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Finanzprofis über Weidmanns Rücktritt „Scholz' neue Regierung scheint ihr erstes Opfer gefunden zu haben“

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Dies macht es sicherlich nicht wahrscheinlicher, dass die EZB auf absehbare Zeit aus ihrer sehr expansiven Geldpolitik aussteigt, obwohl die Inflationsrisiken zuletzt deutlich gestiegen sind. Ich teile nicht die Erwartung der Zinsmärkte, dass die EZB ihren Leitzins schon im nächsten Jahr anhebt. Stattdessen erwarte ich weiter, dass die EZB nach einem Ende des PEPP-Kaufprogramms im Frühjahr 2022 das APP-Kaufprogramm aufstocken wird. So wird sie weiter die hochverschuldeten Staaten vor allem im Süden der Währungsunion unterstützen.

Stefan Kreuzkamp, Investmentchef der DWS

Jens Weidmann galt als ein ausgewiesener geldpolitischer Falke innerhalb des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB), der seine Skepsis, gerade gegenüber dem Wertpapierankaufprogramm der EZB äußerte. Die Änderung der geldpolitischen Strategie mit dem neuen symmetrischen Inflationsziel von 2 Prozent wurde aber auch von der Bundesbank mitgetragen.

Auffällig ist vor allem der Zeitpunkt. Möglicherweise wollte Weidmann noch das Ende der Strategieüberprüfung abwarten – er galt auch bei der Berücksichtigung von ökologischen Aspekten in der Geldpolitik eher als Skeptiker. Auch der Ausgang der Bundestagswahl könnte in seinen Überlegungen indirekt eine Rolle gespielt haben. Immerhin war Weidmann ein enger Vertrauter von Angela Merkel. Im geänderten politischen Klima hätte er vermutlich noch weniger Rückendeckung aus Berlin für etwaige deutsche Alleingänge in der Geldpolitik erwarten können.

Nach dem Rücktritt Weidmanns obliegt es der neuen Bundesregierung einen Nachfolger zu bestellen, der Deutschland mit einer gewichtigen Stimme im Rat vertritt. Grundsätzlich erwarten wir aber keine Veränderung in der geldpolitischen Ausrichtung der EZB. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass die EZB im Dezember 2021 – wenn Bundesbankpräsident Weidmann noch im Amt sein wird – ihre Geldpolitik neu kalibrieren wird. Wir erwarten, dass sie 2022 ihr Anleiheankaufprogramm deutlich reduzieren wird. Über den Nachfolger oder die Nachfolgerin kann nur spekuliert werden. Es ist jedoch fraglich, ob er oder sie ein ähnlich ausgewiesener Falke sein wird. Damit würde der EZB-Rat womöglich noch etwas pragmatischer sein als er ohnehin schon ist. Wir gehen jedenfalls nicht davon aus, dass die Entscheidung von Jens Weidmann zum Rückzug Ende dieses Jahres wesentliche Auswirkungen auf die Zinsen im Euroraum haben wird.

Thanos Papasavvas, Gründer und Investmentchef von ABP Invest

Ich war traurig und enttäuscht über den gestrigen Rücktritt Weidmanns. Abgesehen von der persönlichen Verbundenheit, die ich seit meiner ersten Begegnung mit ihm während der Krise in der Eurozone empfinde, teilten wir auch gemeinsame Ansichten über Inflationserwartungen und die Entwicklung der EZB hin zu einer stärker politisierten Institution, die sich von der geldpolitischen Orthodoxie entfernt.

Neben dem Karlsruher Verfassungsgericht an der Spitze der angesehensten Institution in Deutschland zu stehen, ist keine leichte Aufgabe. Man muss den Mut haben, auch gegen Widerstände und Druck an seinen Überzeugungen festzuhalten, wie es Weidmann bei der EZB seit Jahren getan hat. Mario Draghi verspottete ihn als „Nein zu allem“-Sager für seinen Widerstand gegen die reichlich ins System gespülte Liquidität, eine potenzielle Inflationsgefahr mit strukturellen Ungleichgewichten verbunden mit moralischem Fehlverhalten.

Warum sein Rücktritt jetzt, nur ein paar Jahre in seiner zweiten achtjährigen Amtszeit? Bisher hatte er den Bundestag auf seiner Seite, die finanzkonservative Regierungspartei CDU/CSU, die in den letzten 16 Jahren dieselben finanziellen und wirtschaftlichen Werte vertrat. Seine Beziehung zu Merkel war in den letzten Jahren wackelig; anfangs war er ihr vertrauter Berater, als sie ihn als jüngsten Bundesbankpräsidenten aller Zeiten vorschlug, aber ihre ideologischen Differenzen wurden größer, als Merkel die Partei und die Politik mehr in die Mitte rückte – der springende Punkt war, dass sie Draghi die Erlaubnis gab, „alles zu tun, was nötig ist“. In jüngerer Zeit musste Merkel 2019 eine Entscheidung treffen: Schlägt sie Weidmann für die EZB-Präsidentschaft oder Manfred Weber für die EU-Kommissionspräsidentschaft vor? Sie entschied sich für Letzteren, der aufgrund seines schlechten Ansehens bei Technokraten und nationalen Vertretern scheiterte, was Macron die Möglichkeit gab, stattdessen Ursula von der Leyen vorzuschlagen. Aber man konnte nicht zwei Deutsche auf diesen beiden Schlüsselpositionen haben, also wurde Weidmann beiseite gelassen und Macron setzte seine eigene (Christine) Lagarde als EZB-Präsidentin ein. (Einer der größten Coups von Macron, wie wir damals diskutierten).

Warum also jetzt? Warum ist Weidmann jetzt zurückgetreten? Wir glauben, es ist die Erkenntnis, dass die neue Regierung seine grundlegenden fiskalkonservativen Prinzipien, Normen und Werte nicht teilen wird. Er hatte bereits eine offene Front in Frankfurt mit der EZB, eine zweite Front in Berlin gegen SPD und Grüne konnte er nicht bewältigen. Daraus hat die Geschichte, gerade in dieser Region, reichlich Lehren gezogen.

Obwohl Scholz' neue Regierung noch nicht im Amt ist, scheint sie bereits ihr erstes Opfer gefunden zu haben.

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