Start-ups in Deutschland Bei Insurtechs trennt sich jetzt die Spreu vom Weizen
Als Unicorn (deutsch: Einhorn) werden in den USA Start-ups bezeichnet, die vor einem Börsengang oder einem Exit eine Marktbewertung von einer Milliarde US-Dollar erreichen. Ein solches Einhorn dürfte sich bald auch unter den Fintechs der Versicherungsbranche hierzulande zeigen. Das erwarten die Autoren der dritten Auflage des „Insurtech-Radars Deutschland“ von der Unternehmensberatung Oliver Wyman und Policen Direkt, einem Anbieter im Zweitmarkt für Lebensversicherungen.
Der aktuelle Branchenreport untersucht 134 Insurtechs, die auf dem deutschen Markt aktiv sind. Demnach stagniert derzeit die Gesamtanzahl der aktiven Start-Ups, da sich die Zahl der Neugründungen und Marktaustritte seit einiger Zeit die Waage hält. „Die erste Welle läuft aus“, erklärt Nikolai Dördrechter. „Ein Abflachen des anfänglichen Gründungsbooms ist klar zu erkennen“, so der Insurtech-Experte und Co-Autor der Studie. Sein Fazit: „Die Branche ist sehr viel reifer geworden.“
„Zombies“ der Insurtech-Szene
Die Marktentwicklung zeige: Mittlerweile kristallisieren sich einige Insurtechs heraus, deren Geschäftsmodelle überdurchschnittlich erfolgreich sind. „Aktuell zählen wir 20 dieser sogenannten Scale-ups“, sagt Dietmar Kottmann, Partner und Versicherungsexperte bei Oliver Wyman. Sie setzten auf strategische Kooperationen mit etablierten Versicherern, Vertriebsorganisationen und anderen Insurtechs. „Wir erwarten, dass sich die positive Entwicklung bei den meisten Scale-ups fortsetzen wird.“
Daneben gebe es Fälle, in denen gescheiterte Geschäftsmodelle weiter betrieben werden. Hintergrund sei die Hoffnung, einen weiteren Investor zu finden oder profitabel zu werden. „Kurz gesagt: Es gibt Insurtechs, die dahinvegetieren“, kommentiert Kottmann. „Nach unserer Markteinschätzung gibt es aktuell mindestens acht solcher ‚Zombies‘ – die also noch existieren, aber nicht wirklich lebendig am Marktgeschehen teilnehmen – die zwar noch Hoffnung aber wenig Chancen auf Erfolg haben.“
Mehr internationale Angebote
Der Blick auf die Verteilung der Insurtechs entlang der Wertschöpfungskette zeige, dass die Verteilung der drei Radar-Segmente Angebot, Vertrieb und Betrieb sehr viel ausgewogener geworden ist. „Die Schieflage hin zu einer übergroßen Anzahl an Vertriebsmodellen hat sich weiter abgebaut. Der deutsche Markt rückt näher an eine international übliche Verteilung der Gründungen heran“, sagt Dördrechter. Dies ist ein weiteres Indiz für die zunehmende Reife der Insurtech-Szene.
Hallo, Herr Kaiser!
Der deutsche Markt wird auch für Insurtechs aus anderen Ländern interessanter. Mit dem US-Unternehmen Lemonade startete zur Jahresmitte eines der bekanntesten Insurtechs der Welt seinen Markteintritt hierzulande. Doch: „Lemonade ist bis dato hierzulande eine seltene Erscheinung“, sagt Dördrechter. Denn: „Marktstruktur, Wettbewerbsumfeld, Kundenpräferenzen und nicht zuletzt Sprache erschweren einen einfachen Roll-Out eines Insurtech-Geschäftsmodells in ein anderes Land.“
Konzentration auf Heimatmarkt
Auf internationalen Expansionskurs begeben sich aus den gleichen Gründen auch nur wenige deutsche Fintechs der Versicherungsbranche. „Mit wenigen Ausnahmen konzentrieren sich die deutschen Insurtechs bislang noch auf ihren Heimatmarkt“, sagt Branchenexperte Kottmann. Allerdings seien aktuell einige Schwergewichte dabei, diese Probleme anzugehen. Doch: „Nicht allen wird es gelingen“, sagt Kottmann voraus.
In einem Punkt ist die Internationalisierung jedoch in vollem Gange: Wachstumstreiber bei den deutschen Insurtechs sind mehr und mehr große Finanzierungsrunden von ausländischen Kapitalgebern. Und die Insurtechs sind auch weiterhin auf Klingeltour: Allein im ersten Quartal dieses Jahres konnten zwei Branchenvertreter laut dem „Insurtech-Radars Deutschland“ wieder Finanzierungen in dreistelliger Millionenhöhe einwerben.