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Robert Halver über das Dilemma des Westens „Die Sanktionen machen den anti-westlichen Block noch stärker“

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Damit ist auch der westliche Preisdeckel bei russischem Öl hinfällig. Denn dieser funktioniert nur, wenn möglichst alle einträchtig mitmachen, was aber nicht passiert. Peu à peu wird Putin europäische Nachfrager durch neue „Bruderstaaten“ ersetzen. Und Russland arbeitet daran, die gleiche Versorgungspolitik auch mit Gas zu praktizieren. Mit der kürzlichen Drosselung um 40 Prozent hat Putin schon einmal die Energie-Muskeln spielen lassen. Der Preisanstieg, den Putin selbst erzeugt hat, kompensiert den Mengenausfall mühelos.

Selbst der beste Jockey kann ohne Pferd nichts erreichen

Einen weiteren Kraftbeweis könnte er im Rahmen der Wartung der russischen Pipeline Nord Stream 1 ab 11. Juli erbringen, wenn die Gaslieferung wie jedes Jahr routinemäßig eingestellt wird? Es spricht wenig dafür, dass die Gasleitung anschließend weiter still ruht. Zwar würde er Europa mit diesem Schritt massiv zusetzen. Gleichzeitig jedoch würde er seinen größten Trumpf auf einen Schlag aus der Hand geben. Eher ist zu vermuten, dass er aus vorgeschobenen „technischen“ Gründen, für die er die westlichen Sanktionen verantwortlich macht, abermals die gelieferte Gasmenge reduziert. So will er mit dem Westen spielen, wie der Löwe mit seiner Beute.

Grundsätzlich drohen eine Gasrationierung, eine sofortige Preisanpassungsklausel und damit ein weiterer preislicher Angebotsschock. Das wird der Konjunktur genauso wenig schmecken wie die geldpolitische Bekämpfung der Inflation. Zwar wird sich die EZB vergleichsweise zurückhalten. Aber die jetzt schon sichtbaren Kreditverteuerungen machen Firmen und Konsumenten das Wirtschaftsleben noch schwerer.

 

 

 


Insgesamt, während die Wirtschaftsstandorte der Russland-Gang gewaltige Aufwertung erfahren, darben die Industriestaaten Europas, die ihr Know-how wegen knapper Rohstoffe oder überteuerter Energiepreise so wenig zeigen können, wie ein Fußball-Megastar, der verletzt auf der Ersatzbank sitzt.

Bei Geschäften Chinas und Indiens mit Russland ist theoretisch zwar die Gefahr von Zweitsanktionen gegeben. Doch stellt sich praktisch die Frage, ob Europa, das bei Vorprodukten von China nicht weniger abhängig ist als bei Gas von Russland, tatsächlich den Fehdehandschuh wirft. Bei der E-Mobilität kommt Europa zum Beispiel an Lithium nicht vorbei, über das China wacht wie der Hund über seinen Knochen. Auch die Energiewende mit Wärmepumpen, Windrädern, Photovoltaik oder Sonnenkollektoren hängt an Materiallieferungen aus dem Land der Mitte. Mittlerweile könnte China sogar einen Handelskrieg gegen Europa führen.

Und dann ist da noch die pure Wirtschafts-Not. Italien versucht den Befreiungsschlag aus seiner schon sprichwörtlichen Misere. Mit China wurde ein Entwicklungsabkommen geschlossen, das von Hafenmanagement und Wissenschaft über Technologie und E-Commerce bis sogar Fußball so ziemlich alles abdeckt. Der Preis ist hoch, denn so erhält Peking über die italienische Eintrittstür Zugang zur Gesamt-EU, was zu weiteren Abhängigkeiten führen könnte.

Krisenfestigkeit ist bislang nur ein cooles politisches Wort

Die EU hat spätestens 2014 alle Strukturreformen und damit Wettbewerbsfähigkeit aufgegeben, als die EZB den freien Mittagstisch einführte. Das Leistungsprinzip galt als obsolet. Die bittere Konsequenz blieb nicht aus: Der EU mangelt es heute an technologischem und geistigem Eigentum und sie fällt weiter hinter die USA und China zurück. Tatsächlich rangiert kein einziges europäisches Unternehmen mehr unter den 15 führenden Technologieunternehmen der Welt und nur vier der 50 weltweit führenden Technologieunternehmen sind europäisch. Übrigens, mittlerweile liegen die Patentanmeldungen der autokratischen Welt vor denen der demokratischen.

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