Thorsten Polleit
„Die Fed ist weiter im Blindflug unterwegs“
Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel. Foto: Degussa Goldhandel
Die weltweiten Zentralbanken sorgen für ein fortgesetztes Anwachsen der Schuldenlasten, erklärt Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei Degussa Goldhandel. Damit das Schuldenkartenhaus nicht in sich zusammenfällt, müssten sie den Marktzins künstlich unter sein natürliches Niveau senken.
Wenn man sich ein Bild über die Auswirkungen der Fed-Zinsanhebungen der Fed auf die Konjunktur und Kapitalmärkte machen möchte, muss man also wissen, wo denn der natürliche Zins liegt. Befindet sich der natürliche Zins auf einem vergleichsweise hohen Niveau, würden Zinsanhebungen weniger Probleme für die Wirtschaft und Kapitalmärkte bedeuten im Vergleich zu einer Situation, in der der natürliche Zins auf einem niedrigen Niveau verharrt.
Ein Prozess von Versuch und Irrtum
Nun wissen aber weder die Zentralbankräte noch die Marktakteure, wo der natürliche Zins denn liegt. Der Kapitalmarkt kann ihnen diese Information nicht bereitstellen: Die Zentralbank erhöht ja...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Wenn man sich ein Bild über die Auswirkungen der Fed-Zinsanhebungen der Fed auf die Konjunktur und Kapitalmärkte machen möchte, muss man also wissen, wo denn der natürliche Zins liegt. Befindet sich der natürliche Zins auf einem vergleichsweise hohen Niveau, würden Zinsanhebungen weniger Probleme für die Wirtschaft und Kapitalmärkte bedeuten im Vergleich zu einer Situation, in der der natürliche Zins auf einem niedrigen Niveau verharrt.
Ein Prozess von Versuch und Irrtum
Nun wissen aber weder die Zentralbankräte noch die Marktakteure, wo der natürliche Zins denn liegt. Der Kapitalmarkt kann ihnen diese Information nicht bereitstellen: Die Zentralbank erhöht ja quasi fortlaufend die Kredit- und Geldmenge und verzerrt dadurch laufend die Marktzinsen. Und solange das der Fall ist, kann sich der Marktzins nicht auf den natürlichen Zins hinbewegen.
Es gibt zudem auch keine unabänderliche Beziehung zwischen zum Beispiel dem Wirtschaftswachstum und dem Zinsniveau. Ein hoher natürlicher Zins ist unter Umständen vereinbar mit hoher Ersparnis und Investitionstätigkeit oder auch mit geringer Ersparnis und Investitionstätigkeit. Kurzum: Es ist angemessen zu sagen, die Zentralbank befindet sich bei ihrer Zinssetzung in einer Art „Blindflug“.
Ihre Zinspolitik gleicht einem Prozess von Versuch und Irrtum. Bereits Ende 2015 hat sich die Fed, wenn auch vorsichtig und langsam, auf einen Pfad der Zinserhöhungen begeben. Zumindest bis heute hat die US-Wirtschaft kontinuierlich zugelegt, da Produktion und Beschäftigung erhöht wurden. Das lässt darauf schließen, dass die Fed den Marktzins unter dem natürlichen Zins belassen hat.
Der Boom, der bereits seit längerem anhält, ist so noch nicht zu seinem Ende gekommen. Dies ist jedoch kein Grund zur Beruhigung. Der Boom führt zu Fehlinvestitionen und Überkonsum. Und die Zinssteigerungen der Fed haben die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der Boom schlussendlich abbricht und in einen Bust umschlägt.
„Cluster of Errors“
Die Erfahrung lehrt, dass sich das Wirtschaftswachstum lange Zeit ungestört fortsetzen kann, während sich die Fehlinvestitionen auftürmen. Plötzlich jedoch, wie aus dem Nichts, gerät dann die Wirtschaft ins Schlingern: Probleme zeigen sich nicht nur in einer Branche, sondern in nahezu allen Wirtschaftszweigen; ein „Fehlerknäuel“ („Cluster of Errors“) kommt zum Vorschein. Dies ist ein Hauptmerkmal eines realen Konjunkturzyklus.
Die monetäre Konjunkturtheorie der Österreichischen Schule der Nationalökonomie erklärt nicht nur das Phänomen des „Fehlerknäuels“. Sie lässt uns auch die ökonomischen und ethischen Probleme verstehen, die das heutige ungedeckte Papiergeldsystem mit sich bringt. In diesem System haben Zentralbanken das Geldproduktionsmonopol und schaffen per Kredit Geld aus dem Nichts.
Die Zentralbanken sorgen für schleichend-chronische Inflation, die nur einigen wenigen nutzt und vielen schadet. Sie verursachen Boom-und-Bust und sorgen für ein fortgesetztes Anwachsen der Schuldenlasten. Das künstliche Absenken des Marktzinses unter sein natürliches Niveau wird notwendig, um den Boom in Gang zu halten, um zu verhindern, dass das Schuldenkartenhaus in sich zusammenfällt.
Die monetäre Konjunkturtheorie der Österreichischen Schule der Nationalökonomie überbringt folglich eine ernüchternde Nachricht: Es gibt wenig Grund zu der Annahme, dass die Fed mit ihrem Blindflug Erfolg haben wird, dass sie den Boom unendlich lange in Gang halten kann. Aktien- und Häuserpreise mögen zwar für eine Weile weiter steigen; wie lange noch lässt sich nicht sagen.
Zieht die Fed den Zins zu stark an, oder gibt der natürliche Zins nach, wird es nicht lange dauern, und der Boom wird zum Bust. Es ist schon verrückt, dass eine kleine Gruppe von Personen – die 13 Mitglieder im Rat der Fed – die wirtschaftlichen und finanziellen Geschicke der Welt in ihren Händen hält. Personen, die irren können, politisch beeinflusst sind, die für die Folgen ihrer geldpolitischen Entscheidungen nicht persönlich haften müssen. Wie grotesk, wie unaufgeklärt und unzivilisiert doch das heutige Fiat-Geldsystem ist!
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