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Thorsten Polleit Negativzinsen läuten Ende der Marktwirtschaft ein

Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei Degussa
Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei Degussa
Was ist die Erklärung für die extrem niedrigen, immer weiter fallenden Zinsen? Vertreter von Zentralbanken verkünden, die weltweiten Ersparnisse seien zu groß geworden relativ zur Investitionsnachfrage, und das habe die Zinsen auf derart niedrige oder gar negative Niveaus befördert. Doch kann diese Erklärung überzeugen? Nein. Denn es sind ja schließlich die Zentralbanken, die die Zinsen in entscheidendem Maße kontrollieren.

Sie verwenden ihre Zinsführerschaft, um die Zinsen künstlich auf beziehungsweise unter die Nulllinie zu zwingen. Welche volkswirtschaftlichen Schäden daraus erwachsen, wird deutlich, wenn man sich das Wesen des Zinses vor Augen führt. Der Marktzinssatz ergibt sich aus Angebot von und Nachfrage nach Ersparnissen. Er setzt sich aus verschiedene Elementen zusammen: einer Inflationsprämie, einer Kreditausfallprämie und dem „natürlichen Zins“.

Der natürliche Zins ist Ausdruck des menschlichen Handelns und Wertens. Jeder Mensch trägt ihn quasi in sich, und er besagt, dass gegenwärtig verfügbare Güter höher gewertet werden als künftig verfügbare Güter. Der natürliche Zins bezeichnet also einen Wertabschlag, den künftige Güter gegenüber gegenwärtigen Gütern erleiden. Der Marktzins kann zwar auf null Prozent oder auch darunter fallen, nicht aber der natürliche Zins. Er ist immer und überall positiv.

Wäre er null, dann hieße das, dass der Handelnde nicht mehr konsumiert, sondern nur noch spart. Nicht nur heute, auch morgen und übermorgen und für alle Zeit. Eine völlig irrige Vorstellung. Ganz zu schweigen von der Vorstellung, der natürliche Zins könnte negativ werden; was das überhaupt ökonomisch bedeuten sollte, lässt sich vom menschlichen Geist nicht einmal erfassen. Ein natürlicher Zins von null oder darunter ist im wahrsten Sinne des Wortes „unnatürlich“.

Die Folgen

Sparer versuchen den Folgen der Null- und Negativzinspolitik der Zentralbanken zu entkommen. Sie fragen risikoreichere Schuldpapiere nach wie zum Beispiel Unternehmensanleihen. Aber auch Aktien und Immobilien stehen auf der Einkaufsliste. Die zunehmende Nachfrage nach diesen Gütern treibt deren Preise in die Höhe. In einem Nullzinsenumfeld steigen beispielsweise die Nachfrage nach Aktien und deren Kurse solange, bis die erwartete Rendite, die mit Aktien zu erzielen ist, ebenfalls auf null fällt.

In einem Umfeld negativer Zinsen wäre zu erwarten, dass Anleger in das Bargeld flüchten. Wenn ihnen das aber verwehrt wird – beispielsweise durch ein Bargeldverbot –, ist für sie das Investieren in beispielsweise Aktien oder Immobilien eine Option, und zwar solange die erwartete Rendite dort noch höher ist als der Negativzins. Mit anderen Worten: In einem Negativzinsumfeld kann sogar die erwartete Rendite auf Aktien und Immobilien negativ werden.

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