Inflationsbekämpfung

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Auf die theoretische Möglichkeit eines nachhaltigen Inflationsrückgangs, indem sich in Russland (energie-)politisch die Dinge zum Besseren wenden, können wir praktisch verzichten. Aus dem russischen Staatspräsidenten wird kein Friedensengel mehr. 

Theoretisch könnten Notenbanken der Inflation das Genick brechen, indem sie das viel zu viel vorhandene Geld absaugen, konkret ihre massiv angekauften Anleihen wieder massiv verkaufen und markante Leitzinserhöhungen durchführen. So machte es die Fed unter Paul Volcker nach dem zweiten Ölpreis-Schock in den 80er Jahren: Der Leitzins wurde auf 20 und die Rendite von zehnjährigen US-Staatsanleihen bis auf 16 Prozent getrieben. Auch die Bundesbank betrieb damals eine rigorose Preisstabilität. Der Preis war eine harte Rezession.

Die Zinswende im Euro-Raum droht zu enden, bevor sie beginnt

An diese geldpolitische Unerbittlichkeit traut sich heute keiner mehr ran. Denn während zum Beispiel damals die Verschuldung der USA lediglich ca. 30 Prozent der Wirtschaftsleistung betrug und Vater Staat also noch Ausgleichspotenziale hatte, ist sie mittlerweile deutlich über 100 gestiegen. In einigen Euro-Staaten sieht es noch weit schlimmer aus. Knallharte Inflationsbekämpfung wird daher gemieden, um den aus dem letzten Loch pfeifenden Staat nicht dramatisch überzubeanspruchen, wirtschaftliche Einbrüche und Zahlungsausfälle oder gar eine finale Systemkrise zu riskieren. Wirtschaftskrisen waren am Ende auch immer Demokratiekrisen.

Und was folgt also aus Madame Lagardes Inflations-Realitäts-Check? Gibt es zumindest eine restriktive Geldpolitik wie bei der Fed? Die Devisenmärkte beantworten diese Frage klar mit einem Euro-US-Dollar-Kurs auf 20-Jahrestief. Angesichts der Rezessionsgefahr und der Strukturdefizite ist zu vermuten, dass aus der Leitzinswende das -wendchen wird.

 

Offensichtlich will die EZB rezessive Einbußen weiter durch angenehm günstige staatliche Schuldenaufnahme ausgleichen. Damit gelangt noch mehr Geld in die Wirtschaft, die über steigende Nachfrage die Inflation noch mehr anfacht. Diese wiederum sorgt für noch mehr Inflation, die noch mehr Kaufkraftverlust und Unternehmenspleiten verursacht, die dann durch die Blutsbrüder Finanz- und Geldpolitik noch mehr aufgefangen werden. 

„Macht kaputt, was euch kaputt macht.“

Um der Schulden und der von ihr angeheizten Inflation Herr zu werden, scheut so mancher unorthodoxe (Geld-)Politiker auch vor Schuldenstreichung nicht zurück. Die internationalen Gläubiger wären wohl kaum begeistert. Was in einem kleineren Land wie Griechenland mit allen Tricks noch halbwegs möglich war, würde bei großen Ländern wie Italien auch dem gemeinsamen Währungsraum jede finanz- und wirtschaftspolitische Glaubwürdigkeit nehmen. Der Euro würde zur neuen Schwachwährung der Welt, was noch mehr Inflation importieren würde. Und da die Risikoprämien von Zinspapieren und damit die Kreditzinsen explodierten, ginge die Wirtschaft in die Knie. 

Eine gleichsam schwachsinnige Schuldenlösung ist die Monetisierung der Staatspapiere allein durch die EZB, ohne sie auf dem Rentenmarkt platzieren zu müssen. Aufgrund einer dann hemmungslosen Euroschwemme durch einen ausgabefreudigen Vater Staat auf Koks würde das Vertrauen in den Euro als Zahlungsmittel und Wertanlage atomisiert. Der Kaufkraftverlust des Euros wäre vergleichbar mit der früheren italienischen Lira, die unter den Eskapaden der Banca d‘Italia litt. Damals war dies der Grund, warum die Italiener mit Freude die Lira für den Euro aufgaben. 

Zum Glück kommen solche Scherzartikel zumindest vorerst nicht zur Anwendung. Doch wird es ebenso keine Wiederherstellung der Preisstabilität geben. Der vermeintlich einfache „Weg des geringsten Widerstands“ wird weiter beschritten. Und das ist die Entwertung des üppig geschaffenen Geldes zur Finanzierung grenzenloser Staatsverschuldung durch Inflation. Der Durchlauferhitzer für Inflation läuft reibungslos.

Es wäre nicht verwunderlich, wenn die EZB früher oder später ihr Inflationsziel nach oben anpasst: Die Drei bzw. Vier ist die „bessere“ Zwei.

Wie sagte Frau Lagarde doch so treffend: Die Inflation ist nachhaltig hoch. Damit müssen wir leben.

Robert Halver
© Baader Bank

Über den Autor:

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse der Baader Bank in Frankfurt und ist damit für die Einschätzung der internationalen Finanzmärkte zuständig. Der erfahrene Kapitalmarkt- und Börsenkommentator ist durch seine regelmäßigen Medienauftritte bei Fernsehsendern und Radiostationen einem breiten Anleger- und Finanzpublikum bekannt.

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