Nachhaltige EU-Klassifikation Was ist eigentlich aus der Sozialen Taxonomie geworden?
Die Europäische Union möchte bis 2050 zum ersten nachhaltig wirtschaftenden Kontinent werden. Für entsprechende Investitionen will sie auch unter privaten Finanzanlegern Geld einsammeln. Leider sei dieser Prozess ins Stocken geraten, beklagt die als Verein organisierte NGO Südwind. „Gerade beim Herzstück der EU-Sustainable-Finance-Regulierungen, der Taxonomie-Verordnung, hat die EU-Kommission der Mut verlassen“, wirft die Organisation dem Brüsseler Gremium vor. Nach heftigem Streit um gemeinsame Umweltziele habe es die Kommission unterlassen, weiter zu definieren, welche wirtschaftlichen Aktivitäten in der EU als sozial, welche als schädlich und welche als substanzieller Beitrag zur Transition gezählt werden können.
In der Folge fallen viele Branchen aktuell noch gar nicht in das Betrachtungsschema der Taxonomie-Verordnung. So hat die Kommission zwar bereits die Umweltaspekte abgehandelt. Mit der Fokussierung auf Umweltziele bleiben aber zu viele Branchen unberücksichtigt, moniert Südwind. „Nur knapp die Hälfte der europäischen Wirtschaftsaktivitäten sind überhaupt als taxonomiefähig qualifizierbar“, heißt es in einer Mittelung des Hauses. Positive soziale Aspekte wirtschaftlicher Aktivitäten könnten über die Taxonomie noch gar nicht sichtbar gemacht werden.
Nachhaltigkeits-Experten seien sich einig, „dass die Taxonomieverordnung nur mit einer Ergänzung um soziale Ziele funktionieren kann“, schreiben die Autoren weiter. Die Ergebnisse einer entsprechenden Befragung unter Stakeholdern will Südwind demnächst vorstellen.
Dort zieht man auch einen Vergleich: „Andere Staaten, die ebenfalls Taxonomien entwickeln, sind schon weiter als die EU und definieren in ihren Taxonomien ein holistischeres Verständnis von Nachhaltigkeit, das neben der ökologischen auch soziale Dimensionen einschließt.“
In der Tat hat sich die EU-Kommission beim Ausgestalten der Taxonomieverordnung bislang einzig und allein mit den ökologischen und Klima-Aspekten von Nachhaltigkeit befasst. Danach wurde es still um das Vorhaben.
Drei Kernbausteine der EU-Nachhaltigkeitsstrategie
Die EU-Taxonomieverordnung ((EU) 2020/852), ist bereits im Juli 2020 in Kraft getreten. Sie ist eines der drei Herzstücke des EU-Aktionsplans zu Nachhaltigkeit. An ihrer Seite stehen zusätzlich die CSRD-Richtlinie (Corporate Sustainability Reporting Directive), nach der Unternehmen über den Grad ihrer Nachhaltigkeit Auskunft geben müssen, sowie die SFDR-Verordnung, die Finanzdienstleister zur Offenlegung der Nachhaltigkeitsfaktoren in ihren Finanzprodukten verpflichtet.
Nun ist die SFDR („Offenlegungsverordnung“) bereits seit Längerem in der Finanzindustrie angekommen und hat sich dort fest etabliert: Fondsgesellschaften ordnen ihre Fonds öffentlichkeitswirksam den Artikeln 6, 8 oder 9 zu – was einen bestimmten Grad an Nachhaltigkeit impliziert und jeweils abgestufte Reporting-Pflichten nach sich zieht. Bei der CSRD-Richtlinie haben Unternehmen aktuell noch Mühe, den umfangreichen Nachhaltigkeits-Reportings zu genügen. Aber auch dort ist Fortschritt spürbar. Demgegenüber scheint die Taxonomieverordnung auf halbem Wege steckengeblieben zu sein. In ihrer Ausgestaltung klaffen weiterhin große Lücken.
Das ist die Taxonomie-Verordnung
Die Taxonomie-Verordnung hat das Ziel, jegliche Wirtschaftsaktivitäten nach dem Grad ihrer Nachhaltigkeit einzustufen – nachhaltig nach den Faktoren ökologisch, sozial und Unternehmensführung, wie sie im Kürzel ESG zusammengefasst sind. Damit soll sie Investoren eine Messlatte geben.
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Im Bereich Ökologie („E“ aus ESG) definiert sie die sechs Umweltziele Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und Schutz und Wiederherstellen der Biodiversität und der Ökosysteme. Nachhaltig laut Taxonomie gelten Wirtschaftstätigkeiten von Unternehmen, die mindestens zu einem dieser Ziele wesentlich beitragen und gleichzeitig kein anderes Ziel beeinträchtigen. Mittlerweile existieren detaillierte Rechtsakte zu allen sechs Umweltzielen. Darin sind Wirtschaftstätigkeiten samt technischer Bewertungskriterien festgehalten, über die sich beurteilen lässt, wie ökologisch nachhaltig ein Unternehmen handelt.
Eine soziale Taxonomie, die eigentlich als nächstes in Angriff genommen werden sollte, existiert dagegen noch nicht. Dabei liegt zumindest ein Rahmenentwurf für eine soziale Taxonomie schon lange vor, konkret seit Sommer 2021. Eine Arbeitsgruppe der-Sustainable-Finance-Plattform der EU-Kommission stellte damals ein 61 Seiten starkes Dokument vor - noch kein Entwurf, aber ein Rahmenplan für eine soziale Taxonomie. Die Vorschläge wurden zur Konsultation gestellt. Was ist daraus geworden?
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, habe sich bereits in der vergangenen EU-Legislaturperiode skeptisch gezeigt, dass die Kommission noch einen Vorschlag für eine Sozialtaxonomie machen würde. So ist es von einem Insider aus Richtung des EU-Parlaments zu hören. Vor allem nach der harschen Diskussion über Gas- und Kernkraft, bei denen sich die EU-Staaten kaum einigen konnten, ob diese nun als nachhaltig einzustufen seien, sei das Projekt ins Stocken geraten. Die Kommission habe deshalb zuletzt vor allem angestrebt, die schon bestehenden Taxonomieregeln anwenderfreundlicher und konsistenter zu machen.
Kommt die Sozialtaxonomie noch mal auf den Tisch?
Mittlerweile ist ein neues EU-Parlament gewählt worden, und auch eine neue Kommission tritt ihre Arbeit an. Nicht ausgeschlossen, dass das Thema Sozialtaxonomie noch einmal auf den Tisch kommt - obwohl nicht alle Fraktionen des EU-Parlaments wirklich daran interessiert seien, so der Insider weiter.
Unter den Zielen, die sich die neue Kommission gesetzt hat, kommt das ehemals so stark forcierte Thema Nachhaltigkeit auch nur als einer von sechs Kernpunkten vor. Die Kommission strebe eine „wettbewerbsfähigen, dekarbonisierte Kreislaufwirtschaft“ an, heißt es dort. Maue Aussichten für eine Sozialtaxonomie somit.
Das Projekt, eine europaweit verbindliche Definition nachhaltigen Wirtschaftens zu schafffen, ist auch schon von verschiedenen Seiten kritisiert worden. So verurteilte Bafin-Chef Mark Branson die Taxonomieverordnung im vergangenen Jahr als „viel gut gemeinte Regulierung, die das Ziel verfehlt hat und uns teilweise in eine Sackgasse gebracht hat“. Sie „kreiert vielmehr Geld für Beratungsunternehmen in diesem Bereich“, so Branson.
Der Faktor „G“ aus ESG, der Aspekt Unternehmensführung, soll indessen nicht gesondert im Rahmen einer Taxonomie ausdefiniert werden. Was unter nachhaltige Governance fällt, wird teilweise in der übrigen Taxonomie mit abgehandelt. So formuliert bereits die Umwelttaxonomie einige Governance-bezogene Anforderungen, besonders im Hinblick auf Compliance und Risikomanagement.
Wie es mit der Sozialen Taxonomie nun weitergehen könnte, will der Verein Südwind im Rahmen eines Webinars am kommenden Mittwoch vorstellen. Hier geht es zur Anmeldung >>