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Was Investoren über Tesla wissen sollten

Sönke Iwersen, Leiter des Investigativ-Ressorts beim Handelsblatt, legt mit seinem Kollegen Michael Verfürden ein brisantes Buch vor: „Die Tesla Files“ (Erscheinungsdatum 20. März 2025, 26 Euro bei C.H. Beck) enthüllt systematische Sicherheitsmängel beim E-Auto-Pionier und einen beunruhigenden Umgang mit Kundendaten.
Im Gespräch mit DAS INVESTMENT erklärt Iwersen, was er bei seinen Recherchen entdeckt hat – und was Anleger über Tesla wissen sollten.

DAS INVESTMENT: Herr Iwersen, die Grundlage Ihres Buches ist eine außergewöhnliche Quelle – wie kam es zu dieser Tesla-Recherche?
Sönke Iwersen: Es begann mit einem Anruf aus heiterem Himmel. Ein Kollege meldete sich und erzählte, dass ein Mann aus Norwegen behauptete, bei Tesla zu arbeiten und Zugang zu internen Daten zu haben. Der Mann wollte nur verschlüsselt kommunizieren.
Im Gespräch erklärte er, dass er die Firma verlassen wollte, nachdem es Streit gegeben hatte. Während er nach Informationen für seinen Arbeitsrechtsstreit suchte, bemerkte er, dass er in Jira, dem firmenweiten Projektmanagement-Programm, auf alles zugreifen konnte. Er entdeckte eine Datei mit sämtlichen Mitarbeiterdaten, inklusive Adressen, Sozialversicherungsnummern und Gehältern.
Ich konnte zunächst kaum glauben, dass so etwas bei einem Technologiekonzern wie Tesla möglich ist. Wir haben dann sechs Monate lang versucht, die Informationen zu falsifizieren – aber die Daten stimmten.
Was war der überraschendste Fund in diesem Datenberg?
Iwersen: Der wirkliche Knaller kam bei einem Treffen in Norwegen. Der Whistleblower zeigte mir einen aufgeklappten Laptop und rief die Daten live ab. Plötzlich hatte ich ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Berlin vor Augen, die von Tesla Bewegungsdaten eines bestimmten Fahrzeugs anforderte. Dessen Besitzer wurde verdächtigt, Fluchthelfer für Jan Marsalek, den Wirecard-Betrüger, zu sein. In dem Moment wurde mir klar: Die Dokumente können tatsächlich echt sein. Wer soll auf eine so wilde Idee kommen, das zu faken?
Wie hat diese Recherche Ihren Blick auf Tesla verändert?
Iwersen: Einerseits war ich überrascht über die fehlenden Sicherheitsmaßnahmen beim Umgang mit Daten. Die Identitäten der Mitarbeiter lagen praktisch ungeschützt herum. Das kann weitreichende Konsequenzen für die Betroffenen haben.
Andererseits haben wir durch die Analyse von 23.000 verschiedenen Dokumenten einen tiefen Einblick in die Mitarbeiterführung bekommen. Bei Tesla sollen Mitarbeiter „Elons DNA“ annehmen. Gleichzeitig leben sie in ständiger Angst, dass ihre Projekte scheitern könnten, weil Musk ihnen dazwischenfunkt. Wir fanden auch Hinweise auf tausende von Fehlfunktionen beim Autopiloten und Unterlagen, in denen Tesla tödliche Unfälle als „gelöst“ markierte, obwohl die Unfallursache ungeklärt war und Tesla gegenüber Behörden angab, selbst keine Daten zu den Unfällen zu besitzen.
Tesla hat aktuell eine Marktkapitalisierung von über 750 Milliarden US-Dollar, während etablierte Hersteller wie Volkswagen und Toyota zusammen nur auf etwa ein Drittel davon kommen. Ist diese Bewertung nach Ihren Recherchen gerechtfertigt?
Iwersen: Die Bewertungsdiskrepanz ist tatsächlich bemerkenswert und eigentlich hinlänglich bekannt: Tesla wird derzeit mit einem KGV von deutlich über 100 gehandelt – deutlich über dem Branchendurchschnitt. Gleichzeitig sehen wir ein Kurs-Umsatz-Verhältnis von über 11, während der Branchendurchschnitt bei etwa 2,4 liegt. Diese hohe Bewertung basiert stark auf Zukunftsversprechen und Musks Vision.
Was unsere Recherchen betrifft: Wir haben zahlreiche Belege dafür gefunden, dass zentrale Versprechen wie das vollautonome Fahren seit Jahren nicht eingehalten werden. Gleichzeitig wachsen regulatorische Risiken und potenzielle Haftungsprobleme.
Wie erklären Sie sich, dass in einem Hightech-Unternehmen wie Tesla solche grundlegenden Sicherheitslücken existieren konnten?
Iwersen: Wir haben keine direkte Antwort von Tesla bekommen. Allerdings haben wir bei näherer Betrachtung festgestellt, dass es mindestens zwei interne Warnungen zur Datensicherheit gab. Ein früherer Mitarbeiter hatte das Thema bereits vor Jahren eskaliert, aber niemand handelte. Interessanterweise war selbst der Whistleblower, der uns die Daten zugänglich machte, ein selbsternannter „Jünger von Elon Musk“. Er war extra aus Polen nach Norwegen gezogen, um für Tesla zu arbeiten, und war dann umso enttäuschter von den Zuständen im Unternehmen.
In den letzten Monaten verzeichnete Tesla einen Rückgang bei Produktion und Auslieferungen. Die Umstellung der Model-Y-Produktion könnte zu Produktionsverlusten von bis zu 100.000 Fahrzeugen führen. Hat das auch mit den von Ihnen entdeckten Problemen zu tun?
Iwersen: Die aktuellen Produktionsprobleme sind eher operativer Natur und nicht direkt mit den Sicherheitsmängeln verbunden, die wir aufgedeckt haben. Allerdings zeigt sich hier ein Muster: Tesla hat immer wieder Schwierigkeiten, seine ambitionierten Ziele zu erreichen.
Bei unseren Recherchen haben wir festgestellt, dass die Unternehmenskultur stark darauf ausgerichtet ist, Probleme zu verschleiern und unrealistische Vorgaben zu machen. Die durchschnittlichen Verkaufspreise sinken, während attraktive Finanzierungsangebote die Margen unter Druck setzen. Die Diskrepanz zwischen Ankündigung und Realität ist ein wiederkehrendes Thema, das sich durch die gesamte Unternehmensgeschichte zieht.
Institutionelle Investoren wie die niederländischen Pensionsfonds ABP und Bpf Bouw haben bereits Konsequenzen gezogen und ihre Tesla-Aktien verkauft. Wie passt es zusammen, dass Musk einerseits seit Jahren das „Blaue vom Himmel“ verspricht und andererseits mit Tesla und Space-X enorme Erfolge feiert?
Iwersen: Das Buch bestreitet nicht, dass Musk ein Genie ist. Er ist zweifellos extrem intelligent. Aber er verspricht deutlich mehr, als er liefern kann. Seit 2016 kündigt er regelmäßig Innovationen an, die entweder gar nicht oder mit jahrelanger Verspätung kommen. Schon 2019 behauptete er, dass 2020 eine Million vollkommen selbstfahrende Robotertaxis unterwegs sein würden. Jedes Mal, wenn er solche Ankündigungen macht, steigt der Aktienkurs. Wenn es dann nicht eintritt, folgt einfach ein neues Versprechen.
Ein aktuelles Beispiel: Vor einigen Monaten versprach er den Mitarbeitern in Grünheide ein neues Massenmodell. Als dann später jemand nachfragte, hieß es plötzlich, ein solches preiswertes Modell sei „sinnlos“ und stünde „völlig im Widerspruch zu dem, was wir glauben“. Dabei haben wir seine Ankündigung auf Tonband!
Für Asset Manager ist die ESG-Bewertung von Unternehmen wichtig. Was haben Ihre Recherchen in Bezug auf Governance und soziale Verantwortung bei Tesla ergeben?
Iwersen: Unsere Erkenntnisse werfen sicherlich erhebliche Fragen zur Governance-Struktur auf. Musk dominiert sämtliche Entscheidungen. Bei der sozialen Verantwortung haben wir in den internen Dokumenten Hinweise auf problematische Arbeitsbedingungen gefunden. In Grünheide beispielsweise wurden Mitarbeiter von ihren Chefs als Simulanten und Diebe beschimpft. Auch der Umgang mit Sicherheitsmängeln in der Produktion und beim Autopiloten entspricht nicht den Standards, die man von einem führenden Unternehmen erwarten würde.
Was bedeutet das für Investoren? Hat Ihre Recherche überhaupt etwas am Markt bewegt?
Iwersen: Unsere Veröffentlichung hat den Aktienkurs nicht direkt beeinflusst. Die Bewertung von Tesla bleibt rätselhaft – das Unternehmen ist mehr wert als alle anderen Autokonzerne zusammen. In einem Rechtsstreit haben Musks Anwälte sogar argumentiert: „Wie kommen Sie darauf, dass man ihm glauben kann? Es ist doch offensichtlich, dass das nur überbordender Optimismus war.“
Weshalb Investoren seinen Ankündigungen immer noch glauben, das kann ich nicht sagen. Viele von Musks Versprechungen entsprechen nicht der Realität. Nehmen Sie den Cybertruck. Musk nennt ihn das beste Produkt, das Tesla jemals hergestellt hat und spricht von unglaublicher Nachfrage. Aber es wurden im vierten Quartal 2024 nur noch 13.000 Stück verkauft – 22 Prozent weniger als im Quartal zuvor. Dabei gab es laut Tesla angeblich eine Million Vorbestellungen. Das passt für mich nicht zusammen.

Kommen Investoren auf Sie zu, um mehr über Ihre Recherchen zu erfahren?
Iwersen: Ich hatte tatsächlich vor einigen Wochen eine Anfrage aus London – da ging es aber um einen anderen Fall. Insgesamt sind solche Kontakte eher selten. Unsere Recherche-Ergebnisse sind ja auch offen einsehbar, man muss nur das Handelsblatt lesen oder unser Buch kaufen. Dennoch scheint für viele der Aufwand, sich tiefergehend zu informieren, zu hoch zu sein. Mir kommt es seltsam vor, dass manche bereit sind, für Geschäftsessen regelmäßig 300 Euro auszugeben, aber bei einem Zeitungsabo für 50 Euro zögern.
Ihr Buch erscheint am 20. März. Was erwartet die Leser?
Iwersen: Das Buch bietet einen tiefen Einblick in die Funktionsweise von Tesla und die Arbeitsweise von Elon Musk. Für uns war besonders interessant, wie sich Musk im Juli 2024 politisch positioniert hat, als er für Trump Wahlkampf machte. Musk gab rund 260 Millionen Dollar dafür aus – scheinbar eine gewaltige Summe. Aber nach Trumps Sieg stieg Musks Vermögen auf dem Papier binnen sechs Wochen um 170 Milliarden Dollar. Das nenn ich mal einen Return on Investment!
Was das Buch besonders macht: Es handelt nicht nur von Tesla, sondern gibt auch Aufschluss darüber, was wir in den kommenden vier Jahren von Musk erwarten können, der nun als „Schattenminister“ für Trump tätig ist. Seine politischen Entscheidungen sind stark von seinem unternehmerischen Eigeninteresse geprägt.
Über Sönke Iwersen
Sönke Iwersen ist Leiter des Investigativ-Ressorts beim Handelsblatt. Der mehrfach ausgezeichnete Journalist gilt als einer der profiliertesten Investigativreporter Deutschlands. Für seine Recherchen erhielt er unter anderem dreimal den Wächterpreis, den Henri-Nannen-Preis und den Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik. Zudem wurde er zum Wirtschaftsjournalisten des Jahres gekürt.
Zusammen mit seinem Kollegen Michael Verfürden veröffentlicht er am 20. März 2025 das Buch „Die Tesla Files“, das Einblicke in interne Dokumente des E-Auto-Konzerns gewährt.