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Interview mit Philipp Wedekind zur Schüler-BU

DAS INVESTMENT: Wie hat sich das Thema Schüler-BU in der jüngeren Vergangenheit entwickelt und kam in den Fokus von Franke und Bornberg?
Philipp Wedekind: Das Thema ist in der Branche derzeit sehr präsent, denn Versicherer suchen händeringend neue Zielgruppen, um mehr BU-Geschäft zu machen. Es gibt mittlerweile viele Versicherer, die Schüler-Produkte und Schüler-Klauseln in den Bedingungswerken eingeführt haben, zuletzt die Zurich mit dem Produkt „Junior-BU“. Viele Versicherer haben das Eintrittsalter abgesenkt. Das lag früher in der Regel bei 14 oder 16 Jahren. Mittlerweile sind es bei vielen Versicherern zehn Jahre
Schüler sind eine attraktive Zielgruppe, da sie noch jung und in der Regel gesund sind. Zudem sind die Prämien relativ gering. Deshalb haben wir das Thema vergangenes Jahr auf der DKM in unserem AKS-Kongress aufgegriffen und diesem Bereich deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
Sie hatten sich zuletzt durchaus kritisch zum Thema Schüler-BU geäußert. Worin besteht die Kritik?
Wedekind: Die Kalkulation einer Schüler-BU für den Versicherer ist extrem schwer, denn der Lebens- und Berufsweg von Schülern ist natürlich schwer vorauszusagen. Zudem haben die Verträge sehr lange Laufzeiten. Bei Schülern sprechen wir von 50 Jahren plus. Und in dieser langen Zeit entwickeln sich natürlich auch die Arbeitswelt und gesundheitliche Themen enorm weiter. Zum Beispiel betrifft das Thema Psyche in Verbindung mit den Maßnahmen für Kinder und Schüler in der Corona-Pandemie und deren verheerende Folgen auch die Berufsunfähigkeitsversicherung.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Versicherer bislang über wenig belastbare Daten zur späteren beruflichen Entwicklung verfügen. Es fehlen valide Erkenntnisse darüber, ob zum Beispiel Gymnasiasten tatsächlich akademische Laufbahnen einschlagen oder Realschüler handwerkliche Berufe ergreifen. Auch die Schadenwahrscheinlichkeit von Schüler-Tarifen lässt sich noch nicht zuverlässig ermitteln, da diese Tarife erst seit vergleichsweise kurzer Zeit am Markt sind. Viele Unsicherheitsfaktoren also für eine Prämienkalkulation, die für die gesamte Vertragslaufzeit passen muss.
Was ist alles Gegenstand Ihrer Untersuchungen, wie gewinnen Sie die Einblicke?
Wedekind: Wir verfügen über interaktive Ratingansätze, allen voran unser BU-Unternehmensrating, mit dem wir die Qualität der Anbieter in Sachen Berufsunfähigkeit überprüfen. Wir erhalten dabei einen tiefen Einblick in die internen Prozesse, die Analyse von Schadenquoten sowie die Bewertung von Neu- und Bestandsgeschäft. Dadurch gewinnen wir ein präzises Bild der Bestandsstruktur und betrachten gezielt die unterschiedlichen Absicherungssituationen von Schülern, Studenten oder auch anderer Gruppen.
Neben der Leistungsregulierung spielen auch Aspekte wie Controlling, Antrag und Kalkulation eine Rolle. Im direkten Austausch mit den Versicherern evaluieren wir bestehende Risiken, beobachten Entwicklungen und bewerten Parameter wie die Höhe von Dynamiksätzen.
Die Versicherer haben ein ureigenes Interesse an dieser Datenerhebung, weshalb oft entsprechende Statistiken geführt werden. Allerdings fehlt beim Segment der Schüler, wie erwähnt, noch die Datentiefe, die wir bei klassischen versicherten Berufsgruppen wie Angestellten oder Selbstständigen vorfinden.
Wird das Thema Schüler-BU vor dem Hintergrund der Unsicherheiten dann nicht zu offensiv beworben?
Wedekind: Das sehen wir nicht als entscheidendes Problem. Grundsätzlich unterstützen wir das Bestreben nach einer möglichst breiten Absicherung der Arbeitskraft in der Bevölkerung. In diesem Kontext ist die Absicherung von Schülern durchaus sinnvoll.
Kritisch sehen wir jedoch die Kalkulation an sich. Die aktuellen Prämien für Schüler sind günstig und bleiben über die gesamte Laufzeit konstant – unabhängig von der späteren Berufswahl. Unsere Musterberechnungen zeigen: Ein Schüler zahlt für eine BU-Rente von 1.000 Euro etwa 40 bis 50 Euro – vergleichbar mit der Prämie eines Bankkaufmanns, jedoch deutlich unter dem Niveau handwerklicher Berufe. Je nachdem, wie sich dann der Berufsweg entwickelt, steigt natürlich auch das Risiko.
Früher beinhalteten die Versicherungsbedingungen eine Pflicht zur Nachmeldung bei Berufsaufnahme. Dies war auch verbunden mit erneuter Risikoprüfung und -einstufung hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit. Für den Kunden konnte dies zwar nachteilig sein, ermöglichte den Versicherern jedoch eine stabilere Kalkulation als die heutige lebenslange Schülereinstufung. Diese Entwicklung beruht auf dem Marktdruck, wurde durch einen Versicherer initiiert und dann branchenweit adaptiert. Diese Nachmeldepflichten gab es in den vergangenen fünf Jahren nicht mehr, sie sind quasi aus den Produkten herausgewachsen.
Wonach differenzieren die Anbieter der Zielgruppe der Schülerschaft denn überhaupt?
Wedekind: Die Differenzierung in verschiedene Berufsgruppen hat in den vergangenen Jahren bereits eine beträchtliche Komplexität erreicht. Eine weitere Unterteilung würde zu sehr kleinen Kollektiven führen, bei denen man wieder über deren Stabilität und Sinnhaftigkeit diskutieren könnte. Dies halte ich nicht für zielführend.
Die überwiegende Mehrheit der Gesellschaften differenziert zwischen den verschiedenen Schulformen – Gymnasium, Realschule, Hauptschule beziehungsweise den heute gängigen Schultypen. Nur noch wenige Anbieter operieren mit einer einheitlichen Schülerkategorie in ihrer Kalkulation, die meisten haben ihre Systematik bereits angepasst.
Aber wir sehen nicht den Unterschied bei der Prämie, den es wahrscheinlich geben müsste. Bei gleicher Versicherungshöhe beträgt der monatliche Prämienunterschied etwa fünf Euro. Angesichts der späteren Berufsausübung – sei es im kaufmännischen oder handwerklichen Bereich – erscheint diese Differenz unverhältnismäßig gering. Möglicherweise wäre ein höherer Sicherheitszuschlag auf die Prämien sinnvoll, um einen ausreichenden Kalkulationspuffer zu gewährleisten.
Sind die denn die Absicherungssummen für Schüler ausreichend?
Wedekind: Die maximal versicherbare Rentenhöhe für Schüler bewegt sich derzeit zwischen 1.000 und 1.500 Euro. Dies entspricht aus unserer Sicht dem kalkulatorisch vertretbaren Rahmen und sollte nicht überschritten werden, zumal Schüler noch über gar kein eigenes Einkommen verfügen.
Der Fokus sollte auf der Weiterentwicklung des Produkts entlang des individuellen Lebensweges liegen, insbesondere durch Nachversicherungsgarantien. Sobald eine Einkommenserhöhung vorliegt, ist eine Anpassung der BU-Absicherung kalkulatorisch und unter Stabilitätsaspekten durchaus darstellbar.
Was empfehlen Sie Vermittlern im Umgang mit dem Thema Schüler-BU?
Wedekind: Vermittler müssen verschiedene Aspekte in der Beratung berücksichtigen. Zentral ist die Fähigkeit des Versicherungsschutzes durch Dynamikmöglichkeiten und Nachversicherungsgarantien zu wachsen. Dies sollte bereits beim Vertragsabschluss beachtet werden. Ein Punkt, den wir im Dialog mit Versicherern aber regelmäßig feststellen ist, dass Nachversicherungsgarantien zu selten genutzt werden. Vermittler sollten dies als Anlass für regelmäßige Kundengespräche nutzen und bei Gehaltserhöhungen aktiv die Nachversicherungsoptionen prüfen.
Bei Absicherungszeiträumen von über 50 Jahren ist zudem die Stabilität des Versicherers von enormer Bedeutung, da die Leistungsfähigkeit über den gesamten Zeitraum gewährleistet sein muss. Aufschluss hierüber gibt beispielsweise regelmäßig unser Map-Report.
Der Wettbewerbsdruck führt zu einem permanenten Drehen an der Preisschraube und einem Überbietungswettbewerb im Bedingungswerk. Ist die Schüler-BU nur ein weiteres Beispiel dafür, wie sich die Marktsituation auf die Produktgestaltung auswirkt?
Wedekind: Wir beobachten diesen Bedingungswettbewerb bereits seit geraumer Zeit. Die Entwicklung begann mit weiteren Leistungsauslösern. Vor einigen Jahren folgte die Arbeitsunfähigkeitsklausel, an der kontinuierliche Anpassungen vorgenommen wurden. Aktuell steht das Thema Schüler beziehungsweise junge Menschen im Fokus.
Die Versicherer suchen kontinuierlich nach neuen Zielgruppen mit Wachstumspotenzial. Ein paralleles Beispiel bietet das Segment der Beamten, das in den vergangenen drei bis vier Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Vor einem Jahrzehnt war dies noch eine Spezialnische mit wenigen Anbietern wie der DBV oder Debeka. Heute bieten 20 bis 25 Versicherer entsprechende Klauseln oder eigene Produkte für Beamte an – wie etwa die Allianz oder Dialog. Die Schüler-BU fügt sich nahtlos in dieses Muster ein.
Über den Interviewten:
Philipp Wedekind, Jahrgang 1981, ist seit zwölf Jahren bei Franke und Bornberg tätig und verfügt über langjährige Erfahrung in der Analyse und Bewertung von Versicherungen. Nach seinem Studium spezialisierte er sich auf die Analyse von Versicherungsprodukten im Bereich Arbeitskraftabsicherung und absolvierte ergänzend die Ausbildung zum Fachwirt für Versicherungen und Finanzen. Später übernahm er die fachliche Leitung des Bereichs Lebensversicherung, bevor er vor zwei Jahren die Verantwortung für die Ratings im Bereich Vorsorge und Nachhaltigkeit übernahm.