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So schätzen Vermittler und Aktuare die Schüler-BU ein

Mit der Arbeitskraftabsicherung kann man nicht früh genug anfangen. Das betonen die Biometrie-Versicherer und -Vermittler immer wieder. Berufsunfähigkeitsversicherungen (BU-Versicherungen) für Schüler erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Insbesondere Schüler ab zehn Jahren sind eine hart umkämpfte Zielgruppe. Und auch wer sein Kind in einem noch früheren Alter absichern will, wird fündig: LV 1871 etwa bietet BU-Versicherungen bereits ab dem ersten Schultag an.
Für die versicherten Schüler macht das Sinn: Der Gesundheitszustand ist meist sehr gut, körperliche und vor allem psychische Krankheiten, die einen BU-Versicherungsabschluss erschweren oder gar unmöglich machen können, treten meist erst in einem späteren Alter auf. Auch die Berufswahl steht noch nicht fest und muss sie auch nicht – davon profitieren gerade Kinder, die später einen handwerklichen Beruf ergreifen möchten. Grund: Die Prämien sind relativ günstig. Deswegen gibt es immer wieder auch Kritik an der Kalkulation.
Reichen Risikozuschläge aus?
Die Branche weist das von sich. Sebastian Weigelt, Leiter Intermediär-Vertrieb bei Swiss Life Deutschland, betont gegenüber dem Branchenportal „Procontra“, dass man „selbstverständlich“ professionell kalkuliere, „schließlich müssen alle Tarife sich den veränderten Erwerbs- und Lebensbiographien unserer Kunden immer flexibel anpassen“.
Kristine Rößler, Leiterin Geschäftsfeld Einkommensabsicherung bei der Versicherungsgesellschaft Die Bayerische erwähnt einen „Zuschlag für das Irrtum- und Änderungsrisiko“, der die Ungewissheit bei der Berufswahl rechnerisch ausgleichen würde.
Hermann Schrögenauer, Vorstand bei der LV 1871 fügt hinzu, dass die Beiträge „sehr differenziert“ nach der Schulform und -Stufe gestaffelt seien, die der versicherte Schüler zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses besuchte. Alle drei Versicherer betonen darüber hinaus ihre Expertise bei der Kalkulation der BU-Tarife für unterschiedliche Zielgruppe, die ihnen auch bei der Schüler-BU zugutekommen würde.
Aktuarvereinigung will sich nicht konkret äußern
Doch reichen der Risikozuschlag und die Staffelung nach der Schulform aus, um die Risiken in den Griff zu bekommen? Diese Frage stellte DAS INVESTMENT Experten der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) – und erhielt eine eher ausweichende Antwort. In der modernen Arbeitswelt sei der nach Ausbildung oder Studium ergriffene Beruf ohnehin nicht zwangsläufig die tatsächliche Tätigkeit über die nächsten 30 bis 40 Jahre, erklärt Volker Priebe, DAV-Vorstandsmitglied und Vorsitzender des Ausschusses Lebensversicherung. Marktübliche Produkte trügen diesem Umstand bereits Rechnung und böten entsprechende Anpassungsoptionen.
„Die Sicherheit in der Kalkulation und die Beherrschung der kalkulatorischen Risiken muss von den verantwortlichen Aktuaren der jeweiligen Gesellschaften sichergestellt werden“, so Priebe weiter. Bei der Kalkulation eines konkreten Tarifes spielen neben dem Alter und dem Beruf (der bei der Schüler-BU ja noch nicht bekannt ist) auch der Gesundheitszustand und der Absicherungsumfang eine Rolle.
Mehr unkalkulierbare Risiken
Und wie sehen das die Vermittler? Ein Vertreter einer größeren Versicherungsgesellschaft, der nicht namentlich genannt werden möchte, räumt auf Nachfrage von DAS INVESTMENT ein, dass sich die Beitragskalkulation bei Schülern weniger präziser sei als bei erwachsenen Berufstätigen. Die Aktuare könnten aber durch allgemeine Wahrscheinlichkeiten und statistische Modelle eine Risikoeinschätzung vornehmen. Die Einteilung nach Schulform helfe dabei zwar, da Gymnasiasten oft andere Berufe ergreifen als Schüler, die andere Schulformen besuchen.
„Dennoch könnte es in der Praxis tatsächlich sein, dass Versicherer mehr unkalkulierbare Risiken übernehmen, als sie ursprünglich erwartet haben. Das könnte dazu führen, dass das gesamte Kollektiv im schlimmsten Fall für die Fehlkalkulationen aufkommen muss, was langfristig zu höheren Beiträgen führen könnte“, so der Vertreter.
Andererseits jedoch sei die Schüler-BU ein wichtiges strategisches Instrument, um den Einstieg in die Welt der Berufsunfähigkeitsversicherungen zu forcieren, gibt der Versicherungsvertreter zu bedenken. „Versicherer könnten durch den Abschluss von Schüler-BUs langfristig Kunden binden, die später auf eine umfassendere BU-Versicherung umsteigen“, sagt er. Diese Vertriebsstrategie sei „ein wichtiger Baustein im gesamten BU-Markt“.
Versicherungsmakler Benedikt Deutsch sieht das anders. „Der BU-Markt wäre auch ohne eine Schüler-BU am Laufen“, sagt der Experte von clever-sichert.de. „Nach unserer Einschätzung sind mindestens 80 Prozent der aktuellen Anfragen weiterhin klassische BUs.“
„Schüler-BU sollte mindestens 50 Euro kosten“
Bei der Beratung von Schülern und deren Eltern steht oft der günstige Einstiegspreis im Vordergrund. Doch wer hier ausschließlich auf den Preis achtet, mache einen Fehler, warnt Deutsch. „Man schließt keine BU ab, um Geld zu sparen, sondern man investiert in die Zukunft“, sagt der Makler. „Eine Schüler-BU sollte mindestens 50 Euro kosten.“
Neben dem günstigen Einstiegspreis seien insbesondere die Flexibilität des Tarifs, die Möglichkeit der Nachversicherung ohne erneute Gesundheitsprüfung und die Anpassungsmöglichkeiten an geänderte Lebensumstände entscheidend, erklärt der Versicherungsvertreter. Auch die Leistungsbeschreibung (was genau ist abgedeckt und wie sind die Bedingungen bei Berufsunfähigkeit?) sollte nicht unterschätzt werden. „Ein weiteres Kriterium ist, wie gut der Versicherer im Schadenfall agiert und ob er schnelle und unkomplizierte Hilfe bietet“, so der Vermittler. Kunden sollten sich außerdem die Solvenz des Versicherers, die Prozessquote und Vertragskosten erklären lassen.
Keine langfristige Betrachtung möglich
In Sachen Flexibilität achtet der Vertreter vor allem auf folgende Merkmale:
· Nachversicherungsfähigkeit ohne erneute Gesundheitsprüfung bei Risikoveränderungen (zum Beispiel durch Berufseinstieg)
· Möglichkeit zur problemlosen Anpassung des Versicherungsschutzes bei Berufswahl
· Flexibilität bei Änderung der Lebensumstände (zum Beispiel Umzug oder Studienrichtung)
· Die Anpassungen sollten ohne Schwierigkeiten für den Versicherten möglich sein.
Deutsch fügt noch die Höhe der Absicherung hinzu, die der Schüler später im Laufe seiner Karriere anheben können sollte. „Ich denke, wir werden in den Jahren 2040/2050 viele BU-Renten in Höhe von 4.000 Euro und mehr sehen“, sagt er. Die Karrieregarantie sollte seiner Einschätzung nach Erhöhungen bis zu 6.000 Euro ermöglichen.
Ein weiteres Kriterium bei der Auswahl einer Schüler-BU-Versicherung ist die Beitragsstabilität. „Bisher waren alle Beiträge stabil. Es gibt hier aber noch keine langjährige Erfahrung, da es solche Produkte vor zehn Jahren und länger noch nicht gab“, kommentiert Deutsch den aktuellen Stand hierzu.
Der gebundene Vertmittler zeigt sich deutlich skeptischer und sieht konkrete Risiken hinsichtlich der Beitragserhöhung im Laufe der Zeit. So steigen bei den Tarifen einiger Anbieter die Beiträge im Laufe der Jahre an, um den steigenden Kosten und dem Alter des Versicherten Rechnung zu tragen. Andere Anbieter hingegen bieten die garantierte Beitragsstabilität, sagt er. Er rät den Kunden, besonders auf die Garantien in den jeweiligen Tarifen zu achten.
Schüler-BU für Gymnasiasten: Frühzeitige Absicherung oder unnötige Kosten?
Dass eine Schüler-BU für Kinder, die später einen handwerklichen Beruf anstreben, sinnvoll ist, ist laut beiden Experten unbestritten. Bei den Gymnasiasten hingegen gehen die Einschätzungen der Vermittler auseinander. Versicherungsmakler Deutsch vertritt hier eine klare Position: Eine Berufsunfähigkeitsversicherung sollte grundsätzlich so früh wie möglich abgeschlossen werden – unabhängig vom angestrebten Berufsziel. Seine Argumentation stützt sich vor allem auf die Zunahme psychischer Erkrankungen bei jungen Menschen.
„Stress und Leistungsdruck können zu einem Ausschluss der Psyche in einer BU führen“, warnt der Experte von clever-sichert.de. Daher könne man die Schüler-BU nicht früh genug abschließen. Bereits am ersten Schultag sollte der Vertrag laut Deutsch unter Dach und Fach sein – noch bevor mögliche Diagnosen wie LRS oder ADHS gestellt werden, die einen späteren BU-Abschluss erschweren oder gar unmöglich machen könnten.
Der AO-Vertreter sieht das differenzierter. Er zeigt durchaus Verständnis für Eltern, die bei gesunden Gymnasiasten mit akademischen Ambitionen zunächst abwarten wollen. Dennoch rät auch er tendenziell zur frühen Absicherung. Wer früh einsteigt, vermeide nicht nur mögliche Wartezeiten und erschwerte Aufnahmebedingungen aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen. Auch finanziell könne sich der zeitige Abschluss rechnen, da die Beiträge in jungen Jahren oft günstiger ausfallen als beim Berufseinstieg.
Auch die DAV sieht die frühe Absicherung grundsätzlich positiv. „Die Absicherung der eigenen Arbeitskraft ist eine der wichtigsten Versicherungen. Wird der Vertrag früh im Leben geschlossen, ist dies meist zu einem günstigeren Preis möglich“, sagt Priebe. Das liege daran, dass junge Menschen meist gesünder sind und die Versicherung über einen längeren Zeitraum laufen kann.