Idee gegen die Schuldenkrise „Staatsschulden streichen – Baron Münchhausen wäre begeistert“
Auf den zweiten Blick stellt sich die Lage allerdings etwas komplexer dar. Neben den Staatschulden sind nämlich auch die privaten Kredite zu beachten, d.h. das Fremdkapital der Unternehmen und die Schulden der Haushalte. Und auch diese haben seit der Finanzkrise 2008/2009 erheblich zugenommen und befinden sich aktuell ebenfalls auf einem Rekordstand. Praktisch alle hochentwickelten Länder sind stark verschuldet. Der Unterschied liegt lediglich in der Aufteilung der Schulden auf die verschiedenen Sektoren. Hat bei einigen Volkswirtschaften eher der Staat über seine Verhältnisse gelebt, ist es bei anderen der private Sektor (Haushalte und Unternehmen), der hoch verschuldet ist.
Ein gutes Beispiel für den zweiten Fall ist die Schweiz, die üblicherweise als Musterschüler in Sachen Schuldenmanagement präsentiert wird. So sind die schweizerischen Staatsschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) dann in der Tat auch sehr gering. Insgesamt fällt die Verschuldung der Eidgenossen...
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Auf den zweiten Blick stellt sich die Lage allerdings etwas komplexer dar. Neben den Staatschulden sind nämlich auch die privaten Kredite zu beachten, d.h. das Fremdkapital der Unternehmen und die Schulden der Haushalte. Und auch diese haben seit der Finanzkrise 2008/2009 erheblich zugenommen und befinden sich aktuell ebenfalls auf einem Rekordstand. Praktisch alle hochentwickelten Länder sind stark verschuldet. Der Unterschied liegt lediglich in der Aufteilung der Schulden auf die verschiedenen Sektoren. Hat bei einigen Volkswirtschaften eher der Staat über seine Verhältnisse gelebt, ist es bei anderen der private Sektor (Haushalte und Unternehmen), der hoch verschuldet ist.
Ein gutes Beispiel für den zweiten Fall ist die Schweiz, die üblicherweise als Musterschüler in Sachen Schuldenmanagement präsentiert wird. So sind die schweizerischen Staatsschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) dann in der Tat auch sehr gering. Insgesamt fällt die Verschuldung der Eidgenossen jedoch höher als die der Italiener aus – einem Volk, das in seiner Gesamtheit üblicherweise als „Schuldensünder“ bezeichnet wird. Dabei resultiert die hohe Verschuldung der privaten Haushalte in der Schweiz typischerweise aus Hausfinanzierungen. Aus diesem Grund könnten schweizerische Hypotheken im Falle eines Zinsanstiegs auch zu einer enormen Belastung werden und einen Crash am Wohnimmobilienmarkt auslösen. Und genau hier liegt das Problem eines Staatschuldenerlasses: Es würde Italien ermöglichen, mit höheren Zinsen zu leben, jedoch nicht der Schweiz oder anderen Ländern mit sehr hohen Schuldenständen im privaten Sektor.
Gesamtschulden nach Land in Prozent des BIPs (2007 vs. 2020)
Eine Normalisierung der Geldpolitik wäre daher nur mit einem umfangreichen Schuldenerlass über die gesamte Breite der Schuldner vorstellbar: Staat, private Haushalte und Unternehmen. Kein Problem, könnte man jetzt denken: Die Zentralbanken – angefangen bei der EZB – müssten eben nur mehr Unternehmensanleihen (Corporate Bonds) und mehr Hypothekenbesicherte Anleihen (Pfandbriefe, Mortgage Backed Securities) kaufen. Erst danach käme der Schuldenschnitt, der dann die gesamte Breite der Schuldner erfassen würde. Das klingt zwar etwas zeitaufwendiger und von der Umsetzung her komplexer, scheint jedoch immer noch machbar zu sein.
Umverteilungseffekte als Showstopper
Das ist es aber leider nicht. Denn wie könnte die EZB es rechtfertigen, die Unternehmensanleihen der hochverschuldeten Firma A wegzustreichen, die Schulden ihres Wettbewerbers, der Firma B, die nur Bankdarlehen und keine ausstehenden Anleihen besitzt, aber vollkommen unberührt zu lassen? Ganz zu schweigen von den negativen Auswirkung auf die Wettbewerbsposition von Firma C, die schuldenfrei ist.
Dieselbe Argumentation kann auf die Umverteilungseffekte von Schuldenschnitten bei privaten Hypotheken angewendet werden. Warum sollten Bürger, die Hypotheken aufgenommen und mit diesen Immobilienkäufe finanziert haben, und damit in der Regel aus höheren Einkommensschichten stammen, gegenüber ihren Pendants ohne Immobilienbesitz massiv bevorzugt werden? Dies gilt umso mehr, als hier ein nicht demokratisch gewählter Entscheidungsträger in die Wettbewerbsposition von Unternehmen und die Vermögens- (um)verteilung zwischen Privatpersonen massiv eingreifen würde, eine unseres Erachtens spektakulär phantasievolle Annahme.
Die Unabhängigkeit der Zentralbanken ist seit der Finanzkrise sehr stark unter Beschuss geraten. EZB, Fed und Co. können und werden nichts unternehmen, um ihre Position weiter zu untergraben. Der große Schuldenschnitt ist daher extrem unwahrscheinlich, zu einem „Zurückdrehen der Uhr“ wird es nicht kommen. Expansive Geldpolitik, QE und Niedrigzinspolitik werden in absehbarer Zeit bestehen bleiben. Man könnte es auch QE-Infinity nennen.
Über den Autor:
Rui Soares ist Senior Analyst beim Vermögensverwalter und Fondsanbieter Frankfurt Asset Management.