Robert Halver zur Zukunft des Welthandels Was macht Politik, wenn die Globalisierung ihren Zenit überschritten hat?
Noch kümmert sich die Politik lieber um Nebenkriegsschauplätze. So macht die Gender-Gerechtigkeit mittlerweile vor nichts mehr Halt. In der Politik werden tatsächlich Stimmen laut, der Hirsch auf dem Verkehrsschild „Wildwechsel“ solle sein markantes Geweih verlieren. Denn auch Hirschkühe verdienten die Rücksicht der „Autofahrenden“.
Wir brauchen einen Plan B
Ach, wie glücklich kann sich ein Land schätzen, das offensichtlich keine anderen Probleme hat. Wie würden die politisch Korrekten wohl den Begriff „Herrenloses Damenfahrrad“ gendern?
Das Problem ist nur, dass wir von Deutschland reden, einem Land, das Probleme hat. Ich bin kein Nestbeschmutzer. Ich weiß, dass es uns im Vergleich immer noch gutgeht. Aber müsste die Politik nicht alles dafür tun, dass es auch so bleibt bzw. das schleichende Siechtum umgekehrt wird?
Ja, die Politik muss die Mistgabel in die Hand nehmen und die Probleme ausmisten. Neue nachhaltige Wachstumspotenziale müssen her, die den Kamin auch bei einem weniger üppigen Freihandel rauchen lassen. Jetzt war ich schon wieder politisch unkorrekt. Der Klimaschutz darf nicht nur ideologisch betrachtet werden, sondern muss auch eine ökonomische Dimension haben. Und wenn wir uns aus Kostengründen in puncto Produktion keine komplette Entkopplung von China leisten können, so müssen Europa und Deutschland alternativ zu Dienstleistungstempeln werden.
Vor allem aber müssen die europäischen Volkswirtschaften wieder zurück zur sozialen Marktwirtschaft. Das Fell des Bären kann erst dann verteilt werden, wenn der Bär erlegt ist. Bitte wieder mehr Leistungsprinzip wagen! Der ideologische Ballast und die finanzielle Repression, die dem Wohlstand im Weg stehen, müssen entrümpelt werden. Die Energieversorgung sollte vorübergehend auch intensiv mit Old Energy gewährleistet sein. Ansonsten werden kalte Hintern im Winter die Akzeptanz der Energiewende gefährden.
Und das beste in puncto Digitalisierung ist gerade gut genug, um unsere Standortqualitäten auf Weltklasse-Niveau zu heben. Nicht zuletzt muss ein reibungslos funktionierender Binnenmarkt her, der so viel Schmackes hat, dass andere Wirtschaftsregionen gerne mit uns Handel auf Augenhöhe treiben.
Das wird aber dauern. All das ist bei der Vielzahl von europäischen Ländern nicht einfach. Aber haben wir eine andere Wahl? Im geopolitischen Haifischbecken ist der Rückschritt zu schwachen, ja regelrecht impotenten Nationalstaaten eine Sackgasse. Europa muss an Regierungsfähigkeit gewinnen. Das Einstimmigkeitsprinzip gehört auf den Müll und muss durch qualifizierte Mehrheiten ersetzt werden. Gleichzeitig muss das Parlament mehr zu sagen haben. Das zähe Ringen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner ohne wirklich etwas zu bewegen, kann die überwältigenden Probleme schon längst nicht mehr lösen.

1.200% Rendite in 20 Jahren?
Wenn konjunkturell zurzeit keine süßen Zuckerplätzchen verteilt werden, muss man sich vorübergehend mit hartem Schwarzbrot zufriedengeben. In dieser Zwischenzeit jedoch muss man (wirtschafts-) politisch hart ackern, damit zukünftig die Süße zurückkommt. Das sind schwierige Aufgaben. Aber einfach kann jeder. Wenn Politiker das nicht können, sollten sie umsatteln. In der Pflege werden dringend Leute gesucht.

Über den Autor:
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse der Baader Bank in Frankfurt und ist damit für die Einschätzung der internationalen Finanzmärkte zuständig. Der erfahrene Kapitalmarkt- und Börsenkommentator ist durch seine regelmäßigen Medienauftritte bei Fernsehsendern und Radiostationen einem breiten Anleger- und Finanzpublikum bekannt.