Finanzexperte Jan Viebig
Die dysfunktionale Fiskalpolitik der USA belastet die Welt
Aktualisiert am
Jan Viebig ist Investmentchef der Privatbank Oddo BHF. Foto: Oddo BHF / Canva
Die Leitwährung der Welt zu besitzen, bringt viele Vorteile. So ist es für andere Staaten wirtschaftlich sinnvoll, einen guten Teil ihrer Devisenreserven in den Staatsanleihen der USA anzulegen. Die Vereinigten Staaten nutzen dieses Privileg seit Jahrzehnten weidlich aus - Ende 2022 war die Staatsverschuldung auf über 30 Billionen Dollar gestiegen.
An der Bonität der USA sind zuletzt die Zweifel etwas größer geworden. Nach S&P im Jahr 2011 hat im August 2023 eine zweite große Ratingagentur, Fitch, dem Land die höchste Bonitätsnote AAA entzogen und auf AA+ gesenkt. Das muss die Gläubiger der USA nicht beunruhigen. US-Staatsanleihen zählen weiterhin zu den sichersten Anlagemöglichkeiten der Welt.
Dennoch: Die amerikanische Finanzpolitik entwickelt sich aus unserer Sicht eindeutig in die falsche Richtung. Der Vorzug, die Leitwährung für die globale Wirtschaft zu emittieren, entbindet nicht von der Pflicht, verantwortungsvoll mit den Staatsfinanzen umzugehen. Dass es an diesem Sinn für Verantwortung mangelt, zeigt ein Blick in die Begründung, als Fitch den USA den AAA-Status entzogen hatte: „Die Herabstufung des Ratings der Vereinigten Staaten spiegelt die erwartete Verschlechterung der Haushaltslage in den nächsten drei Jahren“, heißt es dort. Vor allem befürchteten die Kreditanalysten eine „fiskalische Verschlechterung“ und eine „erosion of governance“, was sich am besten wohl mit Aushöhlung der guten Regierungsführung übersetzen lässt.
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An der Bonität der USA sind zuletzt die Zweifel etwas größer geworden. Nach S&P im Jahr 2011 hat im August 2023 eine zweite große Ratingagentur, Fitch, dem Land die höchste Bonitätsnote AAA entzogen und auf AA+ gesenkt. Das muss die Gläubiger der USA nicht beunruhigen. US-Staatsanleihen zählen weiterhin zu den sichersten Anlagemöglichkeiten der Welt.
Dennoch: Die amerikanische Finanzpolitik entwickelt sich aus unserer Sicht eindeutig in die falsche Richtung. Der Vorzug, die Leitwährung für die globale Wirtschaft zu emittieren, entbindet nicht von der Pflicht, verantwortungsvoll mit den Staatsfinanzen umzugehen. Dass es an diesem Sinn für Verantwortung mangelt, zeigt ein Blick in die Begründung, als Fitch den USA den AAA-Status entzogen hatte: „Die Herabstufung des Ratings der Vereinigten Staaten spiegelt die erwartete Verschlechterung der Haushaltslage in den nächsten drei Jahren“, heißt es dort. Vor allem befürchteten die Kreditanalysten eine „fiskalische Verschlechterung“ und eine „erosion of governance“, was sich am besten wohl mit Aushöhlung der guten Regierungsführung übersetzen lässt.
Wie recht die Fitch-Analysten doch haben. Der Haushaltsprozess funktioniert in den USA seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Kongress hat Mühe, die Haushaltsgesetze („appropriation bills“) rechtzeitig vor Beginn des Fiskaljahres zu verabschieden. Einen regulären Haushalt gibt es nicht mehr, nur Haushaltsentwürfe, Einzelgesetze, befristete Ausgabenermächtigungen oder Pakete sachlich unverbundener Einzelgesetze („omnibus spending bills“). Seit 1977 sind nur in vier Jahren die Haushaltsgesetze entsprechend dem Congressional Budget Act von 1974 verabschiedet worden, zuletzt 1997.
Damoklesschwert Shutdown
Vor allem wenn der Kongress gespalten ist, kommt es immer wieder zu schwerwiegenden Konflikten. Es droht ein Shutdown: Nicht-essenzielle Verwaltungsaktivitäten müssen eingestellt werden, weil keine Haushaltsmittel zum Bezahlen von Bundesangestellten und von Rechnungen zur Verfügung stehen. Abgeordnete drohen, die Anhebung der Schuldenobergrenze zu verweigern. Wird die Schwelle erreicht, dürfen keine weiteren Finanzierungen am Kapitalmarkt vorgenommen werden, auch nicht zur Deckung der Zinsverpflichtungen. Dadurch stehen die USA immer wieder vor einem zumindest „technischen“ Zahlungsausfall. Aktuell ist die Schuldengrenze bis Januar 2025 ausgesetzt, wenn die nächste Wahlperiode oder Amtszeit des nächsten Präsidenten beginnt.
Derzeit kann sich die politische Klasse wieder nicht einigen. Und wieder droht ein Shutdown. Zu den Leidtragenden zählen die Bediensteten der US-Regierung, deren Bezüge ausbleiben, im öffentlichen Auftrag arbeitende Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Aber auch viele Bürger, etwa die 42 Millionen Amerikaner, die auf Unterstützung aus dem staatlichen Nahrungsmittelprogramm Snap angewiesen sind. Die aktuelle Ausgabenermächtigung läuft am 17. November aus.
Wachsende Defizitquote
Wie kontraproduktiv diese Streitkultur geworden ist, zeigt sich auch daran, dass die öffentlichen Finanzen aus dem Ruder laufen: Die Defizitquote liegt regelmäßig über 5 Prozent. Ende September ist das Fiskaljahr 2023 zu Ende gegangen. Im Oktober hat das Congressional Budget Office (CBO) erste Zahlen für den Bundeshaushalt für das Fiskaljahr 2023 vorgelegt. Um 300 Milliarden auf 1,7 Billionen Dollar ist demnach das Defizit in den Finanzen der Bundesregierung gestiegen (Quelle dieser Zahlen und aller folgenden: Congressional Budget Office: Monthly Budget Review: September 2023).
Unter dem Strich stehen im Fiskaljahr 2023 den Ausgaben von 6,1 Billionen Dollar nur Einnahmen von 4,4 Billionen Dollar gegenüber. Die Defizitquote hat sich laut dem CBO von 5,2 Prozent auf 5,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgeweitet (Abbildung 1), wobei diese Zahl nicht ohne Weiteres mit europäischen Defizitquoten verglichen werden kann.
Die Defizitquote könnte künftig noch steigen, wenn das Zinsniveau „höher für länger“ bleibt. Die Steuersenkungen von Biden-Vorgänger Trump, besonders die individuellen Steuern, werden Ende 2025 auslaufen. Würden sie verlängert oder in dauerhafte Steuersenkungen umgewandelt, könnten die Defizite nochmals höher ausfallen. Auch die Schulden steigen kontinuierlich. Die Gesamtverschuldung des Bundeshaushalts liegt nach Angaben des US-Finanzministeriums bei rund 33,7 Billionen Dollar oder 123 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wie Abbildung 2 zeigt.
Fiskalpolitischer Spielraum sinkt
Das Bizarre an diesen Konflikten ist, dass die Politiker um einen kleiner werdenden Spielraum streiten. Nur rund 1,7 Billionen Dollar der insgesamt 6,4 Billionen Dollar Staatsausgaben sind Verfügungsmasse der Politiker. Der Rest teilt sich auf Zinsen und Ausgaben auf, zu denen der Staat gesetzlich verpflichtet ist, beispielsweise im Rahmen von Rentenzahlungen. Vor allem das Gewicht der Zinsen drückt immer mehr: Im Fiskaljahr 2023 zahlte die Bundesregierung 663 Milliarden Dollar Zinsen. In neun Jahren, bis 2032, wird sich dieser Betrag nach CBO-Prognose auf 1,35 Billionen Dollar mehr als verdoppeln.
Um den kleinen Teil der Staatsausgaben, der zur Verteilung frei ist, werden jedes Mal hochemotionale und ideologisch geprägte Debatten geführt. Vor allem ist die regelmäßige Wiederkehr dieser Konflikte mit den ständigen Drohungen eines Shutdowns (wenn Ausgabenermächtigungen fehlen) oder gar einer Staatspleite (wenn die Schuldenobergrenze nicht angehoben würde) ein Zeichen dafür, wie dysfunktional die amerikanische Fiskalpolitik geworden ist.
Ausweg nicht in Sicht
Anders als in Deutschland, wo eine im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse die Neuverschuldung begrenzt, gilt in den USA eine gesetzliche Schuldenobergrenze. Im Sommer konnte Präsident Biden nach wieder einmal kräftezehrenden Debatten ein Gesetz unterzeichnen, das den Schuldendeckel von bis dahin 31,4 Billionen Dollar bis 2025 bei gleichzeitiger Senkung der Staatsausgaben außer Kraft setzt. Bis zum Oktober sind die Staatsschulden trotz der Verpflichtung, die Staatsausgaben zu senken, um 530 Milliarden auf 33,7 Billionen Dollar gestiegen. Und wieder sieht sich das Land in einen ermüdenden Konflikt gerissen.
Ein Ausweg aus dieser verfahrenen Situation ist nicht in Sicht. Notwendig wäre eine grundlegende Reform, zu der den USA, angesichts der zunehmenden Polarisierung zwischen den beiden dominierenden Parteien, offenkundig die Kraft fehlt. Darüber könnte die Welt gelassener hinwegsehen, wären die USA nicht die führende Wirtschaftsmacht der Welt und Hüter der Weltleitwährung.
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