Im Vergleich zu Gold hat sich Silber zuletzt unterdurchschnittlich entwickelt. Während Gold 2023 ein Allzeithoch erreichte, fiel der Silberpreis um 0,65 Prozent. Das ist überraschend, wenn man bedenkt, wie sehr die Nachfrage nach Silber in industriellen Anwendungen gestiegen und das Angebot des Metalls 2023 zurückgegangen ist. Die Nachfrage von Investoren eingerechnet hat das Metall drei Jahre lang in Folge Angebotsdefizite verzeichnet – mit einem Rekord-Defizit (253 Millionen Unzen) im Jahr 2022 und dem zweithöchsten Defizit 2023 (194 Millionen Unzen).

Klammert man physische Nettoinvestitionen aus, verzeichnete Silber nach Berechnungen von Wisdomtree 2023 einen Überschuss – wenn auch einen vergleichsweise geringen.

Abbildung 1: Saldo am Silbermarkt

Abbildung-1-Saldo
Quelle: Silver Institute, Wisdomtree

Vorläufige Schätzungen für 2023 vom November 2023. *Wie im November gemeldet. Aus einer Pressemitteilung vom Januar 2024 geht aber hervor, dass das Defizit mit 194 Millionen Unzen höher war. Das deutet darauf hin, dass das Angebot geringer und die Nachfrage höher war als im November geschätzt. **Schätzung Wisdomtree

Verhältnis von Gold zu Silber

Die Entwicklung des Verhältnisses von Gold zu Silber (Abbildung 2) deutet darauf hin, dass Gold mehr Unterstützung durch geopolitische Risiken, Sorgen über Verschuldung und eine beispiellose Nachfrage seitens der Zentralbanken erfährt. Silber – das oft als gehebelte Goldwette gilt – ist dagegen weniger ein defensiver, sicherer Hafen.

Die perspektivisch erwarteten Zinssenkungen der Zentralbanken sind voraussichtlich ein wichtiger Katalysator für Gold. Sie könnten die historisch starke Korrelation zwischen den Edelmetallen im laufenden Jahr wiederherstellen. Da Zinssenkungen aber vorerst in fernere Zukunft gerückt sind und die Geopolitik in den Mittelpunkt tritt, könnte Gold vorerst die Oberhand behalten. 

Abbildung 2: Verhältnis von Gold zu Silber

Abbildung 2: Verhältnis von Gold zu Silber
Quelle: WisdomTree, Bloomberg, 1. Juni 1990 – 5. Feb. 2024. SD = Standardabweichung

Industrielle Nachfrage nach Silber

Die industrielle Nachfrage nach Silber hat einen neuen Höchststand erreicht (Abbildung 3), angetrieben durch die Nachfrage im Bereich Fotovoltaik und die zunehmende Verwendung von Silber in der 5G-Technologie und der Elektronik in Autos. Allein die Unterhaltungselektronik war 2023 ein Bereich mit einer relativ schwachen Silbernachfrage. Da aber Anwendungen der künstlichen Intelligenz im Jahr 2024 zunehmen werden, erwarten wir einen Anstieg der Silbernachfrage auch in diesem Segment.

Abbildung 3: Industrielle Nachfrage nach Silber

Industrielle Nachfrage nach Silber
Quelle: Silver Institute, Wisdomtree, November 2023

Anlagen

Die Investitionsnachfrage nach Silber lag 2023 in der Nähe des Durchschnittswerts seit 2013, aber unter dem Höchstwert von 2022 (Abbildung 4). 

Abbildung 4: Investmentnachfrage nach Silber

Abbildung 4: Investmentnachfrage nach Silber
Quelle: Silver Institute, WisdomTree, November 2023

Der Großteil dieser Anlagen dürfte auf Privatanleger entfallen. Betrachtet man den Londoner Freiverkehrsmarkt, die Hauptstütze der institutionellen Nachfrage, brach der Silberbestand in Tresoren im Jahr 2022 ein und erholte sich 2023 kaum. Nach fünfmonatigem Wiederaufleben kam es im Oktober 2023 zu einem deutlichen Abfall (Abbildung 5). In dieser Hinsicht sind sich Silber und Gold ähnlich – institutionelle Anleger haben dem Metall offenbar den Rücken gekehrt, während es bei Privatanlegern nach wie vor hoch im Kurs steht.

Abbildung 5: Silber in LBMA-Tresoren

Abbildung 5: Silber in LBMA-Tresoren
Quelle: London Bullion Markets Association, Juli 2016 – Dezember 2023.

Silber in der nächsten Phase des Konjunkturzyklus

Wir gehen davon aus, dass die Korrelation zwischen Silber und Gold stark bleiben wird. Sollten wir also auf eine wirtschaftliche Rezession zusteuern, dürfte Silber vom Anstieg bei Gold profitieren. Die Korrelation zwischen Silber und Gold liegt seit der globalen Finanzkrise 2008 erstaunlich konstant bei etwa 0,8 (Abbildung 6). Die Korrelation von Silber mit Industriemetallen schwankte jedoch in einer 
großen Bandbreite – mal war sie positiv, mal negativ (Abbildung 6). Obwohl der Konsens 2024 eine weiche Landung erwartet, gibt es relativ wenige Beobachtungen von weichen Landungen in der 
Vergangenheit (zumindest dort, wo wir Daten zum Industriemetall-Korb haben). Ein Blick auf die 
wenigen weichen Landungen und Rezessionen zeigt, dass die Korrelation von 
Silber mit Industriemetallen tendenziell abnimmt. Im aktuellen Zeitraum (angenommen, die letzte Zinserhöhung der Federal Reserve ist im Juli 2023 erfolgt) ist die Korrelation zwischen Silber 
und Industriemetallen rückläufig.

Abbildung 6: Korrelationen von Silber

Korrelationen von Silber
Quelle: WisdomTree, Bloomberg, NBER-Rezessionsdaten, Daten zu weichen Landungen aus „Landings, Soft and Hard: The Federal Reserve, 1965–2022“, von Alan S. Binder, Journal of Economic Perspectives – Band 37, Nr. 1 – Winter 2023 – Seiten 101–120, wobei die letzte Zinserhöhung als Ausgangspunkt und das Ende zwölf Monate später zugrunde gelegt wird. Von Februar 1994 bis Januar 2024, monatliche Daten. Rollierende 12-Monats-Korrelationen. Spotpreise für Gold und Silber, Bloomberg Commodity Industrial Metals Subindex Total Return.

Silber – eine gehebelte Goldwette

Unserer Einschätzung nach wird Silber im kommenden Jahr stärker zulegen als Gold, und zwar um 
9,2 Prozent – gegenüber einem Plus von 7,3 Prozent für Gold. Bis zum vierten Quartal 2024 erwarten wir, dass der Silberpreis bei mehr als 26 US-Dollar pro Unze liegen wird (Abbildung 7). Das spiegelt 
weitgehend die langfristige Rolle von Silber als gehebelte Goldwette wider. Unseren Modellen zufolge ist der Silberpreis in der Vergangenheit bei einem Anstieg des Goldpreises um 1 Prozent um 1,4 Prozent nach oben gegangen. Obwohl diese Hebelwirkung im vergangenen Jahr schwach war, werden Zinssenkungen der nächste große Katalysator für beide Metalle sein. Zudem gehen wir davon aus, dass die industrielle Nachfrage nach Silber und die Stimmung gegenüber dem zyklischeren Metall infolgedessen weiter steigen werden. 

Abbildung 7: Silberpreisprognose von Wisdomtree

Abbildung 7: Silberpreisprognose von WisdomTree
Quelle: Wisdomtree (Prognosen), Bloomberg (historische Daten), zum 31. Januar 2023 verfügbare Daten.

Rahmenbedingungen

Angesichts der starken Korrelation zwischen Gold und Silber dürfte der Goldpreis der wichtigste 
Motor für den Silberpreis sein. Um jedoch den verbleibenden circa 20 Prozent des Preisverhaltens Rechnung zu tragen, die nicht durch Gold erklärt werden können, ziehen wir die folgenden Variablen heran:

  • Wachstum im verarbeitenden Gewerbe – mehr als 50 Prozent des Einsatzes von Silber entfällt auf 
    industrielle Anwendungen (im Gegensatz zu Gold, wo weniger als 10 Prozent auf diesen Sektor 
    entfallen). Wir verwenden den weltweiten Einkaufsmanagerindex des verarbeitenden 
    Gewerbes (PMI) als Indikator für die industrielle Nachfrage.
  • Wachstum der Bergbauinvestitionen (CapEx) – je höher die Bergbauinvestitionen, desto 
    größer das in der Zukunft zu erwartende potenzielle Angebot. Deshalb setzen wir diese 
    Variable mit einer Verzögerung von 18 Monaten an. Da der überwiegende Teil von Silber als 
    Nebenprodukt bei der Gewinnung anderer Metalle anfällt, betrachten wir die 
    Investitionsausgaben der 100 größten Bergbauunternehmen – nicht nur die der reinen 
    Silberproduzenten.
  • Anstieg der Silberbestände – wachsende Bestände signalisieren eine größere Verfügbarkeit 
    des Metalls und wirken sich daher negativ auf den Preis aus. Wir verwenden Futures-Börsenbestände als Näherungswert.

Goldpreis auf neuem Höchststand

Unser Konsens-Szenario für Gold basiert auf den durchschnittlichen Einschätzungen der Bloomberg 
Survey of Professional Economists zu Inflation, US-Dollar und Renditeprognosen für Staatsanleihen. Der Konsens geht davon aus, dass die Inflation weiter zurückgeht (obwohl sie über der 
Zielvorgabe der Zentralbanken bleibt), der US-Dollar an Wert verliert und die Anleiherenditen weiter 
sinken. Das Konsens-Szenario geht davon aus, dass die Fed die Zinsen ab dem zweiten Quartal 2024 wieder senkt und sie zum Jahresende um einen ganzen Prozentpunkt niedriger als heute liegen.

Im Konsens-Szenario erreicht Gold bis zum vierten Quartal 2024 einen Wert von 2.210 US-Dollar je 
Unze. Damit würde es das bisherige nominale Allzeithoch (2.078 US-Dollar pro Unze am 28. Dezember 2023) durchbrechen. Damit würde der Goldpreis um etwa 7 Prozent gegenüber Ende Dezember 2023 ansteigen.

Industrielle Nachfrage

Die weltweiten Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe haben sich in den vergangenen
Monaten erholt (Abbildung 8). Unserer Meinung nach wird sich die Erholung fortsetzen, unterstützt 
durch Zinssenkungen in den Entwicklungsländern. China, das im vergangenen Jahr die weltweiten 
Einkaufsmanagerindizes stark belastet hat, könnte nach der jüngsten Talfahrt ein neues Konjunkturpaket auflegen. Die chinesische Zentralbank wartet anscheinend darauf, dass die 
Zentralbanken der G7-Staaten die Zinsen senken, bevor sie nachzieht. Offenbar kursiert unter 
chinesischen Beamten und in den Staatsmedien ein neues Modewort: „Xin san yang“ (die „neuen Drei“): Solarzellen, Lithium-Ionen-Batterien und Elektrofahrzeuge. China ist bestrebt, den Export dieser Produkte zu fördern, um von seinem relativen Vorteil bei deren Herstellung zu profitieren. Bei all diesen Technologien kommt Silber zum Einsatz, wobei die Fotovoltaik eine der wichtigsten Triebfedern für das Wachstum der Silbernachfrage ist.

Abbildung 8: Globaler Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe

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Quelle: Wisdomtree, Bloomberg, S&P Global, Historische Daten: Mai 2009 bis Januar 2024. Prognosen: Februar 2024 bis Dezember 2024. 

Bergbauinvestitionen

Die Investitionen im Metallbergbau (CapEx) sind in den vergangenen Jahren gestiegen (Abbildung 9). Obwohl das Silberangebot im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr um 3,0 Prozent auf 808 Millionen Unzen zurückging, wird der Druck steigender Investitionen das Angebot wahrscheinlich nach oben treiben. Bei Silber, das größtenteils als Nebenprodukt bei der Gewinnung anderer Metalle anfällt, könnte das Angebot zu gegebener Zeit aufgrund des höheren Volumens der allgemeinen Bergbautätigkeit zunehmen. Metals Focus erwartet für 2025 einen Anstieg der weltweiten Minenproduktion auf 867 Millionen Unzen. Die größten Produktionszuwächse in den nächsten fünf Jahren werden Schätzungen zufolge aus Kanada, den USA, Indien und Guatemala kommen. Sie dürften zusammen 44 Millionen Unzen Silber hinzufügen.

Im Laufe der Jahre korrelierten die Investitionen im Bergbau mit den Preisen für Industriemetalle. 
Die jüngsten Preisrückgänge bei Industriemetallen könnten die Investitionstätigkeit bremsen. Unser 
Silbermodell berücksichtigt Investitionen allerdings mit einer Zeitverzögerung von 18 Monaten, sodass der Anstieg der Investitionen vor einem Jahr die Preisprognose beeinflusst.

Abbildung 9: Bergbauinvestitionen und Preise für Industriemetalle

Abbildung 9: Bergbauinvestitionen und Preise für Industriemetalle
Quelle: Wisdomtree, Bloomberg, Februar 1996 bis Februar 2024.

Silberbestände

In unserem Modell dienen die Silberbestände an den Terminbörsen als Näherungswert für die 
Silberbestände insgesamt. Das ist keine perfekte Messgröße, da die Bestände an anderer Stelle, die 
nicht sichtbar ist, steigen oder fallen können. Wir erwarten, dass die Bestände an den Terminbörsen 
nach einem Rückgang zwischen 2021 und dem ersten Halbjahr 2023 weitgehend stagnieren werden 
(Abbildung 10). Die Rückgänge erreichten im zweiten Halbjahr 2023 ein Plateau. Wir gehen davon 
aus, dass dies den Trend für 2024 vorgeben wird.

Abbildung 10: Silberbestände an den Terminbörsen

Abbildung 10: Silberbestände an den Terminbörse
Quelle: Bloomberg, Wisdomtree, Januar 1996 bis Januar 2024.

Schlussfolgerung

Nachdem Silber im vergangenen Jahr Gold hinterherhinkte, könnte es im laufenden Jahr besser abschneiden. Die industrielle Nachfrage nach Silber war hervorragend und widersetzte sich dem allgemeinen Trend bei Industriemetallen im Jahr 2023. Der Silberpreis konnte jedoch nicht von der hohen Nachfrage und dem knappen Angebot profitieren. Da die Korrelation zwischen den Preisen für Silber und Industriemetallen im Jahr 2024 schwächer wird, dürfte das Metall einen Teil des Ballasts abschütteln, der ihm zu schaffen gemacht hat. 

Nitesh-Shah

Über den Autor:

Nitesh Shah ist Leiter Rohstoff- und Makro-Research beim ETF- und ETP-Anbieter Wisdomtree mit Sitz in London.