Merger-Experte Kai Lucks
Russland ist ein gescheiterter Staat
Kai Lucks ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Mergers & Acquisitions. Foto: Bundesverband Mergers & Acquisitions
Die Wahrscheinlichkeit, dass Russland in wenigen Jahren zusammenbricht, beziffern führende Militärexperten auf 80 Prozent. Hier sagt Kai Lucks vom Bundesverband Mergers & Acquisition, welche Maßnahmen der Westen ergreifen muss, um dem Land wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen.
Russland könnte als „failed State“ mit instabilen Strukturen weiter existieren, die Russische Föderation könnte zerbrechen. Die bisherigen Sanktionen des Westens entfalten ihre Wirkung erst in längeren Zeiträumen und werden zu einem Zusammenbruch innerhalb weniger Jahre nicht entscheidend beigetragen haben. Der Einbruch der Ural-Ölpreise dürfte Russland aber zu Fall bringen. Wenn sich der Barrel-Preis beim derzeitigen Plateau um die 60 US-Dollar einpendeln sollte, wird Russland die wichtigste Deviseneinnahme verlieren. Denn unter den bestehenden Förderkosten von 40 Dollar wird die Marge nicht mehr ausreichen, um die Kriegsmaschinerie und den Verwaltungsapparat zu finanzieren. Außerhalb des Industriekomplexes...
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Russland könnte als „failed State“ mit instabilen Strukturen weiter existieren, die Russische Föderation könnte zerbrechen. Die bisherigen Sanktionen des Westens entfalten ihre Wirkung erst in längeren Zeiträumen und werden zu einem Zusammenbruch innerhalb weniger Jahre nicht entscheidend beigetragen haben. Der Einbruch der Ural-Ölpreise dürfte Russland aber zu Fall bringen. Wenn sich der Barrel-Preis beim derzeitigen Plateau um die 60 US-Dollar einpendeln sollte, wird Russland die wichtigste Deviseneinnahme verlieren. Denn unter den bestehenden Förderkosten von 40 Dollar wird die Marge nicht mehr ausreichen, um die Kriegsmaschinerie und den Verwaltungsapparat zu finanzieren. Außerhalb des Industriekomplexes Verteidigung und Raumfahrt verfügt Russland über kaum eine Branche, in der das Land international wettbewerbsfähig ist. In allen Sektoren fehlt es an Mikroelektronik.
Der Ukraine-Krieg wird 2023 weiterhin auf fürchterlichste Weise Menschenleben kosten und zunehmend zu einer sinnlosen Materialschlacht führen, ohne dass eine der beiden Seiten entscheidende Gebietsgewinne erzielen wird. Der Westen kann erst 2024 so viele Kampfpanzer in Verbindung mit dichter Luftaufklärung und Luftabwehr bereitstellen, dass die Ukraine den Stellungskrieg verlassen und auf die Wiedereroberung der verlorenen Gebiete setzen kann. So könnte ein für die Ukraine und den Westen günstiges Szenario auf dem Schlachtfeld aussehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Russland als Verzweiflungsakt Nuklearwaffen einsetzen und die Nato zum Eingreifen zwingen würde, wird um 20 Prozent eingeschätzt, so die internationalen Militärexperten.
Dies dürfte das Basis-Szenario sein, auf dem beide Seiten über diplomatische Lösungen nachdenken, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. In beiden Fällen, ob ukrainischer Sieg in der Schlacht oder Beendigung des Krieges über Diplomatie, wird Russland finanziell kaum in der Lage sein, größere Reparationszahlungen zu leisten. Die Mittel zum Wiederaufbau werden vom Westen kommen müssen, idealerweise nach dem Muster des Marshallplans, also in Form einer Schenkung unter Verbleib der Finanzmittel im ukrainischen Wirtschaftskreislauf. Damit könnte Branche für Branche wiederbelebt werden. Rückzahlungen werden für Investitionen an anderer Stelle genutzt. Darüber hinaus muss die Ukraine in das westliche Innovationsnetzwerk eingebunden werden, um bei den entscheidenden wissensbasierten Industrien international reüssieren zu können.
China dürfte derweil auf ein darniederliegendes Russland spekulieren, dass als Vasall und Beschleuniger für die angestrebte eurasische Hegemonie des Reichs der Mitte dienen könnte. Als wahrscheinlichste Szenario dürfte dies aber nicht en bloc passieren, denn zuvor dürfte mangels kohärenter Regierungskräfte die russische Föderation zerfallen und ihre Mitglieder eigene politische Wege gehen, mal nach dem Osten tendierend, mal nach dem Westen Ausschau haltend.
An welchen Fronten kämpft China?
China hätte die Konzentration des Westens auf den Ukraine-Krieg gut nutzen können, um Taiwan zu überfallen. Überraschenderweise hat China unser Aufmerksamkeitsdefizit nicht genutzt, obwohl die Einverleibung des Inselstaates ein Kern des chinesischen Machtprogramms ist. Die Zurückhaltung gegen eine Übernahme dürfte an drohenden Gegenmaßnahmen der USA liegen und an der Gefährdung der Versorgung mit hoch integrierten Halbleiterbausteinen, die sowohl die chinesische Wirtschaft als auch den Westen treffen würde. China wird wohl noch etwa zehn Jahre brauchen, um sich auf dem Halbleitermarkt unabhängig zu machen. Das gewaltige Investitionsprogramm, das China vor dem Hintergrund der US-Sanktionen angeschoben hat, kann sich in der Breite der chinesischen Industrie kaum früher niederschlagen.
Neben diesen externen Faktoren wirken in China derzeit Implosionskräfte, die das Land anhaltend schwächen könnten. Dazu gehört das Wiederaufflammen von Corona und in diesem Zusammenhang wirtschaftlich-strukturelle Probleme. Die Lage in den Komplexen Bausektor, Beschäftigung und Finanzierung scheint geradezu ausweglos: Entweder setzt China den Städtebau mit gewaltigem Leerstand fort, beschäftigt damit hunderte Millionen von Mitarbeitern und belastet sich mit einer nochmals ansteigenden Finanzierungslücke oder das Land stellt diese Mitarbeiter frei und gefährdet den sozialen Frieden durch eine große Arbeitslosigkeit und Anstieg der Wanderarbeiter.
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