Volkswirt Johannes Mayr
TPI – Verbotene Staatsfinanzierung liegt nahe
Aktualisiert am 19.10.2022 - 12:44 Uhr
Johannes Mayr ist Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz. Foto: Eyb & Wallwitz
Um kriselnden Staaten den Rücken zu stärken, hat die Europäische Zentralbank das Transmissionsschutzinstrument (engl.: Transmission Protection Instrument, kurz: TPI) auf den Weg gebracht. Hier erläutert Volkswirt Johannes Mayr von der Investmentgesellschaft Eyb & Wallwitz, warum es ordnungspolitisch und juristisch mindestens so problematisch ist wie das OMT-Programm aus dem Jahr 2012.
Für die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Inflationsbekämpfung mittlerweile oberste Priorität. Die Effekte steigender Zinsen auf die derzeitige Preisdynamik in Europa sind aber gering. Denn Gas und Strom bleiben absehbar wohl Mangelware und die Lieferketten aus China fragil. Eine Entankerung der Inflationserwartungen kann und muss von der EZB aber verhindert werden. Hierfür müssten sie die Zinsen jedoch stärker anheben als erwartet. Angesichts der nach wie vor großen Unterschiede in der wirtschaftlichen und fiskalischen Stärke der Mitgliedsstaaten kann dies die Währungsunion in Turbulenzen bringen.
Mit dem Transmissionsschutzinstrument (engl.: Transmission Protection Instrument, kurz:...
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Für die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Inflationsbekämpfung mittlerweile oberste Priorität. Die Effekte steigender Zinsen auf die derzeitige Preisdynamik in Europa sind aber gering. Denn Gas und Strom bleiben absehbar wohl Mangelware und die Lieferketten aus China fragil. Eine Entankerung der Inflationserwartungen kann und muss von der EZB aber verhindert werden. Hierfür müssten sie die Zinsen jedoch stärker anheben als erwartet. Angesichts der nach wie vor großen Unterschiede in der wirtschaftlichen und fiskalischen Stärke der Mitgliedsstaaten kann dies die Währungsunion in Turbulenzen bringen.
Mit dem Transmissionsschutzinstrument (engl.: Transmission Protection Instrument, kurz: TPI) hat die EZB ein Instrument geschaffen, um diesen Risiken entgegenzuwirken. Das ist mit Blick auf die Glaubwürdigkeit und damit die Wirksamkeit der Zinsanhebungspläne geldpolitisch zwar wohl notwendig. Ordnungspolitisch ist es aber problematisch und wird vor allem aus Deutschland kritisiert, denn im Ergebnis verstärkt sich die fiskalische Vergemeinschaftung. Das sollte offen benannt werden. Denn mittelfristig ist eine stärkere auch fiskalische Integration wohl der einzig realistische Weg für Europa, im geopolitischen Kräftemessen nicht noch weiter zurückzufallen.
TPI: Wenig Details, große Bedeutung
Das TPI soll offiziell sicherstellen, dass die monetären Impulse der EZB einheitlich in allen Ländern des Euroraums ankommen. Denn die Einheitlichkeit der Geldpolitik wird als Voraussetzung für die Erreichung ihrer Ziele gesehen. Das Programm soll „ungeordneten Marktentwicklungen“ entgegenwirken. Hierfür kann die EZB nach eigenem Ermessen Anleihen aus den betroffenen Ländern ankaufen, um so eine Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen zu verhindern, die nicht durch Fundamentaldaten erklärbar ist.
De facto wirkt das Programm Zweifeln an der Stabilität der Staatsfinanzen entgegen, da die EZB als Käufer der letzten Instanz Solvenzrisiken für die Investoren verringert. Das Volumen der Käufe ist vorab nicht begrenzt. Insofern ähnelt das Programm dem OMT-Programm aus dem Jahr 2012. Zentraler Unterschied ist, dass die Länder kein explizites Spar- und Reformprogramm erfüllen müssen, sondern vielmehr die allgemeinen Vorgaben der EU für eine solide und nachhaltige Finanz- sowie Wirtschaftspolitik. Explizite Ziele oder Obergrenzen für Renditen und Risikoprämien sind nicht definiert, der EZB-Rat entscheidet also über Start, Umfang und Dauer der Käufe.
Zentrales Merkmal ist zudem, dass die Käufe in ihrer Wirkung auf die EZB-Bilanz durch Verkäufe anderer Anleihen neutralisiert werden. Das unterscheidet das Programm fundamental von den geldpolitischen Ankaufprogrammen APP und PEPP und soll garantieren, dass eine Aktivierung den Straffungsplänen nicht entgegenwirkt. Gleichzeitig rückt das Programm in seiner Wirkung damit weit in Richtung Fiskalpolitik.
Ordnungspolitisch und juristisch ist das neue Programm der EZB mindestens so problematisch wie das OMT-Programm aus dem Jahr 2012. Denn die Auflagen und damit die Anreize für einen nachhaltigen Kurs der Fiskalpolitik sind deutlich geringer. Der Vorwurf der verbotenen monetären Staatsfinanzierung liegt deshalb nahe. Problematisch sind dabei auch die jüngsten politischen Weichenstellungen. Die Parlamentswahl in Italien hat die europaskeptischen Stimmen gestärkt, die eine Fokussierung auf die nationalen Interessen anstreben und bisherige EU-Verträge und fiskalische Verpflichtungen nachverhandeln wollen. Die neue italienische Regierung dürfte zumindest zum Teil nach dem Vorbild Berlusconis handeln und die hohe Verschuldung des Landes und die damit einhergehenden finanziellen Risiken für die Gläubiger als Argument für eine Stützung durch die Staatengemeinschaft nutzen.
Denn private Investoren werden diese Risiken ohne Geleitschutz wohl auch mittelfristig nicht übernehmen. Das zeigt unter anderem die Entwicklung der Target-Verbindlichkeiten, die für Italien eine Finanzierungslücke von 640 Milliarden Euro anzeigen und zuletzt trotz der Einstellung der QE-Käufe durch die EZB und entgegen der Entwicklung in den anderen Euroländern weiter gestiegen sind. In der Summe steigt dadurch der Druck auf die EZB und dadurch die Wahrscheinlichkeit einer Aktivierung des TPI. Dennoch greift diese kritische Perspektive auf die Stützungsprogramme ökonomisch zu kurz. Ebenso Berücksichtigung finden müssen Kosten, die durch eine fehlende Weiterentwicklung der Währungsunion verursacht werden.
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