Finanzexperte Jan Viebig
So hoch ist der Schuldenberg in Europa
Jan Viebig ist Investmentchef der Privatbank Oddo BHF. Foto: Oddo BHF
Um die Wirtschaft vor dem Kollaps zu bewahren, nahmen viele europäische Staaten in der Corona-Pandemie Kredite auf. Jetzt stellt sich die Frage, wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt geändert werden soll. Ein Gastbeitrag von Jan Viebig von der Privatbank Oddo BHF.
Es gibt Zeiten, in denen der Staat eine schwächelnde Wirtschaft stimulieren sollte. Und es gibt Zeiten, in denen die drückende Last der Verschuldung schrittweise zurückgeführt werden muss. Angesichts einer einbrechenden Konjunktur und steigender Arbeitslosenzahlen haben die EU-Mitgliedstaaten, die Europäische Union und die Europäische Zentralbank (EZB) während der Covid-19 Krise umfassende Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft beschlossen.
Die Bundesregierung unter Frau Merkel warb damit, dass sie die umfangreichsten Finanzhilfen der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebracht habe. Die Länder der Europäischen Union einigten sich mit dem 750 Milliarden Euro schweren...
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Es gibt Zeiten, in denen der Staat eine schwächelnde Wirtschaft stimulieren sollte. Und es gibt Zeiten, in denen die drückende Last der Verschuldung schrittweise zurückgeführt werden muss. Angesichts einer einbrechenden Konjunktur und steigender Arbeitslosenzahlen haben die EU-Mitgliedstaaten, die Europäische Union und die Europäische Zentralbank (EZB) während der Covid-19 Krise umfassende Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft beschlossen.
Die Bundesregierung unter Frau Merkel warb damit, dass sie die umfangreichsten Finanzhilfen der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebracht habe. Die Länder der Europäischen Union einigten sich mit dem 750 Milliarden Euro schweren Next-Generation-EU-Wiederaufbauplan auf ein erstmals durch gemeinsame Schulden finanziertes Hilfsprogramm.
Die Europäische Zentralbank unterstützte die Wirtschaft durch niedrige Zinsen und das Pandemic Emergency Purchase Programm (PEPP), ein zeitlich befristetes Programm zum Ankauf von Anleihen öffentlicher und privater Schuldner mit einem maximalen Volumen von 1.850 Milliarden Euro.
Die Wirtschaft in der Eurozone wird im Jahr 2022 real um 4,2 Prozent wachsen nach Schätzungen der EZB vom Dezember 2021. Die Wirtschaftsleistung der meisten EU-Mitgliedstaaten dürfte in diesem Jahr das Vorkrisenniveau trotz Lieferkettenproblemen und Covid-19 wieder überschreiten. Im März 2020 war eine solch schnelle volkswirtschaftliche Erholung kaum vorstellbar. Dies ist auch ein Erfolg der raschen Hilfsmaßnahmen der nationalen Regierungen, der EU und der EZB.
Den umfangreichen Hilfsprogrammen muss nun aber eine systematische Rückführung der Schulden folgen. Denn angesichts der drückenden Schuldenlast fehlt schon heute der Spielraum für künftige Investitionen und makroökonomische Stabilisierungsmaßnahmen. Wir sind schlecht für die nächste Krise vorbereitet. Angesichts steigender Zinsen ist die Zeit des schmerzlosen Schuldenmachens vorbei.
Die Staatsschulden sind in der Eurozone relativ zum Bruttoinlandsprodukt von 73 Prozent Anfang 1999, dem Zeitpunkt der Einführung des Euros als Buchgeld, auf 100 Prozent Ende 2021 (Schätzung der EU-Kommission) gestiegen. In den beiden großen Volkswirtschaften Italien und Frankreich ist der Anstieg der Schuldenlast besonders dramatisch.
Anfang 1999 beliefen sich die Staatsschulden in Frankreich auf 829 Milliarden Euro bei einem Bruttoinlandsprodukt von 1.343 Milliarden Euro. Heute belaufen sich die Staatsschulden auf 2.835 Milliarden bei einem Bruttoinlandsprodukt von 2.474 Milliarden Euro. Die Verschuldungsquote ist damit in 23 Jahren von 62 Prozent auf 115 Prozent gestiegen.
Ein Anstieg um satte 53 Prozentpunkte. In Italien hat die Schuldenquote relativ zum Bruttoinlandsprodukt von 114 Prozent im Jahr 1999 auf 154 Prozent zugenommen – ein Anstieg von 40 Prozentpunkten (siehe Grafik).
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