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Volkswirt Holger Schmieding
Schuldenbremse lockern – aber wie?

Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Foto: Berenberg Bank / Canva
Deutschland braucht eine Schuldenbremse. Ohne einen klaren Deckel für die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand könnte der Staatshaushalt wie in den ersten 15 Jahren nach der Wiedervereinigung aus dem Ruder laufen. Aber der Deckel muss passen. Holger Schmieding nennt fünf Punkte, die bei der Schuldenbremse angepasst werden sollten.
In ihrer jetzigen übermäßig rigiden Form droht die Schuldenbremse, das Wachstum abzuwürgen, den Wandel zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu behindern und die Verteidigungsfähigkeit des Landes weiter einzuschränken.
Die Diskussion wird sich in den kommenden Wochen voraussichtlich noch einmal zuspitzen. Anfang Juli will die Ampelkoalition dem Bundestag einen Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 vorlegen, der der aktuellen Schuldenbremse genügt. Dafür muss sie noch bis zu 25 Milliarden Euro einsparen. Einen einfachen Ausweg gibt es politisch offenbar nicht. Die FDP möchte keine neue Notlage ausrufen, die juristisch ohnehin nicht einfach zu begründen wäre. Und die nötige Zweidrittelmehrheit für eine Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz ist derzeit noch nicht in Sicht.
Ampel hat kein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen
Da keine der drei Regierungsparteien ein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen hat, wird die Ampel sich voraussichtlich einigen. Vermutlich wird sie dazu auch auf einige Tricks zurückgreifen müssen, zu denen sogenannte „globale Minderausgaben“ (konkret: wir vertagen die Entscheidung über einige Kürzungen) und eine neue Art gehören könnten, den konjunkturbereinigten Haushaltssaldo zu berechnen. Aber ohne schmerzhafte Einschnitte wird es nicht gehen. Vor allem fehlt der Spielraum, durch niedrigere Steuern bessere Anreize für mehr Investitionen und mehr Arbeit zu setzen.
Zur aktuellen Schwäche der öffentlichen und privaten Investitionen
Gerade den unterfinanzierten Kommunen mangelt es an Mitteln für mehr Investitionen, während der Privatsektor auf im internationalen Vergleich wettbewerbsfähigere Unternehmenssteuern und schnellere Abschreibungsbedingungen wartet. Dazu kommt ein weiterer Faktor: Seit zwei Jahren ist die Unsicherheit über die künftige Wirtschaftspolitik, wie sie von Economic Policy Uncertainty (policyuncertainty.com) regelmäßig gemessen wird, in Deutschland weit höher als beispielsweise in Frankreich, Italien und Großbritannien.
Nachdem die Diskussion über Heizungsgesetz und Energiepolitik etwas abgeflaut ist, trägt seit dem Urteil des Verfassungsgerichtes zur strikten Auslegung der Schuldenbremse vom Herbst 2023 auch der fortlaufenden Sparzwang zur Unsicherheit bei. Wo wird künftig gespart, auf welche Einschnitte müssen wir uns einstellen, was kann künftig noch gefördert werden? Diese Fragen bewegen Bürger und Investoren. Unsicherheit belastet Konsum und Investitionen. Auch in diesem Sinne ist die aktuelle Schuldenbremse zur Wachstumsbremse geworden.
Eine sachgerechte Schuldenbremse sollte von der jetzigen Regel in fünf Punkten abweichen:
- Der Deckel für das strukturelle – also um Konjunktureffekte bereinigte – Defizit wird von 0,35 auf 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes angehoben. Dies entspricht der im EU-Fiskalpakt aus dem Jahr 2013 festgeschriebenen Grenze von 1 Prozent für Staaten mit einer Schuldenquote von unter 60 Prozent. Mit einem jährlichen Fehlbetrag von 1 Prozent könnte die deutsche Schuldenquote in 25 Jahren auf etwa 50 Prozent sinken.
- Ein Anteil an dem zusätzlichen Spielraum wird den Bundesländern zugesprochen, vielleicht 0,4 Prozentpunkte von den insgesamt 1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Gerade die Länder müssen sich auf hohe Bildungskosten und steigende Pensionslasten einstellen. Aber vor allem sollten sie den Gemeinden mehr Mittel für Investitionen gewähren. Politisch dürfte dies helfen, auch im Bundesrat die notwendige Zweidrittelmehrheit für eine Reform zu erreichen.
- Die strukturelle Nettokreditaufnahme von Bund und Ländern darf ihre Nettoinvestitionen einschließlich der Ausgaben für Rüstungsgüter nicht übersteigen, wobei die Nettoinvestitionen der Gemeinden den Ländern zugerechnet werden. Da die Nettoinvestitionen des Staatssektors bereits seit 1995 um die Nulllinie schwanken, würde dies die aktuelle Schuldenregel sogar noch etwas in die gewünschte Richtung hin zu mehr Investitionen verschärfen. Damit der Gesetzgeber nicht den Begriff der Investitionen dehnen kann, nach dem Motto, dass nahezu jede Staatsausgabe ja eine Investition in die Zukunft des Gemeinwesens sei, sollte dieser Begriff sich an dem vom Gesetzgeber nicht willkürlich zu beeinflussenden Konzept aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausrichten. Als unabhängige Instanz könnte beispielsweise der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) die Aufgabe übernehmen, das Zahlenwerk entsprechend zu prüfen.
- Bund und Länder erhalten nach dem Ende einer außergewöhnlichen Notlage ein weiteres Jahr Zeit, ihre Defizite auf die erlaubte Höchstgrenze zurückzuführen.
- Die Pflicht zur Tilgung von bereits aufgenommenen Sonderschulden wird ausgesetzt, sofern die Schuldenquote insgesamt nicht 60 Prozent übersteigt.
Reform der Schuldenregel nötig
Wirtschaftlich gesehen sollte die Schuldenregel möglichst bald reformiert werden. Der Bedarf für zusätzliche Investitionen ist da. Politisch mag eine Reform bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 kaum durchsetzbar sein. Auch wenn der erhebliche Sparbedarf für den Bundeshaushalt 2025 die Diskussion noch einmal anheizen dürfte, haben Union und FDP offenbar kaum einen Anreiz, sich vor dem Wahltermin im Herbst 2025 auf eine Reform des Fiskalkorsetts einzulassen.
Danach dürfte die Lage sich aber schlagartig ändern. Es ist kaum eine politische Konstellation denkbar, in der die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form die nächsten Koalitionsverhandlungen überstehen wird. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird jede neue Regierung wieder ein Bündnis von mindestens jeweils einer Mitte-Rechts- und einer Mitte-Links-Partei sein müssen. Gerade angesichts des Zwanges zur späteren Tilgung der bereits aufgelaufenen Sonderschulden werden SPD und/oder die Grünen kaum einen Kandidaten der Union zum Kanzler wählen, wenn sie dafür im Koalitionsvertrag kräftigen Einschnitten bei den Sozialausgaben zustimmen müssten.
Auch wenn Vorschläge für eine bessere Schuldenbremse bis zum Herbst 2025 politisch wahrscheinlich kaum umsetzbar sind, ist es für Volkswirte, Politiker und Wähler besser, sich darüber bereits vorher Gedanken zu machen. Sonst bestünde die Gefahr, dass in den Koalitionsverhandlungen im Spätherbst 2025 mit heißer Nadel neue Regeln gestrickt werden, die dann wiederum nicht hinreichend sachgerecht sind.