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Sind Rüstungsinvestments vertretbar – und sogar nachhaltig?

Russlands Krieg gegen die Ukraine, der Streit zwischen Nord- und Südkorea, die brenzlige Lage rund um Taiwan und im südchinesischen Meer: Geopolitische Spannungen haben nicht nur die sicherheitspolitische Debatte verändert, sondern werfen auch in der Finanzbranche grundlegende Fragen auf. Konkret die Fragen: Ist es ethisch in Ordnung, in Rüstung zu investieren und dort von Gewinnen zu profitier...
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Russlands Krieg gegen die Ukraine, der Streit zwischen Nord- und Südkorea, die brenzlige Lage rund um Taiwan und im südchinesischen Meer: Geopolitische Spannungen haben nicht nur die sicherheitspolitische Debatte verändert, sondern werfen auch in der Finanzbranche grundlegende Fragen auf. Konkret die Fragen: Ist es ethisch in Ordnung, in Rüstung zu investieren und dort von Gewinnen zu profitieren? Und: Können Investitionen in Rüstungsfirmen nachhaltig sein? Ein Thema, das Vermögensverwalter, Nachhaltigkeitsexperten und Anleger spaltet.
„Der Zeitpunkt, die Haltung zu dem Thema zu überdenken, war schon etwas länger her. Ganz präzise war es der 24. Februar 2022, der Tag des Überfalls Russlands auf die Ukraine“, findet Andre Koppers, Geschäftsführer bei Oberbanscheidt & Cie. Sein Haus reagierte schnell: Bereits einen Tag nach dem russischen Einmarsch kaufte der Vermögensverwalter die erste Position Aktien des deutschen Rüstungsherstellers Rheinmetall. Seither wurde sie weiter ausgebaut, andere europäische Rüstungswerte kamen hinzu. Mittlerweile ist die Rheinmetall-Aktie die stärkste Position in den Multi-Asset-Fonds von Oberbanscheidt & Cie. „Die Breite der Kundschaft hat mit Investition in Rüstungswerte kein Problem“, sagt Koppers.
Das bestätigt auch Michael Benz von der Qcoon-Gruppe: „Noch vor drei Jahren standen Rüstungsaktien ganz oben auf der Ausschlussliste, wenn es um nachhaltige Investments ging. Doch der aggressive Angriffskrieg der Russen auf das benachbarte ukrainische Brudervolk hat zu einem Umdenken geführt, das durch alle Gesellschaftsschichten geht.“
Moralische Zwickmühle: Darf man in Rüstung investieren?
Die Grundsatzfrage, ob Investments in Rüstungsunternehmen moralisch vertretbar sind, wird dennoch unter Finanzexperten intensiv diskutiert. Einen neuen Anstoß dazu gab die jüngste Erkenntnis: Deutschland und Europa können sich unter einem Präsidenten Trump nicht mehr auf den großen Nato-Partner USA verlassen. Wenn die Europäer ein Gegengewicht gegen das aggressiv auftretende Russland bilden wollen, müssen sie ihre Verteidigung selbst massiv ausbauen.
Unter diesem Aspekt bezieht Vermögensverwalter Hermann Ecker von der Bayerischen Vermögen Management Position: „Es ist höchste Zeit, als Bürger eine neue Einstellung gegenüber Rüstungsunternehmen einzunehmen. Äußere Sicherheit ist eine unbestrittene Notwendigkeit, die Europa und darin eingebunden Deutschland nun wieder selbst sicherstellen müssen.“
Ali Masarwah, Geschäftsführer der Fondsvertriebsplattform Envestor, glaubt: Gerade Anleger, die bisher keine klare Meinung dazu hatten, dürften nun aufgeschlossener gegenüber Rüstungsaktien im Portfolio sein. „Viele Anleger werden sich herausgefordert fühlen, eine neue Einstellung zu entwickeln, und das zu Recht. Es ist ja schließlich Teil der aktuellen, gesamtgesellschaftlichen Diskussion.“
Andreas Görler vom Vermögensverwalter Wellinvest-Pruschke & Kalm bleibt trotz der jüngsten geopolitischen Entwicklungen skeptisch. Seine Haltung gegenüber Rüstungs-Investments habe sich nicht geändert. „Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass man ein Heer vernünftig ausrüsten muss, damit eine Handlungsfähigkeit erreicht wird“, räumt er zwar ein. „Deswegen muss ich aber nicht in diese Aktien investieren.“
Vermögensverwalter Michael Benz weist unterdessen auf einen Wandel in der Argumentation hin: „Inzwischen hat das Argument an Bedeutung gewonnen, dass Waffen auch der Verteidigung und damit der Rettung von Menschenleben dienen können.“ Nicht zufällig ist in den vergangenen Monaten kaum mehr von der Rüstungs-, sondern vielmehr von der Verteidigungsindustrie die Rede.
Auch wenn er das Verteidigungsargument nachvollziehen kann, findet Benz diese Unterscheidung dennoch problematisch. „Auch mit einem Rüstungsgut, das primär der Verteidigung dient, können im Zweifelsfall Menschen angegriffen werden", gibt er zu bedenken.
Rüstung und Nachhaltigkeit – ein Widerspruch?
Eine zentrale Streitfrage dreht sich um die Vereinbarkeit von Verteidigungsinvestments mit ESG-Kriterien, also mit den drei Nachhaltigkeits-Grundpfeilern ökologisch, sozial und Governance. Verena Menne, Geschäftsführerin des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG), das Fondsgesellschaften analysiert und Nachhaltigkeitssiegel vergibt, positioniert sich deutlich: „Investitionen in Rüstung widersprechen den Grundsätzen der Nachhaltigkeit.“
Sie begründet das mit dem „Do-no-significant-harm“-Prinzip (DNSH): „Dieses besagt, dass eine Investition nicht nur einen positiven Beitrag in einem Umweltbereich leisten muss, sondern auch keinen negativen Beitrag in anderen Bereichen verursachen darf.“ Auf Rüstungsgüter angewendet interpretiert Menne: „Waffen können einen positiven Beitrag zur Sicherheit leisten. Jedoch hat die Produktion von Rüstungsgütern einen signifikant negativen Effekt: Waffen zerstören Infrastruktur, Kultur und Menschenleben – Rüstung kann daher nicht nachhaltig sein.“
Diese Haltung würden auch viele Fondsgesellschaften vertreten, wie sie beobachte: „Im FNG-Marktbericht 2024 war der Ausschluss von kontroversen Rüstungsgütern 2023 das am häufigsten angewandte Kriterium.“ 56 Prozent der vom FNG befragten Unternehmen schlossen sogar jegliche Investitionen in Waffen aus. Etwa 70 Prozent der Asset Manager und Berater hielten Investitionen in Rüstung für nicht vereinbar mit Nachhaltigkeit. Sie wollten ihre bisherige Strategie auch nicht ändern.
Envestor-Chef Masarwah beobachtet bei Privatanlegern, aber auch Profiinvestoren eine zunehmende Flexibilität, auch wenn es um dezidiert nachhaltig anlegende Fonds geht: „Nachhaltigkeitsfonds verabschieden sich offenbar immer mehr von 'roten Listen' – genauso, wie auch ESG-freundliche Anleger sich von der Vorstellung verabschieden, dass Rüstung weder in der Politik noch im Portfolio einen Platz hätte.“ Allerdings möchte er differenziert wissen: „Wer anspruchsvolle Nachhaltigkeits-Strategien verfolgt, wird sich nicht über Nacht neu orientieren.“
Einen Schritt weg von der klassischen Nachhaltigkeitslinie hat auch der deutsche Fondsverband BVI vollzogen. Der Interessenverband hat sich vom Ausschluss für Rüstungsfinanzierung in seinem ESG-Zielmarktkonzept verabschiedet. Die Leiterin Nachhaltigkeit bei dem Verband, Magdalena Kuper, begründet das mit der Linie, die die EU mittlerweile bei dem Thema verfolgt: Laut den jüngeren Leitlinien der Wertpapieraufsicht Esma sollen nicht mehr alle Rüstungsgüter insgesamt, sondern nur noch völkerrechtlich geächtete Waffen, wie Streubomben oder chemische und biologische Waffen in Fonds, die mit Nachhaltigkeit werben, verboten sein.
Viele nachhaltige Fonds handhaben das Thema zunehmend lockerer: Laut einer Analyse von Morningstar Direct für die Financial Times hatten im vergangenen September etwa ein Drittel der ESG-Fonds in Europa und Großbritannien rund 7,7 Milliarden Euro in den Rüstungssektor investiert. Im ersten Jahresquartal 2022 waren es erst 3,2 Milliarden Euro gewesen.
Kundenwünsche und ihre Auswirkungen auf Portfoliostrategien
Die veränderte Wahrnehmung spiegelt sich bereits deutlich in Investmententscheidungen wider. Nicht nur bei Andre Koppers und seinem Haus Oberbanscheidt & Cie. wird mit Überzeugung in Rüstungsaktien investiert. Auch Hermann Ecker bestätigt diese Tendenz: „Einige unserer Kunden fragen vermehrt nach Rüstungsunternehmen oder nach Fonds/ETF's, die dieses Marktsegment abdecken.“ Sein Ansatz bleibt jedoch individuell: „Wir gehen selbstverständlich auf die Wünsche unserer Kunden ein, ganz egal ob für oder gegen Rüstung. Sowohl der positive Blick auf Rüstungsunternehmen wie auch der negative gründen auf wohlüberlegten Argumenten.“
Envestor-Chef Ali Masarwah beobachtet bei seinen Beratungskunden ein gespaltenes Bild: „Viele Anleger sind offen für das Thema und sind auch über klassische Europa- und USA-Aktienfonds dabei. Das sind dann Fonds/ETFs, die keinen Nachhaltigkeitsfilter haben. Einzelne Kunden haben auch schon Rüstungs-ETFs im Portfolio.“
Andreas Görler dagegen meint: „Nach meiner Auffassung gibt es genügend Segmente, in die man investieren kann, auch wenn es nachvollziehbar ist, dass man bei Rüstungsaktien wohl noch weitere Kurssteigerungen erwarten kann.“
Breitere Definition der Verteidigungsindustrie
Für Anleger, die sich mit dem Thema intensiver auseinandersetzen möchten, weist Michael Benz auf einen wichtigen Aspekt hin: „Bei Verteidigung geht es nicht nur um konventionelle Waffen und Systeme, sondern auch um Infrastruktur, Software oder Cybersicherheit.“ Diese breitere Definition eröffnet ein weiteres Feld an Investmentmöglichkeiten als nur klassische Rüstungshersteller.
Das unterstützt auch Masarwah: „Ein breiterer Zugang zum europäischen Aktienmarkt, wo es über den Rüstungssektor hinaus viele Industrietitel gibt, die von der neuen Investitionswelle profitieren, erscheint mir hier eine bessere Entscheidung zu sein.“
Die Finanzierungsdiskussion
Nachhaltigkeits-Expertin Verena Menne möchte zusätzlich mit einer Behauptung aufräumen, die sie in der Diskussion über Rüstungsinvestments häufig vernimmt: „Das oft verwendete Argument, es gäbe ein Finanzierungsproblem von Rüstung, kann vom FNG nicht nachvollzogen werden.“ Immerhin beteiligten sich viele große Banken und Investmentgesellschaften als Geldgeber an der Rüstungsindustrie.
Menne erinnert: „Seit Beginn des russischen Angriffskrieges sind die Aktien von Rüstungsunternehmen in ihrem Wert enorm gestiegen.“ In Deutschland wurde gerade die staatliche Schuldenbremse mit Blick auf Rüstungsinvestments ausgesetzt: Alle Rüstungsausgaben, die 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) überschreiten, sollen von dem staatlich verordneten Schuldendeckel ausgenommen sein.
Die Diskussion um die ethische Bewertung von Rüstungsinvestments und deren Vereinbarkeit mit Nachhaltigkeitskriterien bleibt somit kontrovers. Vermögensverwalter Benz bringt es auf den Punkt: „Grundsätzlich muss jeder Investor selbst entscheiden, in welche Richtung sein moralischer Kompass bei Rüstungsgütern ausschlägt. Die Frage, was unter nachhaltigen oder ethischen Gesichtspunkten vertretbar ist, lässt sich leider einmal mehr nicht eindeutig beantworten.“



