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Robert Halver zum Brexit Überleben in freier Wildbahn

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Doch fehlt es den 27 Staaten an Zusammenhalt. Sie sind in vielerlei Hinsicht gespalten und entscheidungsschwach. Selbst nationale Regierungen sind so instabil wie Wackelpudding. Und auch die Bundesregierung ist eine Beziehung ohne Freude. In Berlin herrscht Hochkonjunktur bei Paartherapeuten.

Sollte der britische Abgang am Ende insgesamt ein Erfolg werden, könnte auch in anderen EU-Ländern so mancher schlafende Exit-Hund geweckt werden. Man weiß ja auch nicht, ob der Exodus von Meghan und Harry aus dem britischen Königshaus ein Einzelfall bleibt. Im Extremfall ist der finale Brexit der erste fallende Dominostein in der EU.

Vor diesem Hintergrund wird Boris Johnson nicht die Rolle des um Gnade flehenden Bittstellers annehmen.

Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Aber wer ist das?

Johnsons Shakespeare ähnliche Dramen-Diplomatie gegenüber der EU ist zwar gut gespielt, aber nicht unbedingt für bare Münze zu nehmen. Insgeheim würde Johnson gerne mit der EU verbandelt bleiben, was ihm ja doch viele (Wirtschafts-)Vorteile bietet. Ein Abgang der EU-freundlichen Schotten könnte übrigens aus Great schnell Little Britain machen. Auch ist Johnson klar, dass Amerikaner und Chinesen keine selbstlosen Gutmenschen sind, sondern britisches Holz gerne zum Kochen ihres ganz eigenen Süppchens verwenden. 

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Im Stillen kennt aber auch die andere Seite - Brüssel und selbst die klassischen Briten-Basher aus Frankreich - die wirtschaftlichen und geostrategischen Nachteile einer Grabenbildung im Ärmelkanal. Ginge Großbritannien endgültig für Europa verloren, würde ebenso der geostrategische Einfluss der EU im Wettstreit mit den USA, China und Russland sinken. Immerhin ist die britische Volkswirtschaft so stark wie die 19 kleinsten EU-Staaten zusammen. In ordnungspolitischen und Stabilitätsfragen waren die Briten ohnehin für Deutschland oft genug Verbündete, ja sogar Blutsbrüder.

Vor diesem Hintergrund sollten abseits der öffentlichen, auf beiden Seiten gespielten Sturheit und Selbstgerechtigkeit unter dem Strich unverkrampfte Verhandlungen über das zukünftige EU-britische Verhältnis möglich sein.

Wenn am Ende des Jahres nur ein Rumpfvertrag steht, der lediglich die Grundzüge der künftigen Handelsbeziehungen regelt, ist dies völlig in Ordnung. Warum muss denn überbürokratisch alles bis auf die dritte Nachkommastelle fixiert sein? Wenn mehr Freiräume und Flexibilität beidseitig des Ärmelkanals gelten, würde der bürokratische Überbau zugunsten der Marktwirtschaft gelockert.

Dann könnten später weitere Länder ins europäische Boot geholt werden, die nicht die gleiche EU-Vereinsuniform ohne Rücksicht auf ihre eigenen wirtschaftlichen oder politischen Modestile tragen wollen. Diese fehlende modische Beinfreiheit wird ja auch vom ein oder anderen Stammmitglied bemängelt.

Am Ende hätte der widerspenstige Boris Johnson Europa sogar noch einen Gefallen getan. Beide Seiten könnten zuletzt am besten lachen.

Autor Robert Halver leitet die Kapitlamarktanalyse der Baader Bank in Frankfurt.

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