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Schlagwort mit Fragezeichen Die „finanzielle Freiheit“ ist ein Mythos

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FF-Variante 3: Durch Existenzgründung zur finanzielle Freiheit

Den Vertretern dieses, im Vergleich zur vorigen Variante "weniger gemütlichen" Ansatzes zufolge, schlägt man mit ihm gleich drei FF-Unterziele mit einer Klappe: Erstens, als Firmengründer muss man sich nichts mehr von seinem bisherigen, inkompetenten Chef sagen lassen, ist also ab Tag eins schon "freier" als zuvor. Zweitens kann man nun endlich seine Kreativität "befreien" und drittens wird man, da der bisherige Vorgesetzte als ewiger Bremser entfällt, fast zwangsläufig auch mehr Geld verdienen. Zwei Bücher zu diesem FF-Ansatz sind "Rente mit 28 – In wenigen Jahren zur Finanziellen Freiheit" von Lars Joppich und "Passives Einkommen durch T-Shirts. Schritt für Schritt online Geld verdienen" von Theodor Schäfer. Auch beim Lesen dieser Titel könnte man zeitweilig dem Irrtum aufsitzen, es handele sich um Satire. Der Autor des erstgenannten Buches vertritt die mutige These, dass das Ausscheiden aus dem Angestelltendasein zum Zweck einer Existenzgründung gleichzusetzen sei mit dem Beginn der "Rente".

FF-Variante 4: Sich in die finanzielle Freiheit sparen

Hier wird propagiert, aus der "Konsumgesellschaft" auszusteigen, keine "überflüssigen" oder "sinnlosen" Produkte mehr zu kaufen und generell "radikal weniger Geld zu verschwenden". Praktisch bedeutet das, seine Konsumausgaben dauerhaft um 70 Prozent oder mehr zu senken. Im Ergebnis kann man sich leisten, deutlich weniger zu arbeiten, also zum Beispiel nur noch einen Tag die Woche oder nur noch sechs von zwölf Monaten. Daraus resultieren naturgemäß mehr Spaß und Lebensgenuss. Ferner schont man dabei die Umwelt, denn man verbraucht nur noch, was "wirklich notwendig ist".  Hierzulande nennt sich dieser FF-Ansatz "finanzieller Minimalismus", im amerikanischen Original "Frugalism". Dahinter verbirgt sich Brachialsparen als Pfad zur FF. Frugalismus hat sich mittlerweile zum weltweit dominierenden FF-Konzept entwickelt. Die Bücher und Blogs dazu haben längst die Grenze der Zählbarkeit passiert. Der vielleicht berühmteste Frugalist ist Mr. Money Mustache in den USA.

Zwischenfazit

Die unterschiedlichen Rezepte, die insgesamt rund um die emanzipatorisch klingende Sprechblase "finanzielle Freiheit" vermarket werden, sind entweder trivial ("gib nur Geld für wirklich wichtige Dinge im Leben aus"), schließen sich gegenseitig aus ("raus aus dem Hamsterrad" versus "werde schnell reich") oder sind altbekannte, abgedroschene Investmentpornographie ("die erste Million in sieben Jahren" etc.). [1]

Der Düsseldorfer Arzt und Finanzblogger Dr. Holger Grethe (www.zendepot.de) veröffentlichte 2017 einen hellsichtigen Artikel mit dem Titel "Finanzielle Freiheit ist eine Illusion". Grethe hat Recht. Wer etwas genauer nachdenkt, muss zum selben Schluss kommen. Warum hält er FF für eine Schimäre?

Unterstellen wir für einen Augenblick, jemand – nennen wir ihn Hans – hat bereits einen tollen, ihn intellektuell und ethisch erfüllenden Job mit intelligenten, sympathischen Kollegen. Hans verdient 6.400 Euro netto, also viermal so viel wie ein durchschnittlicher deutscher Arbeitnehmer (gemessen am Median-Arbeitnehmereinkommen). Sein Gehalt empfindet Hans als angemessen und mehr als auskömmlich. Ist Hans "finanziell frei" oder wenigstens auf dem Weg zur finanziellen Freiheit? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Hans' überaus wertvolles Humankapital, aus dem er sein hohes Einkommen bezieht – noch dazu in einem mental und moralisch befriedigenden Job –, könnte von heute auf morgen implodieren und wertlos werden. Man denke an eine schwere Krankheit, einen tragischen Unfall oder den Konkurs seines Arbeitgebers. Dann wäre es aus mit den 6.400 Euro – heute und im schlimmsten Fall für den Rest seiner Tage. Auch Hans ist in dieser Perspektive – und das ist kurioserweise die Perspektive der FF-Apostel selbst – nicht wirklich "finanziell frei". Auch er ist – wie wahrscheinlich 99,9 Prozent von uns – abhängig vom Fortbestand einiger zentraler positiver Faktoren (viele davon sehr fragil) und der Abwesenheit vieler negativer Faktoren in seinem Leben und seiner Umwelt.

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