Timothy Ash lehnt sich entspannt in seinem Sessel im Hamburger Konferenzraum zurück. Wien, Hamburg, Mannheim – seine Tour führt ihn im Januar durch den deutschsprachigen Raum. Viele Menschen, viele Gespräche. Der Londoner Stratege für Schwellenländer-Staatsanleihen von Blue Bay Asset Management ist ein gefragter Gesprächspartner, seine Expertise ist außergewöhnlich.
Ash ist bester Dinge. „Nach Jahren, in denen es schwierig war, wirklich überzeugende Bottom-up-Stories zu finden, sehe ich jetzt über das gesamte Emerging-Markets-Spektrum hinweg eine Reihe sehr positiver Entwicklungen“, sagt er und lacht.
Burgunderrote Hose und dunkle Ledersneaker: Ashs Kleidungsstil ist so unkonventionell, wie seine Analysen präzise sind. An seinem Jackett sticht ein gelb-blauer Anstecker hervor – nicht nur eine kleine politische Botschaft, sondern auch ein Hinweis auf seine Jahre in der Ukraine.
Während des exklusiven Roundtable-Gesprächs unterhält er die Gäste mit präzisen Analysen und humorvollen Anekdoten aus seiner jahrzehntelangen Karriere. Immer wieder beugt er sich mit einem verschmitzten Lächeln nach vorne: „This is off the record please" – ein Hinweis an den einzigen Journalisten im Raum, an DAS INVESTMENT.
In seinem charakteristischen britischen Englisch erklärt der Stratege, warum er 2025 als Jahr der Chancen in ausgewählten Emerging Markets sieht. Für DAS INVESTMENT analysiert er die aus seiner Sicht Top-Märkte.
1. Türkei: Renaissance einer Wirtschaftsmacht
Die Türkei steht für Ash an der Spitze seiner Empfehlungen – und seine Analyse geht weit über die üblichen Makrodaten hinaus. „Die Türkei ist aktuell die überzeugendste Verbesserungsgeschichte im gesamten Emerging Markets-Universum", betont der Stratege. Der fundamentale Wandel in der türkischen Geldpolitik mit Leitzinsen von 47,5 Prozent markiert für ihn einen echten Paradigmenwechsel.
Besonders beeindruckt zeigt sich Ash von der technologischen Transformation des Landes. Die geopolitische Position des Landes sieht er als zusätzlichen Pluspunkt.
Für Investoren sieht er multiple Chancen: „Die Kombination aus verbesserter Kreditwürdigkeit und attraktiven Renditen macht sowohl den Anleihen- als auch den Währungsmarkt interessant. Die lokalen Märkte bieten 2025 besonders spannende Opportunitäten.“
2. Rumänien: Das verborgene Potenzial Osteuropas
Rumänien steht für Ash exemplarisch für die unterschätzen Chancen in Osteuropa. „Was viele übersehen: Rumänien hat eine Staatsverschuldung von nur 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – das ist die Hälfte des EU-Durchschnitts“, erklärt der Experte. Mit Währungsreserven von 77 Milliarden Euro sei das Land zudem gut gegen externe Schocks gewappnet.
Die anstehenden Präsidentschaftswahlen im Mai 2025 sieht er als entscheidenden Wendepunkt: „Das Timing ist hier absolut entscheidend. Nach den Wahlen erwarten wir eine deutliche Rally.“
Besonders positiv bewertet er den mit der EU vereinbarten Konsolidierungsplan: „Die pro-europäische Regierung hat einen klaren Fahrplan für Reformen. Das ist genau, was das Land jetzt braucht.“
3. Südafrika: Demokratische Dividende
Südafrika etabliert sich nach Einschätzung des Experten als „Verbesserungsgeschichte mit moderatem Risiko“. Die jüngsten politischen Entwicklungen hätten dem Land einen regelrechten Reformschub verpasst: „Die Wahlen haben das Land in Bezug auf Erwartungen und politischen Zyklus um etwa fünf Jahre nach vorne katapultiert.“
Die neue Koalitionsdynamik zwischen ANC und DA wertet er als Stabilitätsanker. „Wir sehen jetzt wirklich ernsthafte Strukturreformen“, betont Ash. Die Verbesserung der öffentlichen Finanzen und die starke Position der Zentralbank schaffen für ihn ein überzeugendes Investment-Case.
4. Argentinien: Radikaler Reformkurs zahlt sich aus
Der oft als „Serial Defaulter“ bezeichnete südamerikanische Staat erlebt laut Ash eine fundamentale Transformation. „Was wir in Argentinien sehen, ist ein echter Paradigmenwechsel“, erklärt der Stratege. „Die aktuelle Regierung hat den Mut zu radikalen Reformen – und die ersten Erfolge werden bereits sichtbar.“
Die hohen Renditen argentinischer Anleihen seien angesichts der positiven Entwicklung eine faire Kompensation für das verbleibende Risiko. „Wer den Mut hat, früh in diese Transformationsgeschichte zu investieren, könnte überdurchschnittlich profitieren.“
5. Sri Lanka: Phönix aus der Asche
„Sri Lanka repräsentiert eine klassische hochverzinsliche Turnaround-Story“, erläutert Ash. Nach der erfolgreichen Schuldenrestrukturierung sieht er das Land auf einem vielversprechenden Erholungspfad. Die Kombination aus hohen Renditen und positiver Entwicklungsrichtung macht das Land für ihn zu einer der interessantesten Opportunitäten im High-Yield-Segment.
Spannender Blick auf die Ukraine
Die Ukraine spielt eine Sonderrolle in Ashs Betrachtungen, er selbst hat dort mehrere Jahre gelebt: „Ukrainische Anleihen waren in den letzten sechs Monaten einer der bestperformenden Assets. Der Markt preist bereits ein Friedensabkommen ein.“
Beeindruckt zeigt sich der Experte von der technologischen Innovationskraft des Landes: „Die Ukraine hat einen leistungsfähigen militärisch-industriellen Komplex entwickelt. Was sie etwa bei Drohnentechnologie oder der Integration westlicher Waffensysteme leisten, ist außergewöhnlich.“
Bei entsprechenden Sicherheitsgarantien könnte das Land nach seiner Einschätzung zu einem der spannendsten Projekte in Europa werden: „Mit EU-Beitrittsperspektive, dem Potenzial in Landwirtschaft, Energie und Technologie sowie dem anstehenden Wiederaufbau hat die Ukraine enormes Potenzial – aber alles hängt von glaubwürdigen Sicherheitsgarantien ab.“
Weitere spannende Märkte
Timothy Ash sieht über seine Top-5-Empfehlungen hinaus interessante Entwicklungen im gesamten Schwellenländer-Universum. „Der Markt ist heute sehr differenziert. Diese Heterogenität schafft Chancen“, erklärt er.
Bei den etablierten Emerging Markets hebt er besonders die Golfstaaten hervor. „Die Region entwickelt sich zu einem konstruktiven Stabilitätsanker. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien setzen ihre finanziellen Ressourcen zunehmend strategisch ein – und fordern dabei gute Politik von den Empfängerländern.“
Die Fundamentaldaten der Region beeindrucken: niedrige Verschuldung, hohe Reserven, Überschüsse in Haushalt und Leistungsbilanz.
Im Bereich der riskanteren Frontier Markets sieht der Experte selektive Chancen.
- Der Libanon ist für ihn ein faszinierendes Beispiel: „Die Anleihen sind von 0,06 auf 0,16 US-Dollar gestiegen – eine Reaktion auf mögliche positive geopolitische Veränderungen in der Region.“
- Auch Ägypten hat sich nach seiner Einschätzung neu positioniert: „Das Land wurde strategisch wieder wichtiger und sicherte sich 60 Milliarden US-Dollar Unterstützung von den VAE.“
- In Zentral- und Osteuropa identifiziert er eine Reihe von aufstrebenden Märkten. „Serbien, Montenegro, Nordmazedonien und Albanien – diese Länder haben oft bessere Fundamentaldaten als Westeuropa: niedrigere Schuldenquoten und höheres Wachstumspotenzial“, betont Ash.
- Pakistan wiederum profitiert von strategischer Unterstützung durch die Golfstaaten. Der Pakistan-ETF war 2024 sogar der Bestperformer.
Der Experte warnt jedoch vor Pauschalurteilen: „Jedes Land hat seine eigene Story. Die Unterscheidung zwischen Emerging und Frontier Markets ist wichtig für das Risikomanagement – aber letztlich muss jede Investment-Chance individuell analysiert werden.“
Investment-Philosophie: Bottom-up schlägt Top-down
Eine zentrale Botschaft zieht sich durch Ashs Analysen: Der Fokus sollte auf länderspezifischen Entwicklungen liegen, nicht auf globalen Faktoren. „Es ist besser, sich auf individuelle Bottom-up-Ländergeschichten zu konzentrieren. Suchen Sie nach Märkten mit eigenständigen, spezifischen Turnaround-Stories, die Sie verstehen können.“
Für 2025 bleibt der Experte selektiv optimistisch: „Die Kombination aus verbesserten Fundamentaldaten und attraktiven Bewertungen schafft überzeugende Argumente für selektive Investments in Emerging Markets.“
Über Timothy Ash:
Timothy Ash ist im Norden von England aufgewachsen – „wahrscheinlich vergleichbar mit Ost-Deutschland“, sagt er. Er arbeitet für RBC Blue Bay Asset Management. Seine Karriere führte ihn über Stationen bei Nomura International, ICBC-Standard Bank und RBS. Als Associate Fellow bei Chatham House berät er regelmäßig Regierungen und Institutionen zu geopolitischen Fragen. Ashs unabhängigen Analysen erreichen über seinen vielbeachteten Substack-Blog ein globales Publikum – ein seltenes Privileg für einen Buy-Side-Analysten.

