Analyse und Bauchgefühl

Das klingt, als bräuchte man in Ihrem Job nicht nur Fachwissen, sondern auch eine gehörige Portion Menschenkenntnis und Bauchgefühl.  

Reeh: Es geht um die Kombination von beidem. Der analytische Teil ist das Wesentliche bei der Portfoliokonstruktion. Darüber hinaus spielt Erfahrung und auch das Bauchgefühl eine Rolle. 

Welche Trends sehen Sie aktuell am deutschen Aktienmarkt? 

Reeh: Ein wichtiger Punkt, den Anleger verstehen müssen, ist:

Wer in deutsche Unternehmen investiert, investiert eigentlich in die globale Weltwirtschaft.

Viele deutsche Firmen sind Weltmarktführer in ihren Nischen, oft mit hervorragenden Produkten und starkem Fokus auf Forschung und Entwicklung. 

Künstliche Intelligenz (KI) ist natürlich ein großes Thema, auch wenn viele denken, das gäbe es in Deutschland nicht. Man muss in der zweiten und dritten Reihe suchen. In welchen Sektoren kann die KI zum Beispiel zur Anwendung kommen. Im Finanzsektor können durch KI viele Prozesse automatisiert werden, was zu erheblichen Effizienzsteigerungen führen kann. Auch in der Medizintechnik und Pharmabranche sehe ich großes Potenzial für KI-Anwendungen. 

Ein weiterer wichtiger Trend ist Automatisierung – da haben wir in Deutschland wirklich sehr gute Unternehmen. Aufgrund des demografischen Wandels und steigender Lohnkosten wird das immer wichtiger. Die Automobilindustrie ist hier schon weit, aber wir sehen, dass sich dieser Trend auf viele andere Sektoren ausweitet. 

Auch Themen wie Elektrifizierung und Energieeffizienz sind für viele deutsche Industrieunternehmen relevant. Mit Blick auf Emissionsvorgaben und steigende Energiekosten entwickeln viele Firmen innovative Lösungen, sei es für effizientere Transportmittel oder intelligente Gebäudetechnik. 

Was ist das Beste an Ihrem Job und gibt es auch Schattenseiten? 

Reeh: Das Beste ist definitiv, dass man nie auslernt. Es wird nie langweilig. Nehmen Sie die Corona-Krise; plötzlich musste man komplett umdenken. Geschäftsmodelle, die vorher solide erschienen, standen plötzlich auf wackeligen Beinen, während andere unerwartet profitierten. Diese Herausforderung, immer „Out of the Box“ zu denken, macht den Job so spannend. 

Die Schattenseite ist, dass es oft schwer ist, abzuschalten. Wenn ich am Wochenende Nachrichten lese, denke ich automatisch: „Was bedeutet das für mein Portfolio? Das ist Fluch und Segen zugleich. 

 

Sie haben sich in der männerdominierten Finanzbranche einen Namen gemacht. War Ihnen von Anfang an bewusst, dass Sie als Frau in dieser Branche eine Ausnahme sein würden?  

Reeh: Ehrlich gesagt, als ich anfing, mich für diesen Bereich zu interessieren, war mir das nicht so bewusst beziehungsweise es spielte für mich auch keine Rolle. Es gab keinen Moment, in dem ich dachte: „Oh, ich sehe keine Frau in einer Vorbildfunktion, also traue ich mir das nicht zu“. 

Haben Sie eine Idee, wie man mehr Frauen für Jobs im Fondsmanagement begeistern könnte? 

Reeh: Das ist tatsächlich eine sehr komplexe Frage. Ich denke, das Wichtigste ist, dass ein grundsätzliches Interesse vorhanden sein muss.

Ein Ansatzpunkt könnte sein, schon in der Schule mehr über Finanzthemen zu sprechen.

Wenn man das Thema früher ins Bewusstsein rückt, könnte das dazu führen, dass mehr junge Frauen es als möglichen Karriereweg in Betracht ziehen. Gewisse Finanz-Events, die dezidiert auf Frauen und Finanzen ausgerichtet sind, können hier auch helfen. Wir haben bei der DWS positive Erfahrung mit unseren sogenannten „Female Finance Talks“ gemacht. Bei diesen Networking-Veranstaltungen geht es darum, Frauen zu zeigen, dass Kapitalmärkte Spaß machen können. Damit wollen wir sie dazu ermutigen, aktiv an den Kapitalmärkten teilzunehmen und so ihren Vermögensaufbau in die eigenen Hände zu nehmen. 

Am Ende des Tages geht es wirklich um das grundlegende Interesse. Man kann niemanden zwingen, sich für Finanzen zu begeistern, egal ob Mann oder Frau. Und manchmal habe ich den Eindruck, dass es sich dabei ein Stück weit auch um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung handelt. Es wird von vielen Frauen als unüblich betrachtet, sich mit Kapitalmärkten befassen, weshalb man sie dann tatsächlich meidet. 

Wie wichtig ist Netzwerken generell in Ihrer Branche? Sind Sie Teil von speziellen Frauennetzwerken? 

Reeh: Netzwerken ist in unserer Branche enorm wichtig, sowohl für die Karriere als auch für den fachlichen Austausch. Ich pflege einen Kreis an externen und internen Kontakten, mit denen ich mich regelmäßig austausche. Dieser Austausch hilft enorm, den eigenen Horizont zu erweitern und neue Perspektiven zu gewinnen.

Über die Interviewte

Sabrina Reeh ist Senior Portfolio Managerin bei der DWS. Sie verwaltet den