Milliardenfondsmanagerin Sabrina Reeh „Im Alltag denke ich nicht ständig darüber nach, dass es 3,5 Milliarden sind“
DAS INVESTMENT: Frau Reeh, viele Menschen fragen sich, wie man eigentlich Portfoliomanagerin wird. Wie kamen Sie auf die Idee, diesen Beruf zu ergreifen?
Sabrina Reeh: Mein Interesse für Aktien wurde durch meinen Vater geweckt, der eigentlich Ingenieur ist. Er hatte sich privat immer sehr für Finanzen interessiert. An den Wochenenden legte er mir die Finanzzeitung hin und fragte: „Hier, was hältst du davon?“. So entstand ein regelmäßiger Austausch. Die Wirtschaftsnachrichten und die Dynamik der Märkte haben mich von Anfang an in ihren Bann gezogen.
Wie ging es dann weiter? Wie haben Sie dieses Interesse in eine konkrete Karriereplanung umgesetzt?
Reeh: Als es um die Studienwahl ging, entschied ich mich für ein duales Studium bei einer Bank. Ich startete in einer Filiale und bekam so einen umfassenden Einblick in alle Finanzthemen. Das duale Studium war intensiv – im Masterstudium hatte ich zwei Jahre lang eine Sechs-Tage-Woche und nur sonntags frei. Man verliert da ein bisschen das klassische Studentenleben. Aber für mich hat es sich absolut gelohnt. Es gab mir eine klare Richtung und Motivation.
Während des Masterstudiums bewarb ich mich dann bei der Commerzbank im Bereich Equity Research. Das war ein bewusster Schritt in die Investmentbank-Richtung. Ich wollte mein BWL-Studium und mein Finanzwissen optimal kombinieren.
Was würden Sie jungen Menschen raten, die in die Finanzbranche einsteigen möchten?
Reeh: Sucht euch etwas, von dem ihr sagt: „Das mache ich wirklich mit Leidenschaft, da stehe ich dahinter“.
Egal ob Portfoliomanager oder Ernährungsberater – solange es euch Spaß macht und ihr darin aufgeht, ist es der richtige Weg.
Ich möchte aber auch betonen, dass es nicht nur einen Weg gibt. Mein Weg über BWL, Finance-Master und währenddessen bei einer Bank zu starten, ist zwar klassisch, aber keineswegs der einzige. Wir haben im Team zum Beispiel eine Portfoliomanagerin, die Biotechnologie studiert hat, und jetzt unseren Biotech-Fonds managt. Das ist absolut sinnvoll. Gerade in spezialisierten Bereichen wie in der Chemie oder im Gesundheitswesen ist es wertvoll, wenn man die Branche wirklich von Grund auf versteht. Es gibt also durchaus sehr unterschiedliche Wege, um in die vielfältige Finanzindustrie einzusteigen.
Sie verwalten heute Milliarden in Ihrem Fonds. Wie geht es Ihnen mit dieser Verantwortung, gerade wenn es an den Börsen mal abwärts geht?
Reeh: Es ist definitiv eine große Verantwortung, den ersten und ältesten Aktienfonds der DWS zu verwalten. Aber ehrlich gesagt denke ich im Alltag nicht ständig darüber nach, dass es 3,5 Milliarden an Assets sind.
Wenn es an der Börse abwärts geht, fühlt sich natürlich niemand gut. Das belastet einen schon, auch im Privaten. Man schaut regelmäßig auf die Kurse, fühlt sich verantwortlich, und dann passieren Dinge wie negative Zinsüberraschungen oder geopolitische Ereignisse, die zu größeren Ausschlägen führen. Das nimmt einen mit.
Wie schaffen Sie es, in solchen Situationen nicht emotional zu werden?
Reeh: Es ist wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und Entscheidungen auf Basis von Fakten und Analysen zu treffen. Ich versuche immer, einen Schritt zurückzutreten und das große Ganze zu betrachten.
Wenn sich fundamental nichts an einem Unternehmen geändert hat, sondern nur der Aktienkurs gefallen ist, kann das eine Kaufgelegenheit sein.
Es geht darum, langfristig zu denken und sich nicht von kurzfristigen Schwankungen aus der Ruhe bringen zu lassen. Gleichzeitig ist es wichtig, demütig zu bleiben und seine Annahmen ständig zu hinterfragen. Der Markt reagiert manchmal anders auf ein Unternehmensergebnis als man ursprünglich gedacht hätte. Daher analysiere ich bei größeren Kursrückgängen immer sehr genau, ob ich vielleicht etwas übersehen habe oder ob sich die Grundlagen geändert haben.
Sabrina Reehs Checklist zur Aktienauswahl
Wie gehen Sie vor, wenn Sie eine Aktie auswählen? Haben Sie eine spezielle Strategie?
Reeh: Absolut, mir ist es wichtig strukturiert zu arbeiten.
- Der Startpunkt sind für mich 150 Aktien aus dem deutschen Universum. Von da aus beginnt die eigentliche Analyse.
- Zunächst schaue ich mir an, welche Unternehmen meiner Meinung nach in den nächsten zwei bis drei Jahren strukturell höhere Wachstumstreiber haben. Die zentrale Frage ist: Warum erwarte ich, dass dieses Unternehmen schneller als der zugrundeliegende Markt wachsen kann?
- Wenn ich diese Erwartung habe, gehe ich tiefer. Ich prüfe, ob das Unternehmen in der Lage ist, diesen Umsatz auch tatsächlich in Gewinn zu übersetzen. Dafür analysiere ich die Kostenbasis: Wie viele variable und fixe Kosten hat das Unternehmen? Wie ist es durch die letzten Krisen gekommen? Hat es in der Vergangenheit starke Ausschläge nach oben und unten gegeben?
- Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kapitaleffizienz: Wie viel Kapitalertrag und freien Cashflow generiert das Unternehmen? Das gibt mir einen guten Eindruck von der Qualität des Unternehmens.
- Natürlich spielt auch das Wettbewerbsumfeld eine große Rolle. Ich frage mich: Kann dieses Unternehmen irgendetwas besser als seine Konkurrenten? Wenn ja, warum? Und: Ist das nachhaltig oder eher ein vorübergehender Effekt?
- Nach dieser Grundanalyse gehe ich in den direkten Kontakt. Dabei geht es mir auch darum, ein Gefühl für das Management zu bekommen. Wie ticken die Leute dort? Wie erklären sie ihre strategische Ausrichtung? Wie gehen sie mit Krisen um? Wie incentivieren sie ihre Top-Manager?
- Manchmal spreche ich auch mit Wettbewerbern, um die Gegenargumente zu hören. Warum glauben die, dass sie besser sind? Das hilft, ein umfassenderes Bild zu bekommen.
- Wir haben auch Zugang zu Experten, die vielleicht früher einmal in der Branche oder sogar bei dem Unternehmen selbst gearbeitet haben. Deren Einschätzungen sind oft sehr wertvoll.
- Am Ende schaue ich natürlich auf die Bewertung. Ist sie im historischen Kontext niedrig oder hoch? Wie sieht sie im Vergleich zum Wettbewerb aus? Manchmal finde ich ein Unternehmen grundsätzlich gut, aber die Bewertung ist mir zu hoch. Dann kommt es auf meine Watchlist und ich warte auf eine bessere Gelegenheit zum Einstieg.
- Ein wichtiger Aspekt unseres Fonds ist zudem der Fokus auf ESG-Kriterien. Wir schauen sehr genau auf unsere internen ESG-Bewertungen. Das bedeutet zum Beispiel, dass Verteidigungswerte oder Unternehmen mit einem bestimmten Anteil an Kohle-Geschäft ausgeschlossen sind.
- Was ich auch immer mache: Ich schreibe für jede Investition einen „Case“ auf. Das ist quasi meine Begründung, warum ich diese Aktie kaufe. Das mag sich nach zusätzlicher Arbeit anhören, aber es ist unglaublich wertvoll. Stellen Sie sich vor, ein Unternehmen liefert schlechte Quartalszahlen. In solch einem Moment kann ich zu meinem ursprünglichen „Case“ zurückgehen und prüfen: Hält meine ursprüngliche These noch? Wenn ja, dann kann ich die Aktie weiter halten oder sogar nachkaufen. Wenn nein, dann muss ich ernsthaft über einen Verkauf nachdenken.
Das klingt nach einem sehr durchdachten System. Aber selbst mit der besten Vorbereitung: Gab es auch schon Fälle, wo etwas schiefgelaufen ist?
Reeh: Absolut! Das passiert immer wieder mal, und es ist wichtig, das als Teil des Jobs zu akzeptieren. Perfektion gibt es an der Börse nicht.
Das Wichtigste ist, dass man mehr als die Hälfte der Zeit richtig liegt. Wenn man das schafft, ist man in der Regel schon besser als der Durchschnitt der Wettbewerber. Aber natürlich gibt es Momente, in denen man trotz aller Vorbereitung und Analyse falsch lag.
Ein klassischer Fehler, den wahrscheinlich jeder Investor schon einmal gemacht hat, ist das sogenannte „Catching a Falling Knife“ – also die Idee, in eine fallende Aktie zu investieren. Man denkt sich: „Die Aktie ist jetzt schon so tief gefallen, jetzt kann sie nicht mehr weiter sinken“. Und dann sinkt sie doch weiter. Das Entscheidende ist, aus solchen Erfahrungen zu lernen. Nach jedem Fehler analysiere ich genau, was schiefgelaufen ist. Diese Erkenntnisse fließen dann in meine zukünftigen Entscheidungen ein.
Aber es ist auch wichtig zu verstehen, dass die Börse nicht immer logisch oder schematisch funktioniert. Es gibt eine starke psychologische Komponente.
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Manchmal macht man alles richtig, hat alle Fakten auf seiner Seite, und trotzdem läuft es anders als erwartet.
Ein Beispiel: Man erwartet schlechte Quartalszahlen und plant, nach dem erwarteten Kursrückgang einzusteigen. Die Zahlen kommen, sind tatsächlich schlecht – aber die Aktie steigt. Warum? Weil viele andere Investoren genau dasselbe gedacht und die schlechten Zahlen schon vorweggenommen haben. In solchen Momenten zeigt sich, wie wichtig es ist, nicht nur die Fakten zu kennen, sondern auch ein Gefühl für die Marktpsychologie und die Positionierung anderer Investoren zu haben.
Analyse und Bauchgefühl
Das klingt, als bräuchte man in Ihrem Job nicht nur Fachwissen, sondern auch eine gehörige Portion Menschenkenntnis und Bauchgefühl.
Reeh: Es geht um die Kombination von beidem. Der analytische Teil ist das Wesentliche bei der Portfoliokonstruktion. Darüber hinaus spielt Erfahrung und auch das Bauchgefühl eine Rolle.
Welche Trends sehen Sie aktuell am deutschen Aktienmarkt?
Reeh: Ein wichtiger Punkt, den Anleger verstehen müssen, ist:
Wer in deutsche Unternehmen investiert, investiert eigentlich in die globale Weltwirtschaft.
Viele deutsche Firmen sind Weltmarktführer in ihren Nischen, oft mit hervorragenden Produkten und starkem Fokus auf Forschung und Entwicklung.
Künstliche Intelligenz (KI) ist natürlich ein großes Thema, auch wenn viele denken, das gäbe es in Deutschland nicht. Man muss in der zweiten und dritten Reihe suchen. In welchen Sektoren kann die KI zum Beispiel zur Anwendung kommen. Im Finanzsektor können durch KI viele Prozesse automatisiert werden, was zu erheblichen Effizienzsteigerungen führen kann. Auch in der Medizintechnik und Pharmabranche sehe ich großes Potenzial für KI-Anwendungen.
Ein weiterer wichtiger Trend ist Automatisierung – da haben wir in Deutschland wirklich sehr gute Unternehmen. Aufgrund des demografischen Wandels und steigender Lohnkosten wird das immer wichtiger. Die Automobilindustrie ist hier schon weit, aber wir sehen, dass sich dieser Trend auf viele andere Sektoren ausweitet.
Auch Themen wie Elektrifizierung und Energieeffizienz sind für viele deutsche Industrieunternehmen relevant. Mit Blick auf Emissionsvorgaben und steigende Energiekosten entwickeln viele Firmen innovative Lösungen, sei es für effizientere Transportmittel oder intelligente Gebäudetechnik.
Was ist das Beste an Ihrem Job und gibt es auch Schattenseiten?
Reeh: Das Beste ist definitiv, dass man nie auslernt. Es wird nie langweilig. Nehmen Sie die Corona-Krise; plötzlich musste man komplett umdenken. Geschäftsmodelle, die vorher solide erschienen, standen plötzlich auf wackeligen Beinen, während andere unerwartet profitierten. Diese Herausforderung, immer „Out of the Box“ zu denken, macht den Job so spannend.
Die Schattenseite ist, dass es oft schwer ist, abzuschalten. Wenn ich am Wochenende Nachrichten lese, denke ich automatisch: „Was bedeutet das für mein Portfolio? Das ist Fluch und Segen zugleich.
Sie haben sich in der männerdominierten Finanzbranche einen Namen gemacht. War Ihnen von Anfang an bewusst, dass Sie als Frau in dieser Branche eine Ausnahme sein würden?
Reeh: Ehrlich gesagt, als ich anfing, mich für diesen Bereich zu interessieren, war mir das nicht so bewusst beziehungsweise es spielte für mich auch keine Rolle. Es gab keinen Moment, in dem ich dachte: „Oh, ich sehe keine Frau in einer Vorbildfunktion, also traue ich mir das nicht zu“.
Haben Sie eine Idee, wie man mehr Frauen für Jobs im Fondsmanagement begeistern könnte?
Reeh: Das ist tatsächlich eine sehr komplexe Frage. Ich denke, das Wichtigste ist, dass ein grundsätzliches Interesse vorhanden sein muss.
Ein Ansatzpunkt könnte sein, schon in der Schule mehr über Finanzthemen zu sprechen.
Wenn man das Thema früher ins Bewusstsein rückt, könnte das dazu führen, dass mehr junge Frauen es als möglichen Karriereweg in Betracht ziehen. Gewisse Finanz-Events, die dezidiert auf Frauen und Finanzen ausgerichtet sind, können hier auch helfen. Wir haben bei der DWS positive Erfahrung mit unseren sogenannten „Female Finance Talks“ gemacht. Bei diesen Networking-Veranstaltungen geht es darum, Frauen zu zeigen, dass Kapitalmärkte Spaß machen können. Damit wollen wir sie dazu ermutigen, aktiv an den Kapitalmärkten teilzunehmen und so ihren Vermögensaufbau in die eigenen Hände zu nehmen.
Am Ende des Tages geht es wirklich um das grundlegende Interesse. Man kann niemanden zwingen, sich für Finanzen zu begeistern, egal ob Mann oder Frau. Und manchmal habe ich den Eindruck, dass es sich dabei ein Stück weit auch um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung handelt. Es wird von vielen Frauen als unüblich betrachtet, sich mit Kapitalmärkten befassen, weshalb man sie dann tatsächlich meidet.
Wie wichtig ist Netzwerken generell in Ihrer Branche? Sind Sie Teil von speziellen Frauennetzwerken?
Reeh: Netzwerken ist in unserer Branche enorm wichtig, sowohl für die Karriere als auch für den fachlichen Austausch. Ich pflege einen Kreis an externen und internen Kontakten, mit denen ich mich regelmäßig austausche. Dieser Austausch hilft enorm, den eigenen Horizont zu erweitern und neue Perspektiven zu gewinnen.
Über die Interviewte
Sabrina Reeh ist Senior Portfolio Managerin bei der DWS. Sie verwaltet den