Simon Peters im Interview „Europas Banken sind robust genug, um eine schwere Rezession zu überstehen“
DAS INVESTMENT: Herr Peters, die steigenden Zinsen haben Wachstumsaktien enorm unter Druck gesetzt, Bankaktien dagegen beflügelt. Trotz der jüngsten Rückgänge in Folge der Pleite der Silicon Valley Bank sind viele Aktien der Geldinstitute nach wie vor im Plus. Die Gewinne von Banken sind so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Welche Faktoren tragen Ihrer Meinung nach dazu bei, dass es bei den Banken seit einem Jahr rund läuft?
Simon Peters: Um zu erklären, warum sich die Situation in den vergangenen sechs Monaten deutlich verbessert hat, müssen wir erst einmal verstehen, warum es überhaupt so lange schlecht lief. 2022 endete ein Trend, der 15 Jahre lang anhielt und die Banken besonders hart getroffen hat.
Sie sprechen über das Nullzins- beziehungsweise Negativzinsumfeld.
Peters: Viele Sektoren haben von niedrigen Zinsen profitiert. Unternehmen konnten durch Schulden sehr billig Wachstum generieren, der Aktienmarkt reagierte positiv auf niedrige Zinsen. Man schaue sich nur an, mit welch immensen Multiplikatoren Wachstumsaktien noch vor zwei Jahren bewertet wurden! Die Banken lähmten dagegen zwei Dinge: die globale Finanzkrise und die negativen Zinssätze. Die Finanzkrise bedeutete für die Banken, dass sie ihre Kapital- und Liquiditätsquoten erhöhen und die Risiken in ihren Bilanzen verringern mussten. Die Negativzinsen führten dazu, dass die Hälfte der umstrukturierten Bilanz – die Einlagenseite – plötzlich Verluste machte.
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DAS INVESTMENT: Herr Peters, die steigenden Zinsen haben Wachstumsaktien enorm unter Druck gesetzt, Bankaktien dagegen beflügelt. Trotz der jüngsten Rückgänge in Folge der Pleite der Silicon Valley Bank sind viele Aktien der Geldinstitute nach wie vor im Plus. Die Gewinne von Banken sind so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Welche Faktoren tragen Ihrer Meinung nach dazu bei, dass es bei den Banken seit einem Jahr rund läuft?
Simon Peters: Um zu erklären, warum sich die Situation in den vergangenen sechs Monaten deutlich verbessert hat, müssen wir erst einmal verstehen, warum es überhaupt so lange schlecht lief. 2022 endete ein Trend, der 15 Jahre lang anhielt und die Banken besonders hart getroffen hat.
Sie sprechen über das Nullzins- beziehungsweise Negativzinsumfeld.
Peters: Viele Sektoren haben von niedrigen Zinsen profitiert. Unternehmen konnten durch Schulden sehr billig Wachstum generieren, der Aktienmarkt reagierte positiv auf niedrige Zinsen. Man schaue sich nur an, mit welch immensen Multiplikatoren Wachstumsaktien noch vor zwei Jahren bewertet wurden! Die Banken lähmten dagegen zwei Dinge: die globale Finanzkrise und die negativen Zinssätze. Die Finanzkrise bedeutete für die Banken, dass sie ihre Kapital- und Liquiditätsquoten erhöhen und die Risiken in ihren Bilanzen verringern mussten. Die Negativzinsen führten dazu, dass die Hälfte der umstrukturierten Bilanz – die Einlagenseite – plötzlich Verluste machte.
Dieser Prozess hat Jahre gedauert.
Peters: Im Zuge dieser Transformation mussten sich viele Banken von Geschäftsbereichen trennen, die nicht mehr profitabel waren. Alles wurde eine Nummer kleiner. Die Notenbanken nahmen den Banken durch die Negativzinsen im Grunde die Hälfte ihres Einkommens weg.
Können Sie das genauer erklären?
Peters: Normalerweise bekommt eine Bank Einlagen der Kunden. Diese nutzt sie, um Kredite an andere Kunden zu vergeben und so Geld zu verdienen. In einem Negativzinsumfeld war das jedoch nicht so ohne Weiteres möglich, Einlagen kosteten die Banken sogar Geld.
Die Banken sind nun also die Gewinner der Inflation?
Peters: Die Kombination aus einer finanziellen Überstimulierung, enorm gestiegenen Energiekosten und Lieferengpässen feuerte die Inflation stärker an, als die meisten Experten erwarteten. Die Notenbanken reagierten darauf mit Zinserhöhungen. Historisch gesehen ist das derzeitige Zinsniveau nicht einmal nennenswert hoch. Doch wenn man von negativen oder Nullzinsen kommt, wo die Einlagen keine Gewinne erwirtschaften können, funktioniert das Geschäftsmodell plötzlich wieder. Und das wird auf absehbare Zeit auch so bleiben.
Was heißt „auf absehbare Zeit“ bei Ihnen?
Peters: Ich denke, wir werden diesen Zustand mindestens fünf Jahre sehen.
Die Inflation wird also bleiben?
Peters: Die Inflation wird zurückgehen, aber länger auf einem höheren Niveau verharren, davon bin ich überzeugt. Dadurch bleiben die Zinsen ebenfalls oben. Und das ist gut so, denn negative Zinsen sind alles andere als gesund für eine Wirtschaft. Jetzt treten wir in eine Normalisierungsphase ein, in der man Geld mit seinen Einlagen verdienen kann – so wie es für Banken 300 Jahre lang völlig selbstverständlich war.
Banken sind derzeit historisch günstig bewertet. Einige notieren aufgrund von Rezessionssorgen und hoher Rückstellungen sogar unter Buchwert. Wie erklären Sie sich diese Bewertungsunterschiede im Vergleich zu anderen Branchen?
Peters: Dafür gibt es zwei Gründe: Nach der globalen Finanzkrise sind die Menschen den Banken gegenüber sehr misstrauisch geworden. Die notwendige Umstrukturierung führte zu erheblichen Gewinneinbußen und mageren Dividenden für ein Jahrzehnt. Also wurden sie immer billiger und billiger und billiger. Um das mal mit konkreten Zahlen zu untermauern: Der europäische Bankensektor wird derzeit mit dem Sechsfachen des voraussichtlichen Gewinns gehandelt. Sogar nach der Finanzkrise lag der Durchschnitt bei Faktor zehn.
Ist die Skepsis nicht auch groß, weil niemand wirklich weiß, wie es mit der Wirtschaft weitergeht?
Peters: Wir hatten die am meisten erwartete Rezession in Europa, die es je gab. Denn jeder konnte sehen, wie die Energiepreise in die Höhe schnellten. Also erhöhten die Banken von sich aus ihre Rückstellungen und fuhren einen vorsichtigeren Kurs.
Dennoch steigen Investoren nicht im großen Stil in Bankaktien ein. Weil das Risiko zu groß ist?
Peters: Als Gegenbeweis würde ich die Covid-Pandemie anführen. Die globale Wirtschaftsleistung ging zurück, doch keine Bank benötigte eine Kapitalerhöhung. Die Pandemie hat uns allen gezeigt, dass die Banken robust genug sind, um eine schwere Rezession überstehen zu können, weil sie sich angepasst, mehr Kapital aufgebaut und ihre Risiken reduziert haben. Und es hat trotz schlimmer Befürchtungen bislang keine Energierationierung gegeben und die Gaspreise sind auf ein Niveau gefallen, das unter dem der Vorkriegszeit liegt. Deshalb bin ich optimistisch, dass Banken in diesem Jahr gut abschneiden werden. Viele gehen nach wie vor von einer Rezession aus, dabei dürfte es sich nur um ein langsames Wachstum handeln.
Auf der nächsten Seite: So schätzt Simon Peters die deutschen Banken im internationalen Vergleich ein
Wie sehen Sie deutsche Bankwerte – Deutsche Bank, Commerzbank – im europäischen Vergleich aufgestellt?
Peters: Die Situation in Deutschland ist einzigartig, weil 80 Prozent des Marktes in der Hand von nicht gewinnorientierten Banken wie den Sparkassen sind. Das macht es für die anderen Institute schwieriger, Geld zu verdienen. Blicken wir nun auf die von Ihnen angesprochene Deutsche Bank und Commerzbank. Beide haben mehrere Umstrukturierungen hinter sich und sind nun kleiner, risikoärmer und effizienter als vor der Finanzkrise. Und sie machen angemessene Gewinne. Die Commerzbank hat im letzten Jahr eine Eigenkapitalrendite von etwa 5 Prozent erwirtschaftet, bald könnte sich diese 10 Prozent annähern.
Und die Deutsche Bank?
Peters: Die liegt bereits in dieser Größenordnung, allerdings dürfte das Ertragspotenzial nach oben stärker begrenzt sein. Das Management hat bei beiden Instituten bereits gute Arbeit geleistet. Jetzt profitieren die Unternehmen von den höheren Zinsen, was die Rentabilität steigen lässt und sie damit wieder für Anleger interessanter macht.
Steigende Zinsen bekommen für gewöhnlich zuerst Kreditnehmer zu spüren, während Sparer in geringerem Maße profitieren. Wie gehen Banken mit dem Spannungsfeld um, auf der einen Seite steigende Zinsen an Kunden weiterzugeben, auf der anderen Seite aber auch Erträge zu erzielen?
Peters: In den vergangenen 15 Jahren haben die Banken ihre Bilanzen geschrumpft, so dass das Verhältnis von Krediten zu Einlagen heute in der Regel unter 100 Prozent liegt. Die Banken haben also überschüssige Liquidität. Es gibt für sie keinen Anreiz, die Zinsen auf ein sehr hohes Niveau anzuheben, um neue Einlagen anzuziehen.
Neobroker wie Trade Republic oder Scalable bieten 2 Prozent und mehr Zinsen, um Kunden zu gewinnen. Manch einer spricht bereits vom aufziehenden Zins-Krieg.
Peters: So würde ich das nicht bezeichnen. Das ist eher eine Rauferei als ein richtiger Krieg. Denn es gibt keine Verzweiflung auf irgendeiner Seite. Die Banken wollen lediglich ihre Kunden bei Laune halten. Klar gibt es diese Spannung, die Sie eingangs erwähnt haben. Und die wird sich definitiv Richtung Kunden verlagern. Ich denke, 2 Prozent Zinsen sind im aktuellen Umfeld sehr angemessen. Aber man geht kein existenzielles Risiko ein, wenn man als Bank hier nicht an vorderster Stelle mitmischt.
Sie betonen die gesamte Zeit, wie gut es den Banken geht. Dabei müssen viele Großbanken Tausende Stellen abbauen, um ihre Kosten zu senken. Eine Kündigungswelle schwappt durch die Wall Street. Goldman Sachs plant den Abbau von 3.200 Stellen. Rivale Morgan Stanley hat im Dezember 2022 1.800 Stellen abgebaut. BNY Mellon plant, im ersten Halbjahr 2023 etwa drei Prozent seiner Mitarbeiter zu entlassen. Eine kerngesunde Branche klingt doch irgendwie anders, oder?
Peters: Das sind alles amerikanische Banken. In Europa war der Schmerz in der Vergangenheit viel größer, deshalb hat dieser Prozess früher eingesetzt. Mit der Folge, dass die meisten europäischen Banken bereits am Ende dieser Transformation angelangt sind. Sie haben Filialen abgebaut und stattdessen in die Digitalisierung investiert. Das war ein notwendiger Schritt. Die Leute gehen doch heute vielleicht noch einmal im Jahr zum Bankschalter, die restlichen Tage ziehen sie einfach ihr Telefon aus der Tasche und erledigen die Dinge in der App.
Mit der Verlagerung vieler Bankgeschäfte ins Internet und der besseren Vergleichbarkeit vieler Finanzdienstleistungen gerieten klassische Banken in Zugzwang.
Schon Anfang der 2000er gingen viele davon aus, dass das Internet und mit ihm neue Marktteilnehmer die alten Banken ablösen würden. Aber die Regulierung hat dem entgegengewirkt. Die letzten 15 Jahre haben gezeigt, dass der Bankensektor einer der am stärksten regulierten überhaupt ist. Deshalb tun die ganzen modernen Fintech-Unternehmen doch alles, um keine Bank werden.
Wie bleibt eine Bank denn innovativ?
Peters: J.P. Morgan gibt jedes Jahr 10 Milliarden US-Dollar für Technologien aus. Das ist ein riesiger Batzen Geld, den man erst einmal erwirtschaften muss. In Europa wird ebenfalls sehr viel in neue Technik investiert. Denn Banken haben vor nichts mehr Angst, als irrelevant zu werden. Sie wissen, dass sie sich bewegen müssen, um ihre Kunden nicht zu verlieren.
Weil die Kunden nicht mehr so treu sind wie früher?
Peters: Früher blieben die Menschen ihr gesamtes Leben bei ihrer ersten Bank. Die heute Unter-35-Jährigen wechseln innerhalb weniger Minuten, wenn ihnen woanders mehr Komfort geboten wird. Deshalb sind die Banken ständig auf der Suche nach Innovationen und neuen Ideen, die die Interaktion mit den Kunden verbessern.
Wer wird beim Rennen um Innovationen die Nase vorn haben – die kleinen oder großen Banken?
Peters: Eindeutig die Großen der Branche. Sie können notfalls Start-ups aufkaufen und deren Technologien in die eigenen Systeme implementieren. Kleinen Banken fehlt dazu das Geld. Institute wie die Sparkassen sind too small to innovate. Ihnen bleibt nichts weiter übrig, als herkömmliche Software-Lösungen zu nutzen. Ohne Geld geht einem in diesem Bereich schnell die Luft aus.
Über den Interviewten:
Simon Peters ist Anlagestratege bei Algebris Investments