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Bergos-Investmentchef Saure-Gurken-Sommer an den Börsen

Joe Biden
Joe Biden, 46. Präsident der Vereinigten Staaten: Die USA befindet sich im wirtschaftlichen Aufholkurs und wird die Corona-Delle aus dem Jahr 2020 mehr als wettmachen, so Till Budelmann, Investmentchef der Schweizer Privatbank Bergos. | Foto: imago images / UPI Photo

Wir sehen derzeit sehr starke Zahlen, sowohl für den gesamtwirtschaftlichen Bereich als auch auf Unternehmensebene. Als Konsequenz haben wir unsere ohnehin schon optimistischen Prognosen weiter angehoben und erwarten in den wichtigsten Regionen eine stärkere Erholung als der Durchschnitt der Ökonomen. Für die USA gehen wir von einem Wirtschaftswachstum von 7,2 Prozent für 2021 aus – was den 2020er-Rückgang um 3,5 Prozent mehr als wettmacht. In der Eurozone rechnen wir für dieses Jahr mit einem Zuwachs von 4,5 Prozent, dabei in Deutschland von 3,8 Prozent und in der Schweiz von 2,5 Prozent. Wachstums-Spitzenreiter bleibt China. Hier erwarten wir, dass die staatlichen Behörden ein Plus von 9 Prozent für das Gesamtjahr vermelden werden.

Keine politischen Hindernisse

Untermauert wird die wirtschaftliche Erholung durch den Impffortschritt und eine weiterhin historisch expansive Geld- und Fiskalpolitik. Die Konsumenten sind in bester Laune, die privaten Haushalte haben in der Coronakrise viel Geld gespart, das nun ausgegeben werden kann. Darüber hinaus beginnen Unternehmen ihre Investitionsausgaben für Anlagegüter zu erhöhen. Von politischer Seite erwarten wir keine großen Hindernisse. In den USA ist nicht mit übermäßig starken Steuererhöhungen zu rechnen. Auch von der anstehenden Bundestagswahl in Deutschland, die für die globale Wirtschaft ohnehin von relativ geringer Bedeutung ist, droht kein Ungemach: Eine grün-rot-rote Regierung, die ein erhebliches Risiko für Wirtschaft und Finanzmärkte in Deutschland und damit Europa darstellen könnte, ist derzeit eher unwahrscheinlich. Wir rechnen im Basisszenario mit einem Kanzler Armin Laschet, in dessen Umfeld wirtschaftsfreundlichere Kräfte um Friedrich Merz und Carsten Linnemann eine gewisse Rolle spielen sollten.

Börse belohnt nicht mehr

Auf Unternehmensebene steigen die Gewinne signifikant, viele Firmen liefern positive Überraschungen. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass die Aktienkurse ihre schwungvolle Aufwärtsbewegung ungebremst fortsetzen. Unternehmen wurden zuletzt an der Börse nicht mehr so stark belohnt, wenn sie mit ihren Zahlen die Erwartungen übertreffen. Das ist ein Zeichen dafür, dass inzwischen sehr viel Positives in den Kursen eingepreist ist. Gleich nach der US-Präsidentschaftswahl im November 2020 war Bergos mit Aktien ins Übergewicht gegangen. Jetzt wurde die Aktienpositionierung auf neutral zurückgenommen. Die starken Kurszuwächse in den vergangenen Monaten haben die relative Attraktivität von Aktien gegenüber Anleihen weiter schrumpfen lassen. Die Differenz zwischen der Gewinnrendite der Aktien im US-Index S&P 500 und der Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen hat sich verkleinert, sie liegt nur noch minimal über dem historischen Durchschnitt. Hinzu kommt das stetig verbesserte Sentiment, das ein guter Kontraindikator ist. Ein weiteres, wenn auch weniger ausschlaggebendes Argument ist die Saisonalität. So gehört der Juni zu den historisch schlechtesten Börsenmonaten, gerade wenn der Jahresstart gut war. 

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Disinflations-Phase ist beendet

Für die kommenden Monate rechnen wir mit einer „Saure-Gurken-Zeit“: Im Frühsommer dürften wir eine volatile Seitwärtsbewegung sehen. Die Märkte sind nervöser geworden. Die Anlagestile Growth und Value wechseln sich in der Gunst der Anleger ab. Erst im Spätsommer lässt sich besser abschätzen, ob der aktuelle Inflationsanstieg wirklich nur primär temporärer Natur gewesen sein wird. Nach einem Jahrzehnt der Disinflation dürfte die Teuerung wieder anziehen. Nach der Finanzkrise dominierten Austerität und Deleveraging, während sich die Unternehmen mit Investitionen zurückhielten. Jetzt sehen wir einen klaren Paradigmenwechsel. Wir sind in einer neuen Phase, es ist aber noch schwer abschätzbar, wie stark die temporären Einflüsse auf die Inflation sind. Leitzinserhöhungen erwarten wir in den USA in diesem Jahr jedoch nicht mehr und in der Eurozone ohnehin nicht. Die Notenbanken zeigen eine erhöhte Inflationstoleranz, auch da die Teuerungsrate in den vergangenen Jahren in der Regel überschätzt wurde. Das birgt die Gefahr, dass sich die Zentralbanken zu einem späteren Zeitpunkt bei zu viel Toleranz in Bedrängnis manövriert haben könnten. Für 2021 erwartet Bergos eine Inflation in den USA von 2,9 Prozent und von 2,6 Prozent für 2022 – nach nur 1,2 Prozent im vergangenen Jahr.

Strukturelle Gewinner Übergewichten, Duration senken

Im Aktienbereich bevorzugen wir aktuell zyklische Konsumwerte und Grundstoff-Aktien. Diese sind in den vergangenen Monaten bereits gut gelaufen und der Trend dürfte sich fortsetzen. Viele dieser Werte sind in Europa zu finden, wo sich dank des mittlerweile guten Impffortschritts die Stimmung verbessert hat. Daneben setzen wir auf ein Übergewicht von strukturellen Gewinnern, etwa aus den Sektoren IT und Kommunikation. Diese Unternehmen stammen vor allem aus den USA und zum Teil aus Asien. Untergewichtet hingegen haben wir defensive Value-Titel wie den Basiskonsumsektor. Im Anleihebereich rechnen wir mit steigenden Renditen. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen, die derzeit um die 1,6 Prozent liegt, dürfte sich bis zum Jahresende Richtung 2 Prozent bewegen. Daher haben wir die Duration der US-Anleihen verkürzt. Das passt auch zu unserer gesamtwirtschaftlichen Prognose.

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