Sabrina Reehs Checklist zur Aktienauswahl
Wie gehen Sie vor, wenn Sie eine Aktie auswählen? Haben Sie eine spezielle Strategie?
Reeh: Absolut, mir ist es wichtig strukturiert zu arbeiten.
- Der Startpunkt sind für mich 150 Aktien aus dem deutschen Universum. Von da aus beginnt die eigentliche Analyse.
- Zunächst schaue ich mir an, welche Unternehmen meiner Meinung nach in den nächsten zwei bis drei Jahren strukturell höhere Wachstumstreiber haben. Die zentrale Frage ist: Warum erwarte ich, dass dieses Unternehmen schneller als der zugrundeliegende Markt wachsen kann?
- Wenn ich diese Erwartung habe, gehe ich tiefer. Ich prüfe, ob das Unternehmen in der Lage ist, diesen Umsatz auch tatsächlich in Gewinn zu übersetzen. Dafür analysiere ich die Kostenbasis: Wie viele variable und fixe Kosten hat das Unternehmen? Wie ist es durch die letzten Krisen gekommen? Hat es in der Vergangenheit starke Ausschläge nach oben und unten gegeben?
- Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kapitaleffizienz: Wie viel Kapitalertrag und freien Cashflow generiert das Unternehmen? Das gibt mir einen guten Eindruck von der Qualität des Unternehmens.
- Natürlich spielt auch das Wettbewerbsumfeld eine große Rolle. Ich frage mich: Kann dieses Unternehmen irgendetwas besser als seine Konkurrenten? Wenn ja, warum? Und: Ist das nachhaltig oder eher ein vorübergehender Effekt?
- Nach dieser Grundanalyse gehe ich in den direkten Kontakt. Dabei geht es mir auch darum, ein Gefühl für das Management zu bekommen. Wie ticken die Leute dort? Wie erklären sie ihre strategische Ausrichtung? Wie gehen sie mit Krisen um? Wie incentivieren sie ihre Top-Manager?
- Manchmal spreche ich auch mit Wettbewerbern, um die Gegenargumente zu hören. Warum glauben die, dass sie besser sind? Das hilft, ein umfassenderes Bild zu bekommen.
- Wir haben auch Zugang zu Experten, die vielleicht früher einmal in der Branche oder sogar bei dem Unternehmen selbst gearbeitet haben. Deren Einschätzungen sind oft sehr wertvoll.
- Am Ende schaue ich natürlich auf die Bewertung. Ist sie im historischen Kontext niedrig oder hoch? Wie sieht sie im Vergleich zum Wettbewerb aus? Manchmal finde ich ein Unternehmen grundsätzlich gut, aber die Bewertung ist mir zu hoch. Dann kommt es auf meine Watchlist und ich warte auf eine bessere Gelegenheit zum Einstieg.
- Ein wichtiger Aspekt unseres Fonds ist zudem der Fokus auf ESG-Kriterien. Wir schauen sehr genau auf unsere internen ESG-Bewertungen. Das bedeutet zum Beispiel, dass Verteidigungswerte oder Unternehmen mit einem bestimmten Anteil an Kohle-Geschäft ausgeschlossen sind.
- Was ich auch immer mache: Ich schreibe für jede Investition einen „Case“ auf. Das ist quasi meine Begründung, warum ich diese Aktie kaufe. Das mag sich nach zusätzlicher Arbeit anhören, aber es ist unglaublich wertvoll. Stellen Sie sich vor, ein Unternehmen liefert schlechte Quartalszahlen. In solch einem Moment kann ich zu meinem ursprünglichen „Case“ zurückgehen und prüfen: Hält meine ursprüngliche These noch? Wenn ja, dann kann ich die Aktie weiter halten oder sogar nachkaufen. Wenn nein, dann muss ich ernsthaft über einen Verkauf nachdenken.
Das klingt nach einem sehr durchdachten System. Aber selbst mit der besten Vorbereitung: Gab es auch schon Fälle, wo etwas schiefgelaufen ist?
Reeh: Absolut! Das passiert immer wieder mal, und es ist wichtig, das als Teil des Jobs zu akzeptieren. Perfektion gibt es an der Börse nicht.
Das Wichtigste ist, dass man mehr als die Hälfte der Zeit richtig liegt. Wenn man das schafft, ist man in der Regel schon besser als der Durchschnitt der Wettbewerber. Aber natürlich gibt es Momente, in denen man trotz aller Vorbereitung und Analyse falsch lag.
Ein klassischer Fehler, den wahrscheinlich jeder Investor schon einmal gemacht hat, ist das sogenannte „Catching a Falling Knife“ – also die Idee, in eine fallende Aktie zu investieren. Man denkt sich: „Die Aktie ist jetzt schon so tief gefallen, jetzt kann sie nicht mehr weiter sinken“. Und dann sinkt sie doch weiter. Das Entscheidende ist, aus solchen Erfahrungen zu lernen. Nach jedem Fehler analysiere ich genau, was schiefgelaufen ist. Diese Erkenntnisse fließen dann in meine zukünftigen Entscheidungen ein.
Aber es ist auch wichtig zu verstehen, dass die Börse nicht immer logisch oder schematisch funktioniert. Es gibt eine starke psychologische Komponente.
Manchmal macht man alles richtig, hat alle Fakten auf seiner Seite, und trotzdem läuft es anders als erwartet.
Ein Beispiel: Man erwartet schlechte Quartalszahlen und plant, nach dem erwarteten Kursrückgang einzusteigen. Die Zahlen kommen, sind tatsächlich schlecht – aber die Aktie steigt. Warum? Weil viele andere Investoren genau dasselbe gedacht und die schlechten Zahlen schon vorweggenommen haben. In solchen Momenten zeigt sich, wie wichtig es ist, nicht nur die Fakten zu kennen, sondern auch ein Gefühl für die Marktpsychologie und die Positionierung anderer Investoren zu haben.

