Thorsten Polleit
Sind Zentralbanken wirklich unabhängig?
Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei Degussa Goldhandel Foto: Degussa Goldhandel
Die Zentralbanken sind unabhängig - von den Interessen der breiten Bevölkerung, behauptet Degussa-Chefvolkswirt Thorsten Polleit.
Zudem ist ein Ansteigen der Güterpreise um 2 Prozent pro Jahr alles andere als eine Kleinigkeit: Wenn die Güterpreise jedes Jahr um zwei Prozent zulegen, hat die Kaufkraft des Geldes bereits nach zehn Jahren 18 Prozent verloren, nach 15 Jahren gar schon 26 Prozent.
Auch ist es nicht sachgerecht, die Inflation anhand der Konsumgüterpreise bemessen zu wollen. Die Preise der Bestandsgüter – hierzu zählen Aktien, Anleihen, Häuser, Grundstücke, Kunst und so weiter – sind nämlich nicht oder nur unzureichend abgebildet in den Konsumgüterpreisindizes, die die Statistikämter veröffentlichen.
Und nicht zuletzt sind Güterpreisveränderungen nur ein Symptom, deren Ursache die Geldmengenvermehrung...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Zudem ist ein Ansteigen der Güterpreise um 2 Prozent pro Jahr alles andere als eine Kleinigkeit: Wenn die Güterpreise jedes Jahr um zwei Prozent zulegen, hat die Kaufkraft des Geldes bereits nach zehn Jahren 18 Prozent verloren, nach 15 Jahren gar schon 26 Prozent.
Auch ist es nicht sachgerecht, die Inflation anhand der Konsumgüterpreise bemessen zu wollen. Die Preise der Bestandsgüter – hierzu zählen Aktien, Anleihen, Häuser, Grundstücke, Kunst und so weiter – sind nämlich nicht oder nur unzureichend abgebildet in den Konsumgüterpreisindizes, die die Statistikämter veröffentlichen.
Und nicht zuletzt sind Güterpreisveränderungen nur ein Symptom, deren Ursache die Geldmengenvermehrung ist. So hat die Europäische Zentralbank (EZB) seit Januar 1999 die Euro-Geldmenge um jahresdurchschnittlich 5,2 Prozent ausgeweitet. Wenn Sie, verehrter Leser, keine entsprechenden Geldzuflüsse auf Ihrem Konto verbuchen konnten, können Sie davon ausgehen, dass andere (vielleicht Ihre Nachbarn) sich über einen umso kräftigeren Zuwachs ihres Geldvermögens freuen konnten.
Umverteilung von Einkommen und Vermögen
Dieses Beispiel legt den Kern der Zentralbankpolitik frei: Sie sorgt für eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen zwischen den Menschen und schafft Gewinner und Verlierer. Die Erstempfänger des neuen Geldes sind die Begünstigten, die Spätempfänger haben notwendigerweise das Nachsehen.
In den letzten Jahrzehnten ist es allerdings Regierungen und Banken und ihren „Spin Doctors“ aus der Wirtschaftswissenschaftswelt tatsächlich gelungen, der breiten Öffentlichkeit ein chronisch inflationäres Zentralbankwesen – das die Mehrheit der Menschen häppchenweise ausplündert – als „gut und richtig“ zu verkaufen; und dass gutes Geld vor allem den Fortbestand der erreichten Unabhängigkeit der Zentralbanken erforderlich mache.
All die Regeln, die für die Sicherung der Zentralbankunabhängigkeit aufgesetzt wurden, dienen letztlich nur Staaten und Banken, damit sie sich recht ungestört und für möglichst lange Zeit das inflationäre Zentralbankwesen zunutze machen können.
„Alle für unsere Zeit charakteristischen Überzeugungen, Gewohnheiten, Geschmacksrichtungen, Meinungen, geistigen Einstellungen sind in Wirklichkeit dazu bestimmt, das Mystische der Partei aufrechtzuerhalten und zu verhindern, dass die wahre Natur der heutigen Gesellschaftsordnung erkannt wird“, so George Orwell im Jahr 1949. In diesem Satz lässt sich „Partei“ durch „Zentralbank“ problemlos austauschen. Wenn es derzeit eine Unabhängigkeit der Zentralbanken gibt, dann ist es nicht die Unabhängigkeit von Regierungen und Banken, sondern von den Interessen der breiten Bevölkerung. So viel zur Unabhängigkeit der Zentralbanken!
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