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Technologie-Experte im Interview „China hat die Industrieländer weit überholt“

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Wie erfolgreich ist das Programm?

Tseng: Wir verfolgen die Entwicklung seit fünf Jahren und können nur staunen, was China in so kurzer Zeit alles auf die Beine gestellt hat. Die staatliche Förderung hat federführend dazu beigetragen, dass das Land heute in vielen Bereichen Weltklasse ist. Nehmen wir zum Beispiel die Smartphone-Industrie: Bis vor wenigen Jahren besaßen maximal zehn Prozent aller Chinesen ein Smartphone – und zwar durchweg von ausländischen Herstellern. Nachdem die Regierung massiv in die Hersteller und die 4G-Infrastruktur investiert hat, besitzt heute fast nahezu jeder Chinese ein solches Gerät – und in neun von zehn Fällen handelt es sich um ein heimisches Fabrikat.

China hat also erfolgreich aufgeholt?

Tseng: Mehr als das – China hat die entwickelten Industrieländer weit überholt. Der E-Commerce-Sektor ist in China mittlerweile doppelt so groß wie in den USA. Dies liegt auch daran, dass die Chinesen immer mehr online leben. Sie machen mittlerweile faktisch alles über ihr Smartphone – sie buchen den Tisch im Restaurant, kaufen ihr Mittagessen, bezahlen die Putzfrau. Bargeld ist praktisch verschwunden.

Auch US-Unternehmen wie Apple bieten mittlerweile Bezahlsysteme fürs Smartphone an.

Tseng: In China denken die Unternehmen viel größer als in den Industrienationen, in denen Tech-Unternehmen jeweils ihre eigene Nische besetzen. Anbieter wie Wechat oder Alibaba bieten ihren Kunden eine Infrastruktur, die alle Anwendungen in einer Plattform bündelt: Bezahlen, Social Media, Internet-Recherche. Wer auf Wechat angemeldet ist, der braucht keine anderen Seiten mehr.

Wie haben es Unternehmen wie Wechat geschafft, ihre Kunden derart an sich zu binden?

Tseng: Es gibt weitaus weniger Wettbewerb als im Westen. China hat ja praktisch bei null angefangen, es gab nie eine etablierte Offline-Infrastruktur aus lokalen Geschäften und Anbietern, mit denen die Tech-Unternehmen konkurrieren mussten. Die Internetkonzerne konnten den Markt quasi ungebremst übernehmen.

2018 wurde bekannt, dass Alibaba die Daten von Kunden ohne deren Einwilligung für die Bewertung ihrer Kreditwürdigkeit genutzt hatte. Welche Rolle spielt das Thema Datenschutz in China?

Tseng: Der Westen hat aufgrund der Historie gelernt, dass Daten etwas Sensibles sind und geschützt werden müssen. Es existiert auch ein pauschales Misstrauen gegenüber Internetkonzernen. Anders in China: Dort gibt es keine negative Vorgeschichte – weshalb die Menschen in puncto Datenschutz weitaus weniger Bedenken haben. Dies hat sicherlich auch zum schnellen Wachstum der Internetkonzerne beigetragen.

Müssen die westlichen Länder ihre Standards lockern, um Schritt zu halten?

Tseng: Technologische Kriege sind immer auch politisch. China ist weit gekommen, stößt allerdings immer häufiger auf politische Barrieren – und das nicht nur in den USA. Auch andere Länder überlegen sich mittlerweile sehr genau, von welchem Land sie ihre Technik einkaufen. Kommt China den Staaten beim Thema Datenschutz nicht entgegen, dürfte das Land allem Fortschritt zum Trotz an seine Grenzen stoßen.

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