Kapitalpuffer deutscher Lebensversicherer „Solvenzlage nachweislich besser als vom BdV dargestellt“
Die coronabedingten Verwerfungen an den Kapitalmärkten haben erwartbar ihre Spuren auch in den Solvenzkennzahlender deutschen Lebensversicherer hinterlassen. Nichtsdestotrotz ist die Marktsituation aus aktuarieller Sicht weiterhin sehr stabil, da die Unternehmen unter anderem mit dem Aufbau der Zinszusatzreserve bereits seit 2011 Vorsorge für derartige Extremsituationen betreiben und die Übergangsmaßnahmen von Solvency II maßgeblich zur Stabilisierung der Branche beigetragen haben.
Die Übergangsmaßnahmen sind ein elementarer Bestandteil des seit 2016 gültigen Aufsichtsregimes Solvency II, wodurch es für jedes Unternehmen genau eine offizielle Solvency-II-Kennzahl gibt. Berechnungen sogenannter „reiner Solvenzquoten“ ohne Berücksichtigung der Übergangsmaßnahmen sind vor diesem Hintergrund aufsichtsrechtlich keine validen Kennzahlen und können sogar zu Fehlinterpretationen führen.
Kein Zeichen von Schwäche
Aus aktuarieller Sicht darf die Verwendung der Übergangsmaßnahmen nicht als Zeichen von Schwäche verstanden werden. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer sorgfältigen Risikoanalyse und Unternehmensstrategie. Die bewusste Entscheidung für die Nutzung von Übergangsmaßnahmen ermöglicht eine laufende und ressourcenschonende Verbesserung der Risikotragfähigkeit, die dem langfristigen Charakter des Lebensversicherungsgeschäfts entspricht. Sie ist im Sinne eines kollektiven Verbraucherschutzes zu begrüßen. Ein prozyklisches Verhalten und die Umsetzung von Maßnahmen, zum Beispiel auf Seiten der Kapitalanlage, zum Nachteil der Versicherten können dadurch vermieden werden.
Hallo, Herr Kaiser!
Richtig ist aber auch, die deutschen Lebensversicherer mit ihren sozialpolitisch gewünschten langfristigen Garantien müssen bis spätestens 2032 alle Anforderungen von Solvency II ohne die Anwendung der Übergangsmaßnahmen erfüllen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) wird genau beobachten, wie gut die Versicherungen dieser existenziellen Aufgabe nachkommen und zweifellos gegebenenfalls im Rahmen ihrer Kompetenz regulierend eingreifen. Diese brancheninterne Hygiene ist aus aktuarieller Sicht auch absolut notwendig, um die langfristige Stabilität des gesamten Versicherungswesens auf dem heutigen hohen Niveau gerade im Interesse der Kundinnen und Kunden weiterhin sicherzustellen.
Über den Autor:
Herbert Schneidemann ist seit 2007 für die Bayerischen Beamten Versicherungen tätig. 2008 stieg er dort in den Vorstand auf und übernahm Anfang 2012 den Vorsitz der Vorstände der Versicherungsgruppe. Dem Vorstand der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) gehört Schneidemann seit 2016 an. In den vergangenen zwei Jahren war er der Stellvertreter des bisherigen Vorstandsvorsitzenden Guido Bader, dessen Amt er Ende April übernahm.