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So nutzen Versicherer und Vermittler KI

Mika und Tang Yu haben drei Gemeinsamkeiten. Beide sind weiblich, Vorstandsvorsitzende (CEO) eines Unternehmens – und keine Menschen. Ende 2022 stellte der polnische Rum-Hersteller Dictador seinen neuen CEO-Bot Mika vor. Mika stammt von Hanson Robotics, einem in Hongkong ansässigen Unternehmen, das unter anderem menschenähnliche Roboter entwickelt. Die Roboter nutzen künstliche Intelligenz (KI), um menschliche Persönlichkeiten zu simulieren, Interaktionen mit Menschen zu führen und sich aus diesen weiterzuentwickeln. Mika leitet die „dezentralisierte autonome Organisation“ (DAO) Arthouse Spirits von Dictador. Die DAO handelt mit einer exklusiven Sammlung besonders wertvoller und seltener Rum-Flaschen und wird mithilfe von Blockchain und anderen Technologien verwaltet.
Zur etwa gleichen Zeit, im August 2022, übernahm Tang Yu die Führung des chinesischen Spieleentwicklers Netdragon Websoft. Der Gaming-Konzern mit einem Jahresumsatz von 2,1 Milliarden Dollar ist an der Hongkonger Börse notiert. Tang Yu übernahm die Tochtergesellschaft Fujian Netdragon. Der virtuelle Roboter, der wie auch Mika weiblich aussieht und von KI gesteuert wird, überprüft Analysen, trifft Entscheidungen, bewertet Risiken und fördert die Effizienz am Arbeitsplatz. Mit Erfolg: Laut US-Plattform The Hustle legte die Netdragon-Websoft-Aktie in dem halben Jahr zwischen August 2022 und Februar 2023 an der Hongkonger Börse um 18,2 Prozent zu.
Kai Müller, Chef des Softwareentwicklers Experience One aus Berlin, wählte unterdessen einen anderen Weg. Er hat mithilfe künstlicher Intelligenz seinen digitalen Zwilling erschaffen, der ihm lästige Routineaufgaben abnehmen soll. Der KI-Kai kann beispielsweise Social-Media-Posts verfassen oder Inhalte zusammenfassen. So will Müller bis 2025 ein Drittel seiner Arbeitszeit durch den KI-Einsatz einsparen. Entscheidungen trifft er allerdings nach wie vor selbst.
Auch die Versicherungskunden sehen in KI-Tools eher Assistenten als Entscheider. Das geht aus einer Studie der Plattform für Schaden- und Unfallversicherer Guide wire hervor. Die Forscher haben 4.000 Verbraucher in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Spanien über ihre Einstellung und ihre Erwartungen an die Versicherer und deren Produkte und Services befragt.
Helfen ja, entscheiden nein
Mehr als die Hälfte der befragten Deutschen wäre damit einverstanden, dass eine KI ihnen beim Ausfüllen ihres Versicherungsantrags und anderer Dokumente hilft. Knapp die Hälfte deutscher Befragter hätte zudem kein Problem damit, wenn eine KI einem menschlichen Callcenter-Mitarbeiter bei der Beantwortung ihrer Anfrage helfen würde. Dass die KI jedoch ohne menschliches Zutun Entscheidungen über den Preis ihrer Police oder über die Höhe ihres Leistungsanspruchs prüft, wäre nur für jeweils rund ein Drittel der Befragten in Deutschland akzeptabel.
Lediglich 10 Prozent der deutschen Verbraucher haben schon jetzt volles Vertrauen in die Nutzung von KI im Versicherungswesen. 41 Prozent würden ihre Meinung zugunsten der KI ändern, wenn sie die Möglichkeit hätten, die von einer KI getroffene Entscheidung bei einem Konflikt an einen Mitarbeiter weiterzuleiten. 26 Prozent der deutschen Befragten wünschen sich eine Erklärung für die Entscheidung der KI, 24 Prozent wollen eine separate Regulierung von KI im Versicherungswesen.
KI gepaart mit Menschlichkeit
„Generative KI hat großes Potenzial – aber nur gepaart mit Menschlichkeit“, fasst René Schoenauer, Direktor Produktmarketing in Europa, Nahost und Afrika (EMEA) bei Guidewire Software, das Studienergebnis zusammen. Dazu passen auch die Antworten zu bevorzugten Kommunikationskanälen im Schadenfall. So setzen die meisten deutschen Umfrageteilnehmer (65 Prozent) auf den telefonischen Kontakt. E-Mail-Kommunikation bevorzugen 59 Prozent der Deutschen. Der Chat-Bot kommt hingegen nur für 10 Prozent der befragten Bundesbürger infrage.
Auch die Bereitschaft der Verbraucher, ihre persönlichen Daten mit dem Versicherer zu teilen, hält sich laut Studie in Grenzen. Besonders skeptisch zeigen sich die Menschen dabei bei den Echtzeit-Standortdaten von sich selbst oder ihren Haustieren: Nur 15 beziehungsweise 16 Prozent der Befragten wären bereit, solche Daten an ihren Versicherer weiterzugeben (siehe Grafik).


Metaverse nur wenig verbreitet
Generative KI gepaart mit Menschlichkeit scheint auch der Trend in der Versicherungsvermittlung zu sein. Dass die KI den menschlichen Berater nicht ersetzen, sondern nur unterstützen kann, darüber sind sich die meisten Branchenvertreter weitgehend einig. „Menschen vertrauen Menschen“, sagt Bastian Kunkel, Chef und Gründer des Maklerbetriebs „Versicherungen mit Kopf“. KI-Tools wie ChatGPT könnten den Beratungsprozess zwar vorbereiten und strukturieren. „Die letzten fünf Meter gehören aber dem menschlichen Berater, der mit dem Kunden über die Ziellinie geht“, so Kunkel.
Anderen Mitarbeitern von Versicherungsgesellschaften könnten ChatGPT & Co. nach Kunkels Auffassung jedoch sehr wohl gefährlich werden. „KI wird in einigen Jahren den Maklerbetreuer ersetzen“, sagt er. Schließlich könne künstliche Intelligenz auf Rückfragen, für die der Maklerbetreuer oft Stunden brauche, viel schneller reagieren – und das jederzeit, ohne feiertags-, krankheits- oder urlaubsbedingte Ausfälle. Die Kundenerwartungen gingen zunehmend in Richtung Netflix, sagt der Versicherungsspezialist. Man warte ja mittlerweile auch nicht mehr bis 20:15 Uhr, wenn man einen Film sehen möchte.

Auch die Versicherer selbst lassen KI meist Routineaufgaben erledigen. „Es gibt Tätigkeiten, die so repetitiv sind, dass Arbeitnehmer diese nicht ausführen wollen“, sagt Annika Bergbauer, Senior Managerin bei der Management- und IT-Beratung Wavestone (ehemals Q_Perior). Und die Branche habe ohnehin ein massives Problem, überhaupt genug Arbeitskräfte zu finden. Schließlich müssten Versicherer derzeit bis zu 30 Prozent ihrer Arbeitskräfte aufgrund von Rentenwellen austauschen.
Für Ihre Studie „KI & Intelligente Prozesse in Versicherungen“ befragte Q-Perior zusammen mit Google Cloud die Experten der wichtigsten deutschen und österreichischen Versicherungsunternehmen darüber, ob und in welchen Bereichen sie KI einsetzen und wo nicht und womit sie dabei die meisten Probleme haben.
Das Ergebnis: Die meisten Versicherer setzen auf KI-basierte Schadenschilderungen (59 Prozent) und KI-basierte Vertragsanalyse (41 Prozent). Ebenfalls 41 Prozent der befragten Versicherer nutzen bereits die automatische Rechnungsverarbeitung, weitere 35 Prozent planen deren Einsatz. Für Beratungsgespräche im Metaverse kommt der KI-Einsatz momentan laut Bergbauer hingegen gar nicht infrage. Und auch sonst scheint das Metaverse bei Versicherern nur eine untergeordnete Rolle zu spielen: 76 Prozent der Studienteilnehmer planen nicht, Beratungsgespräche im Metaverse durchzuführen.
So setzen Versicherer Metaverse ein
In anderen Bereichen scheint das Metaverse für Versicherer hingegen interessant zu sein. So setzt die WWK Metaverse bei der Vorstellung des Unternehmens bei Bewerbern und Interessenten, dem sogenannten Employer Branding, sowie für die Schulung von Vertriebspartnern ein. Dabei arbeitet der Versicherer mit dem Kölner Anbieter Raum virtual Collaboration zusammen. Metaverse eröffne neue Präsentationsmöglichkeiten für Produkte, sagt Philipp Belli, Abteilungsleiter Digitale Kommunikation und Online Marketing der WWK-Versicherungsgruppe. Derzeit beschränke man sich auf die betriebliche Altersvorsorge und Riester, plane aber, dies künftig auf weitere Produkte auszuweiten. „Das Feedback der Vertriebspartner ist hierbei durchweg positiv, da abstrakte Produkte so greifbarer werden und Inhalte sich besser einprägen“, so Belli.

Um ins WWK-Metaverse einzutauchen, benötigen Vermittler das Virtual-Reality-Headset von Meta. Der Versicherer plant aber nach eigenen Angaben eine zusätzliche Plattform, die auch ohne immersive Geräte, also über Smartphone und Browser nutzbar sein wird.
Ergo geht da noch weiter. Der Versicherer hat im Juni vergangenen Jahres zusammen mit der Technologieagentur Demodern die erste virtuelle Beratungs-App mit Live-Dialog-Funktion für Versicherungen ins Leben gerufen. Bei „Ergo VR Experience“ treffen sich Interessierte mittels VR-App und Headset mit einem Ergo-Berater, der sie durch ein gewähltes Setting führt. Beim ersten bereitgestellten Anwendungsfall handelt es sich um eine Bergumgebung in 3D, anhand derer Kunden immersiv zur Reise-Krankenversicherung beraten werden. „Sie bekommen hierfür exemplarisch die potenziellen Risiken erläutert und visualisiert, die bei einer Bergwanderung entstehen können und die es abzusichern gilt“, erläutert Matthias Nawrocki, Metaverse-Chef bei Ergo. Darüber hinaus können sie im Gespräch weitere Fragen zu Versicherungsprodukten stellen. Für das Beratungsgespräch wird eine eigene VR-Brille von Meta benötigt sowie die dazugehörige App aus dem Meta Quest Store.
„Neben dem bisherigen Bergszenario sind bereits weitere Anwendungsfälle geplant, beispielsweise aus den Bereichen Städtereisen, Skiferien oder Strandurlaub“, sagt Nawrocki. Darüber hinaus soll die App sukzessive mit weiteren visuellen Assets und Versicherungslösungen wie zum Beispiel einer Reiserücktritt- oder Gepäckversicherung ausgestattet werden.
Ein paar Monate später, im Herbst 2023, richtete in Österreich die Helvetia-Insurtech-Tochter Smile ein digitales Office mit Blick über Wien ein, in dem Metaverse-Nutzer Informationen zum Insurtech und seinen Produkten erhalten.
Der nächste Ausbauschritt, die digitale Beratung, ist nach Unternehmensangaben bereits in Planung. Man möchte mit dem Metaverse versicherungsbezogene Inhalte auf eine anschauliche und einfache Art der jungen Zielgruppe näherbringen, sagt Harriet Burtscher. „Besonders mit dem Gamification-Faktor, den das Metaverse mit sich bringt, folgen wir dem natürlichen Entdeckerdrang der Menschen und verknüpfen Information und Entertainment“, so die Smile-Marketingchefin.
Dass KI ein großes Zukunftsthema ist, zeigen auch geplante Gesetzesvorhaben. So tritt voraussichtlich im Juni 2024 der EU AI Act in Kraft – das erste offizielle Gesetz in der Europäischen Union, das den Einsatz von KI regulieren soll. „Unternehmen müssen künftig die Vorgaben des AI Acts erfüllen und sind gut beraten, sich rechtzeitig damit zu beschäftigen, weil sie sich auf technische, produktbezogene und rechtliche Rahmenbedingungen auswirken können“, sagt die IT-Beratungsexpertin von Q-Perior Bergbauer.