Volkswirt Johannes Mayr
81 Billionen Staatsschulden, ein Ende ist nicht in Sicht - was tun?
Johannes Mayr ist Chefvolkswirt der Anlagegesellschaft Eyb & Wallwitz. Foto: Eyb & Wallwitz / Canva
Der Berg der globalen Staatsschulden summiert sich mittlerweile auf 81 Billionen US-Dollar oder 92 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Tendenz: steigend. Dies wird häufig als ein zentrales Risiko für Wirtschaft und Finanzmärkte gesehen. Wie kann jedoch eine Reduktion gelingen? Johannes Mayr nennt vier Vorgehen aus der Historie und überträgt diese auf die heutige Situation.
Eine Reduktion der globalen Staatsschulden scheint unabdingbar. Ob und wie das gelingen kann ist aber umstritten. Zu groß scheinen die Kosten der Transformationsprozesse. Und zu ungünstig die Projektionen zu Demografie und Produktivität in Europa und den USA. Der Anstieg der Zinsen rückt die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen nun auch akut wieder in den Fokus. Vielfach wird eine große Welle von Staatspleiten als unausweichlich dargestellt.
Das wäre nicht nur für Investoren hoch problematisch. Denn Staatsschulden haben eine große Bedeutung für Gesellschaft, Wirtschaft und den Kapitalmarkt. Moderatere Wege aus der Verschuldung gibt es viele. Die Staaten werden sich wohl unterschiedlich aus diesem Menü bedienen. Das hat Folgen für die Anleger. Die Motive für eine Anlage in Staatsanleihen werden sich wohl (wieder) einmal ändern.
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Eine Reduktion der globalen Staatsschulden scheint unabdingbar. Ob und wie das gelingen kann ist aber umstritten. Zu groß scheinen die Kosten der Transformationsprozesse. Und zu ungünstig die Projektionen zu Demografie und Produktivität in Europa und den USA. Der Anstieg der Zinsen rückt die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen nun auch akut wieder in den Fokus. Vielfach wird eine große Welle von Staatspleiten als unausweichlich dargestellt.
Das wäre nicht nur für Investoren hoch problematisch. Denn Staatsschulden haben eine große Bedeutung für Gesellschaft, Wirtschaft und den Kapitalmarkt. Moderatere Wege aus der Verschuldung gibt es viele. Die Staaten werden sich wohl unterschiedlich aus diesem Menü bedienen. Das hat Folgen für die Anleger. Die Motive für eine Anlage in Staatsanleihen werden sich wohl (wieder) einmal ändern.
Verschiedene Wege zum Abbau der Staatsverschuldung
Zumindest in der Theorie gibt es mehrere Wege zum Abbau der öffentlichen Schuldenquoten, die jeweils an verschiedenen Stellen des Verhältnisses aus Schuldenstand und Wirtschaftsleistung ansetzen und in der Historie unterschiedlich erfolgreich eingesetzt wurden:
- Aktiver Abbau des Zählers über einen nachhaltig positiven Finanzierungssaldo im Staatshaushalt, das heißt die laufenden Staatseinnahmen übersteigen die Staatsausgaben und positive Primärsaldo wird für den Schuldenabbau eingesetzt. Die schwäbische Hausfrau gilt als Vorbild. Neben Ausgabenkürzungen kann dies auch über ein höheres Steueraufkommen erreicht werden.
- Reduktion des Zählers über Ad-hoc-Maßnahmen und Ereignisse wie etwa Schuldenschnitte (meist über Laufzeitverlängerungen oder Stundungen) oder Währungsbewegungen sowie Privatisierungserlöse und Debt Equity Swaps.
- Insbesondere für Staaten innerhalb einer Währungsunion kommt auch die Option einer Übernahme von Verbindlichkeiten durch Partnerländer in Frage.
- Über den sogenannten Schneeballeffekt, wenn das nominale Wirtschaftswachstum das Nominalzinsniveau übersteigt. Der Nenner der Schuldenquote steigt dann rascher als der Zähler. Die Schuldenquote sinkt ebenso. Der Schneeballeffekt lässt sich dabei entweder über eine hohe reale Wirtschaftsdynamik oder aber über eine höhere Inflation erreichen, jeweils in Verbindung mit niedrigen (realen) Zinsen.
Orthodoxe wirtschaftspolitische Anstrengungen zum Schuldenabbau kombinieren Primärüberschüsse und Privatisierungserlöse mit Maßnahmen zur Förderung des realen Wachstums. Heterodoxe Ansätze setzen dagegen auf Schuldenrestrukturierungen sowie eine höhere Inflation bei gleichzeitig durch die Notenbank politisch niedrig gehaltenen Zinsen. Letzteres kann als Inflationsbesteuerung oder finanzielle Repression bezeichnet werden.
In der Historie wurden diese Ansätze unterschiedlich stark und erfolgreich eingesetzt. Während der Abbau der Staatsschulden in der westlichen Welt vor und nach dem ersten Weltkrieg zu einem größeren Anteil über aktive Haushaltskonsolidierungen und eine positive Primärbilanz erreicht wurde, dominierte nach dem zweiten Weltkrieg der Schneeballeffekt über ein hohes reales Wachstum und dazu relativ (!) niedrige Zinsen. Seit der Finanzkrise kommen wieder vermehrt heterodoxe Ansätze zur Anwendung. So wurden die griechischen Staatsschulden primär mit einer Kombination aus Schuldenschnitt und Schuldenübernahme durch Partnerländer reduziert.
Ausblick: Zinsanstieg begrenzt Optionen und macht heterodoxe Maßnahmen wahrscheinlicher
Trotz aller Skepsis kann die Wirtschaftspolitik also aus verschiedenen Optionen für eine Reduktion der Staatsschulden wählen. Angesichts der großen langfristigen Bedeutung der öffentlichen Verschuldung für Wirtschaft und Kapitalmarkt sollte der Schwerpunkt dabei auf einer nachhaltigen Haushaltspolitik sowie Maßnahmen zur Steigerung des realen Wachstumspotenzials liegen.
Der angenehme Weg über ein Herauswachsen aus der Verschuldung wird allerdings durch das wohl auch strukturell höhere Zinsniveau in den kommenden Jahren deutlich erschwert. Auf dem aktuellen Niveau liegen die Kapitalmarktzinsen in den meisten westlichen Ländern bereits über der Durchschnittsverzinsung der Staatsschulden und werden diese schrittweise über das nominale Wachstumstempo drücken.
Gleichzeitig scheint ein über mehrere Jahrzehnte positiver Primärsaldo angesichts der strukturell steigenden Ausgaben für die Sozialsysteme, die Energiewende und Klimaschäden sowie für Verteidigung und Industriepolitik politisch kaum umsetzbar. Hierfür spricht auch, dass sich alle politischen Selbstbeschränkungen in der Haushaltspolitik wie etwa die Maastricht-Regeln als nicht glaubwürdig und weitestgehend erfolglos erwiesen haben.
Realistisch wird sich die Mehrheit der Staaten deshalb zumindest teilweise auch heterodoxer Maßnahmen zur Schuldenreduktion bedienen. An erster Stelle steht dabei eine zumindest teilweise Entschuldung über das „Weginflationieren“ von Schulden beziehungsweise eine erhöhte Inflationssteuer. In einigen Ländern werden Ad-hoc-Maßnahmen wie Privatisierungen und Schuldenrestrukturierungen dies ergänzen. Im Euro-Raum dürfte sich der Weg zu einer Vergemeinschaftung der Staatsverschuldung fortsetzen.
Damit der Druck auf die Politik in diese Richtung nicht zu groß wird, ist vor allem in Europa eine Abkehr von der derzeitigen Vollkaskomentalität auf der Ausgabenseite unabdingbar. Auf der Einnahmenseite müssen Konzepte zur Erhöhung des Steueraufkommens und Begrenzung der Steuervermeidung geprüft werden. So schmerzhaft diese Eingriffe kurzfristig auch sind, versprechen die orthodoxe Stabilisierung der öffentlichen Schuldenquoten und die Sicherung der Rolle von Staatsverschuldung als Anker des Finanzsystems langfristig erhebliche Wohlfahrtsgewinne.
Aus Anlegersicht: Staatsschulden nicht immer eine sichere Sache
Aus Investorensicht scheint klar, dass sich die Risikoprämien für viele Staatsanleihen mittelfristig erhöhen werden. Das gilt auch deshalb, da die Notenbanken in Zeiten einer strukturell höheren Inflation nicht mehr in allen Phasen von Wirtschaft und Kapitalmarkt als Käufer der letzten Instanz bereitstehen können. Die jüngste Korrektur der Laufzeitprämien an den Anleihemärkten in den USA und Europa gibt hier einen Vorgeschmack.
Auch deshalb lohnt es sich bei der Suche nach bonitätsstarken Anleihen zur Risikosteuerung nicht blind auf alte Sicherheiten zu vertrauen, sondern den Blick regional und sektoral zu weiten. Denn nicht alle Staaten dürften künftig als risikolose Schuldner betrachtet werden. Das gilt gerade auch in Europa, solange eine weitere Vergemeinschaftung noch nicht ausgemachte Sache ist.
Und auch in zyklischer Perspektive muss die Eignung von Staatsanleihen als Baustein im Portfolio stets kritisch geprüft werden. Denn nicht in allen Marktphasen können diese ihre Puffereigenschaft etwa für Aktienrisiken ausspielen. Das hat die Entwicklung seit Anfang 2022 eindrucksvoll gezeigt. Ein ausgewogenes und dynamisch über Kredit- und Durationsrisiken gesteuertes Portfolio von Unternehmensanleihen ist dabei eine bedenkenswerte Alternative.
Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?
Über den Autor