
Eigentlich sollte man annehmen, dass an den Finanzmärkten die pure Vernunft herrscht. Angesichts der Unmenge an Daten und Fakten, die es zu analysieren gilt, traut man den Börsenprofis zu, dass sie mit kühlem Kopf die Bilanzen von Unternehmen akribisch studieren, volkswirtschaftliche Kennzahlen interpretieren und darauf basierend ihre Empfehlungen abgeben oder ihre Anlageentscheidungen treffen.
Tatsächlich zeigt ein Blick auf die Vielzahl an Stimmungsindikatoren, dass Emotionen eine weitaus größere Rolle spielen, als man zunächst vermuten würde. Und es sind keineswegs nur Kleinanleger, die sich davon beeinflussen lassen – auch Profis beziehen neben fundamentalen und makroökonomischen Kennzahlen die Stimmungslage der Marktteilnehmer gezielt in ihre Überlegungen mit ein.
Direkte und indirekte Börsenbarometer
Doch wie misst man die Gefühlslage der Investoren? Und was macht man mit den nackten Zahlen? Zunächst gibt es „direkte“ Stimmungsbarometer, wie zum Beispiel den AAII Investor Sentiment Survey (American Association of Individual Investors) oder den Investors Intelligence Survey. Während erstgenannter das Stimmungsbild unter Privatanlegern erfasst, wendet sich letzterer an Verfasser von Börsenbriefen. Bei beiden Indikatoren ist immer dann Vorsicht geboten, wenn die Stimmung zu optimistisch ist. Umgekehrt kann ein übertriebener Pessimismus ein guter Einstiegszeitpunkt sein.
Die „indirekten“ Indikatoren spiegeln wider, wie sich die Investoren bereits verhalten haben. Es zeigt also einen Ist-Zustand der aktuellen Gemütslage. Zu diesen Börsen-Thermometern zählt die sogenannte Put-Call-Ratio, die aufzeigt, ob Anleger sich eher absichern (Werte über 1) oder auf weiter steigende Kurse setzen (Werte unter 0,7). Auch die Volatilitätsindizes wie V-Dax oder VIX geben Hinweise: Niedrige Werte deuten auf Gelassenheit hin, hohe Werte auf Nervosität oder gar Panik.
Ergänzt werden diese durch weitere Stimmungsbarometer, etwa solche, die das Volumen von Leerverkäufen oder den Anteil kreditfinanzierter Investments erfassen. Auch diese lassen sich als Kontraindikatoren interpretieren. Ähnlich wie beim Fear & Greed Index, dem Angst & Gier-Barometer. Werte nahe Null signalisieren eine extreme Angst der Investoren, wohingegen Werte Richtung 100 vor übertriebener Gier warnen.
Stimmungsindikatoren – für Anleger hilfreich?
Auch wenn die Stimmungsindikatoren für viele Anleger noch Neuland sein mögen - schon Anfang des 19. Jahrhunderts postulierte der Bankier Carl Mayer von Rothschild: „Kaufen, wenn die Kanonen donnern. Verkaufen, wenn die Violinen spielen“. Und auch die Investment-Legende Warren Buffet wusste: „Sei gierig, wenn andere ängstlich sind und ängstlich, wenn andere gierig sind“.
Stimmungsindikatoren liefern wertvolle Hinweise – vorausgesetzt, man nutzt sie als das, was sie sind: Kontraindikatoren, die stets im Zusammenspiel mit fundamentalen Analysen betrachtet werden sollten.

Über den Autor:
Udo Rieder ist Portfoliomanager bei der KSW Vermögensverwaltung in Nürnberg. Zuvor war er für die UBS und die Deutsche Bank tätig gewesen.