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Aktualisiert am 07.07.2023 - 10:41 Uhrin Karl PilnyLesedauer: 10 Minuten

Pilnys Asia Insights Moskauer Tischgespräche: Wie Xi und Putin den Westen herausfordern

Chinas Präsident Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin
Chinas Präsident Xi Jinping und Wladimir Putin bei einem Staatsdinner auf Einladung des russischen Präsidenten im Moskauer Kreml. | Foto: IMAGO / SNA

Der dreitägige Staatsbesuch des chinesischen Kaisers beim vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen gesuchten Putin ist ein historisches Ereignis.

Die für Viele nur schwer zu verdauenden Bilder machen auch dem Letzten klar: Xi und Putin bauen vehement an einem Bollwerk gegen den Westen, sie wollen eine Weltordnung ohne Vorherrschaft der USA.

Putin begrüßt Xi fast ein wenig befangen per Handschlag im Kreml, gegenseitig nennen sie sich „lieber Freund“, die Stühle der beiden stehen kaum einen Meter voneinander entfernt, nur ein Tischchen trennt sie.

Das sah letztes Jahr noch anders aus: westliche Politiker wie Macron und Scholz mussten an einem gefühlten Zehn-Meter-Tisch Platz nehmen – was auch zu den inhaltlichen Differenzen passte – und Putin beugte sich fast über den Tisch als er beim Treffen der Shanghai Cooperation in Usbekistan Xi gegenübersaß.

Nun ist alles gut: Xi sitzt nun ganz dicht neben dem russischen Diktator. Bei der herzlichen Begrüßung im Kreml überschütteten sich die beiden „engen Freunde“ mit gegenseitigem Lob.

Putin wirkte fast demütig, als er bewundernd vom Erfolg des chinesischen Entwicklungsmodells sprach und einräumte, „China darum ein wenig zu beneiden“. Xi wiederum „ist sich sicher Putin werde bei den Wahlen nächstes Jahr gewiss erneut die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung bekommen“.

Das Zusammentreffen sendet ein wichtiges Signal: für Putin, weil er der Welt demonstrieren kann, dass einer, den der soeben im Amt bestätigte chinesische Machthaber besucht, weder unberührbar noch isoliert sein kann.

Für Xi, weil er auf den eigenständigen Weg Chinas und auf die in vielen Teilen mit Russland übereinstimmende Weltsicht verweisen sowie sich als „Stimme der Vernunft“ im Ukraine-Krieg darstellen kann. China hat zu Russlands Krieg nie klar Position bezogen, aber teilt wohl grundsätzlich Moskaus Sicht auf die Ereignisse.

Beide riefen den Beginn ihrer intensiven Zusammenarbeit vor zehn Jahren in Erinnerung, als Xi nach der Wahl zum Präsidenten Moskau als erstes Reiseziel gewählt hatte, wie jetzt zu Beginn seiner dritten Amtszeit.

In diesen zehn Jahren haben sich die beiden vierzig Mal getroffen, was einen starken Gleichklang und eine gute persönliche Chemie nahelegt sowie eine ähnliche Sicht auf die Weltpolitik.

Intensivierte Partnerschaft zwischen China und Russland bereitet dem Westen Sorge

Bereits im Vorfeld des Besuchs hatten Xi und Putin in Gastbeiträgen in Zeitungen des jeweils anderen Landes die Bedeutung der bilateralen Beziehungen betont.

Das macht deutlich, wie stark sich das Verhältnis zwischen den beiden Staaten gewandelt hat. Zu Sowjetzeiten hatte Russland die Rolle eines größeren Bruders gegenüber China, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht.

Heute sind die Rollen vertauscht, auch weil Russland aufgrund der westlichen Sanktionen immer mehr von China abhängt.

Xi und Putin hatten sich kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine eine „Partnerschaft ohne Grenzen“ zugesichert. Damals verabschiedeten die beiden Staatschefs ein Strategiepapier, das gegen eine vermeintliche Vorherrschaft der USA gerichtet ist.

Beiden geht es vordergründig um eine multipolare Weltordnung mit den Vereinten Nationen als Kern. Gemeint ist aber vor allem, die Absage an die weltpolitisch bestimmende Kraft des Westens.

Chinas Präsident Xi Jinping und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin bei einem Treffen im Moskauer Kreml.
Bei der ersten Auslandsreise nach seiner kürzlichen Wiederwahl war der chinesiche Präsident Xi Jinping bei Wladimir Putin in Moskau zu Gast. © IMAGO / ITAR-TASS

Die von Putin beschworene neue Souveränität Russlands war also vor allem gegenüber den USA und anderen westlichen Staaten gemeint. Die Gefahr wirtschaftlicher Abhängigkeit – gilt nun jedoch in erster Linie China.

Je mehr das Handelsvolumen ansteigt, chinesische Konsumgüter und Technologie die Importe aus dem Westen ersetzen und der Dollar zugunsten des Yuan an Bedeutung für Russland verliert, wächst das Gewicht des mächtigen Nachbarn.

So zum Beispiel auf dem Automarkt - der Marktanteil chinesischer Autos betrug 33 Prozent im zweiten Halbjahr 2022. Im ersten Halbjahr hatte dieser Wert noch bei knapp einem Zehntel dessen gelegen.

Chinas Rolle beim Import von Technologie und Maschinen sowie beim Export von Rohstoffen ist sogar noch wichtiger.

Zumindest bisher hielt sich Peking bei potenziell militärisch nutzbaren Gütern zurück, in erster Linie, um westliche Sanktionen zu vermeiden. Doch je länger der Druck des Westens auf Russland anhält, desto eher scheint China bereit, die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland auszuweiten.

Russland sucht deshalb eine schnelle Entscheidung zum Bau der Erdgaspipeline Sila Sibiri 2, die mithelfen würde, die auf Europa ausgerichteten Exportkapazitäten nach Asien umzulenken.

Bei seinem Besuch in Moskau tauscht sich Xi bereits zum fünften Mal seit Kriegsbeginn persönlich mit Putin aus. Mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski hat er dagegen seither nicht gesprochen.

Zwar sollte es bei den Gesprächen auch um den Ukrainekrieg gehen. Im Zentrum des Treffens stand aber klar eine Stärkung der bilateralen Beziehungen, eine vertiefte militärische Zusammenarbeit, Exporte von Chips und Technologie aus China nach Russland sowie von Öl und Gas nach China.

Mit Sorge blicken die USA und andere westliche Staaten auf die intensivierte Partnerschaft zwischen China und Russland. Sie haben die chinesische Staatsführung in den vergangenen Wochen wiederholt davor gewarnt, Russland im Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen, insbesondere sollte China Waffen an Russland liefern.

China baut neuen Atomreaktor - ziviler Zweck oder militärisches Ziel?

Im Oktober 1964 zündet China seine erste Atombombe. Nun will es sein Arsenal deutlich ausbauen, wobei der größte Engpass der Mangel an spaltbarem Material ist.

Passend dazu erreichte vor einigen Wochen eine außergewöhnliche russische Lieferung China: 6.477 Kilogramm Uran, bestimmt für Reaktor 1 des Atomkraftwerks Xiapu in der Provinz Fujian.

Offiziell handelt es sich bei der neuen Anlage, die auf einer Insel nur gut 200 Kilometer von Taiwan entfernt entsteht, um eine zivile Anlage - nicht um einen Leichtwasserreaktor, von denen China bereits 54 betreibt, sondern um einen sogenannten schnellen Brüter.

 

China und Russland arbeiten seit langem gemeinsam an Brutreaktoren und auch für Xiapu hat Russland wichtige Komponenten geliefert. Wenn es mit schnellen Brütern selbst Kernbrennstoff herstellen könnte, wäre China autarker.

Wenn China das Plutonium für militärische statt ziviler Zwecke verwende, dann könnte es dank dem Plutonium des schnellen Brüters in Xiapu bis 2030 sein Atomwaffenarsenal von gegenwärtig schätzungsweise 350 auf rund 1.300 Sprengköpfe ausbauen und damit aufschließen zu Russland und den USA.

Als offizieller Atomstaat könnte China wieder eine solche Anlage bauen, ohne internationale Abkommen zu verletzen. Doch China will kein Atomwettrüsten in Asien, vor allem nicht, bei den Nachbarn.

Japan hat unter den Nichtatomwaffenstaaten den mit Abstand größten Bestand an Plutonium – ein Vielfaches mehr als China. Je aggressiver China auftritt und je offensiver es sein Atomprogramm ausbaut, desto lauter werden Stimmen in Japan, dass man eine eigene Atombombe entwickeln solle.

Das wiederum könnte Südkorea, das sich bereits von Nordkoreas Atomraketen und die ständigen Tests bedroht fühlt, dazu bringen, eine eigene Atombombe zu bauen.

Um in der Region keine Kettenreaktion auszulösen, unterscheidet sich die Rhetorik Chinas in Sachen Atomwaffen deutlich. Russland hat in jüngerer Zeit immer wieder mit deren Einsatz gedroht.

China hingegen hat wiederholt erklärt, dass „Atomwaffen nicht zum Einsatz kommen und dass keine Atomkriege ausgetragen werden sollen“. Diese Formulierung steht auch im chinesischen Positionspapier zum Ukraine-Konflikt.

Trotz aller rhetorischen Distanz kooperieren China und Russland im Bereich der nuklearen Abschreckung und ihre Streitkräfte führen regelmäßig gemeinsame Manöver durch.

Und Russland hilft China ein Frühwarnsystem für Interkontinentalraketen zu entwickeln, was dazu führen könnte, dass China eine sogenannte „launch on attack posture“-Politik einführt.

Das würde bedeuten, dass China seine Atomraketen abfeuert, sobald es den Start feindlicher Interkontinentalraketen entdeckt, und nicht wartet, bis diese einschlagen.

Xis Balanceakt im Ukraine-Konflikt

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In jedem Fall stärkt die strategische Verbrüderung Xis mit Putin Chinas globale Machtansprüche, zugleich riskiert China aber auch, in einen fatalen Stellvertreterkrieg verwickelt zu werden. Die Welt spaltet sich und so standen am Ende des Staatsbesuchs große Worte.

„Gerade jetzt gibt es Veränderungen, wie wir sie seit 100 Jahren nicht gesehen haben“, sagte Xi Jinping zu Wladimir Putin, „und wir sind diejenigen, die diese Veränderungen zusammen vorantreiben.“

China und Russland rücken wirtschaftlich und strategisch noch enger zusammen. Dabei ist Putin klar der Juniorpartner.

China will weiterhin zumindest den Anschein der Neutralität im Krieg in der Ukraine aufrechterhalten. Chinesische Waffenlieferungen an Russland stehen (noch) nicht zur Debatte, und China sucht den Dialog mit der Ukraine.

Und die neue antiwestliche Weltordnung nimmt Fahrt auf, unter Führung des modernisierten China, dem sich Putin geradezu an den Hals wirft. So hat er auch erklärt, sich der Entdollarisierung des Welthandels unter der Führung von China anzuschließen und in Drittstaaten zukünftig mit Yuan zu bezahlen.

Einen Fortschritt bei der Erdgas-Pipeline Power of Siberia 2 hat Putin allerdings noch nicht erreicht, wahrscheinlich weil Xi noch niedrigere Preise fordert.

Um den Krieg in der Ukraine ging es bei dem Treffen kaum, vielmehr schienen die beiden Autokraten von ihrer historischen Aufgabe und dem Bestreben ihre diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen noch mehr zu vertiefen um sich damit gegenüber ihrem gemeinsamen Feind, den USA, in Stellung zu bringen, geradezu besessen.

 

Putin braucht Xi, und Xi profitiert enorm vom kriegsgeschwächten Russland: günstiges Gas, ein wachsender Exportmarkt, ein Verbündeter im Uno-Sicherheitsrat.

Doch eine allzu enge Verbrüderung mit dem militärisch so unerfahrenen wie erfolglosen Putin ist nicht ungefährlich, denn Xi will nicht auf der Verliererseite stehen. Sollte der ungleiche Eroberungskrieg in der Ukraine auf eine russische Niederlage zusteuern, wird es für China zunehmend schwierig, sich aus dem Krieg herauszuhalten.

Das hätte im schlimmsten Fall einen Stellvertreterkrieg zur Folge, mit den USA und Europa auf der einen Seite, und Russland und China auf der anderen. Ein solches Szenario wäre fatal für China, denn seine größten Handelspartner sind die EU und die USA.

Die USA haben mehrmals deutlich gemacht, dass sie China mit ähnlichen Sanktionen wie Russland belegen würden, sollte China Russland mit Kriegsmaterial unterstützen.

Auch die EU würde wohl mitziehen, vielleicht sogar auch Südkorea und Japan. China wäre isoliert, die Beziehungen mit dem Westen wären irreparabel beschädigt. Xi Jinpings Traum vom „gemeinsamen Wohlstand“ für China wäre damit ausgeträumt, denn wie könnte er unter diesen Umständen dem Globalen Süden noch glaubhaft den Erfolg des chinesischen Entwicklungsmodells vermitteln.

Kalter Krieg 2.0: Die wachsende Spaltung der Welt

Noch gelingt es China ein solches Dilemma zu verhindern, indem es sich durch einen Drahtseilakt auch ein Stück weit von Russland distanziert. Immerhin ist im gemeinsamen Abschlusskommuniqué nicht mehr von einer „Partnerschaft ohne Grenzen“ zu lesen, und China scheint sich zaghaft für Gespräche mit der Ukraine zu öffnen. Ein Meisterstück des Sowohl-als-auch.

Denn in Bezug auf die EU hat Xi immer noch Hoffnung auf eine konstruktive Zusammenarbeit und noch ist ein Stellvertreterkrieg vermeidbar.

Gleichwohl wird Xis Spagat immer breiter und die Spaltung der Welt immer deutlicher: Kalter Krieg 2.0.

Nun gilt es für den Westenmehr denn je das Sowohl-als-auch der Chinesen anzuwenden und nicht im Schwarz-Weiß-Denken zu verharren und alle Brücken zu China abzubrechen.

Im Gegenteil: Statt auf Abschreckung sollte der Westen jetzt auf einen noch intensiveren Dialog mit China setzen, denn es besteht die Gefahr, dass sich bei Xi die Überzeugung festsetzt, dass es ohnehin auf einen unvermeidlichen Bruch mit dem Westen hinauslaufen wird.

Dann hätte Xi nichts mehr zu verlieren und würde wohl Putin auch mit Kriegsmaterial unterstützen um ihn - und das gemeinsame Ziel die USA vom Thron zu stoßen - vor einer Niederlage zu bewahren. Im Zuge einer solchen Entwicklung könnte man, ganz im Sinne des Sowohl-als-auch, gleich noch das leidige Taiwan Thema miterledigen.

Pilnys Asien-Insights der vergangenen Wochen:

>> Im Osten nichts Neues: Xi Jinping stärkt seine Macht beim Nationalen Volkskongress

>> Der Aufstieg Südostasiens: Von Mega-Häfen und E-Commerce-Boom

>> Japans Wachstumskrankheit: Eine Chance für Investoren trotz schwacher Konjunktur?

>> Die neue Weltunordnung: Spannungen zwischen China, Russland und USA nehmen zu

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