- Startseite
-
Jurist erläutert das Wirken von Shortsellern an 4 Beispielen

Im Bereich der Kapitalanlagen spielen Shortseller eine bedeutende, wenn auch oft kontrovers diskutierte Rolle. Shortselling, oder die Durchführung von Leerverkäufen, ist eine Anlagestrategie, bei der Investoren auf den Absturz eines Aktienkurses spekulieren. Leerverkäufer schließen Wetten auf den Kursrückgang eines Wertpapiers ab und profitieren in finanzieller Hinsicht, wenn der Aktienkurs tatsächlich einbricht und diese Wette damit aufgeht. Während Händler Leerverkäufe somit als Spekulationsobjekt nutzen, können Anleger oder Portfoliomanager wiederum Shortselling auch zur Absicherung gegen das Abwärtsrisiko eines Investments einsetzen.
Die Praxis des Shortsellings kann bedeutende Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmen und deren Aktienkurse haben. Umstritten ist diese vor allem dann, wenn – wie in den letzten Jahren einige Male zu beobachten war – die Shortseller die Aktienkurse durch Veröffentlichung eigener Recherchen selbst derart beeinflussen, dass sie ganz erheblich davon profitieren. Neben den Positivbeispielen Wirecard und Steinhoff sind auch die in Spanien ansässige Grifols sowie die Schweizer Temenos das Ziel von Shortsellern geworden, jeweils mit unterschiedlichen Ergebnissen.
Steinhoff und Wirecard: Shortseller als Korrektiv am Kapitalmarkt
Steinhoff N.V. war eine niederländische multinationale Holdinggesellschaft mit einer doppelten Notierung an der Frankfurter und der Johannesburger Börse. Im Laufe von fünf Jahrzehnten wuchs Steinhoff von einem kleinen deutschen Möbelunternehmen zum zweitgrößten europäischen Mehrmarken-Einzelhändler für Heimtextilien heran.
Steinhoff war eine große Erfolgsgeschichte – bis Anfang Dezember 2017, als das Unternehmen den Markt plötzlich darüber informierte, dass sein Jahresabschluss aufgrund „bestimmter Angelegenheiten und Umstände“, die einer weiteren Prüfung bedürfen, einschließlich einer unabhängigen Untersuchung möglicher Unregelmäßigkeiten in der Rechnungslegung, nur in ungeprüfter Form veröffentlicht werden würde.
Während das Unternehmen in seiner öffentlichen Kommunikation (absichtlich) vage blieb und schließlich den Bericht seiner internen Untersuchung nie veröffentlichte, brachte die Publikation eines Berichts des Leerverkäufers Viceroy Research LLC wenige Tage später deutlich mehr Licht in die Sache. Er zeigte überzeugend die künstliche Aufblähung des Nettogewinns, nicht offengelegte Transaktionen mit Dritten und andere besorgniserregende Erkenntnisse auf. Der Aktienkurs von Steinhoff stürzte daraufhin ab und Steinhoff wurde von seinen Aktionären verklagt. Diese Klage führte im Jahr 2021 zum zweitgrößten Vergleich in einer Aktionärsklage außerhalb der USA in Höhe von 880 Millionen Euro.
Wirecard bietet ein sehr eindrucksvolles Beispiel dafür, wie dramatisch die Auswirkungen des Shortsellings sein können. Über viele Jahre hinweg verzeichnete Wirecard ein beeindruckendes Wachstum und wurde sogar in den Dax aufgenommen. Im Laufe der Zeit wurden dann die Unternehmensbilanzen zunehmend in Frage gestellt. Shortseller, darunter das britische Research-Unternehmen Shadowfall oder der amerikanische Investor Muddy Waters, spielten eine ganz entscheidende Rolle dabei, Unstimmigkeiten und schließlich betrügerische Bilanzierungspraktiken bei Wirecard aufzudecken. Ihre Berichte und Analysen, gestützt durch Recherchen von investigativen Journalisten, insbesondere der Financial Times, trugen dazu bei, dass der Aktienkurs von Wirecard schließlich einbrach, als sich die Betrugsvorwürfe als wahr herausstellten.
Dieser Fall zeigt somit, wie Shortseller zu einer verbesserten Markttransparenz beitragen können, indem sie als Korrektiv zu Marktübertreibungen und -manipulationen wirken.
Grifols: Vorwürfe nicht ganz zutreffend
Grifols SA, ein führendes Unternehmen im Bereich der Biotherapeutika und insbesondere bekannt für seine Plasmaprodukte, geriet ebenfalls ins Visier von Shortsellern. Das Unternehmen, welches durch zahlreiche Übernahmen schnell expandierte, sah sich mit Skepsis hinsichtlich seiner hohen Schuldenlast und der Nachhaltigkeit seines Wachstums konfrontiert.
So veröffentlichte etwa Gotham City Research Anfang Januar 2024 einen 65-seitigen Bericht, in dem unter anderem behauptet wird, dass Grifols seine ausgewiesenen Schulden um fast eine Milliarde Euro zu niedrig und sein Ebitda deutlich zu hoch angesetzt habe. Der Aktienkurs verlor nach diesen Behauptungen bis zu fast 40 Prozent an Wert. Er hat sich seither trotz beruhigender Erklärungen der Unternehmensleitung und Gesprächen mit Investoren nicht wesentlich erholt. Die spanische Aufsichtsbehörde (CNMV) hat Grifols aufgefordert, verschiedene Aspekte der Rechnungslegung zu erklären und auch selbst eine Prüfung vorgenommen.
Auch wenn die CNMV zunächst mitteilte, dass sie „keine wesentlichen Fehler“ in den von Grifols gemeldeten Beträgen gefunden habe, hielt sie jedoch die buchhalterische Behandlung mehrerer Posten, die in den Berichten von Grifols für die Jahre 2021 und 2022 ausgewiesen wurden, für „nicht angemessen“. Darüber hinaus stellte die CNMV auch andere relevante Mängel in verschiedenen Bereichen fest.