Chefvolkswirt Jörn Quitzau
Weshalb Trumps Sprunghaftigkeit zum größten Wirtschaftsrisiko wird

Jörn Quitzau arbeitet als Chefvolkswirt bei der Schweizer Privatbank Bergos. Foto: Bergos / Canva
Donald Trumps unberechenbarer Kurs in der Wirtschaftspolitik zerstört Vertrauen und Verlässlichkeit. Welche Folgen dies auch für Europa hat, erklärt Jörn Quitzau im Beitrag.
US-Präsident Donald Trump ist seit sechs Wochen im Amt. Nahezu jeder Tag steckte voller Überraschungen. Täglich ergeben sich neue Mosaiksteine, aus denen sich ein Bild für das Handeln der neuen Trump-Administration zusammensetzen lässt. Spätestens nach dem Selenskyj-Eklat vom Freitag letzter Woche lässt sich das Vorgehen mit zwei Worten zusammenfassen: konfrontativ und disruptiv.
Der konfrontati...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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US-Präsident Donald Trump ist seit sechs Wochen im Amt. Nahezu jeder Tag steckte voller Überraschungen. Täglich ergeben sich neue Mosaiksteine, aus denen sich ein Bild für das Handeln der neuen Trump-Administration zusammensetzen lässt. Spätestens nach dem Selenskyj-Eklat vom Freitag letzter Woche lässt sich das Vorgehen mit zwei Worten zusammenfassen: konfrontativ und disruptiv.
Der konfrontativ-disruptive Ansatz ist aus der ersten Trump-Amtszeit bekannt und er ist deshalb keine grundsätzliche Überraschung. Überraschend ist allerdings die Schärfe, mit der die neue Administration in der Außenpolitik und auf der internationalen Bühne agiert. Im Bereich der Wirtschaftspolitik war klar, dass Donald Trump seine protektionistischen Eskapaden fortsetzen würde. Diese Tatsache war von Beobachtern bereits „eingepreist“.
Das erratische, vermutlich kalkuliert unkalkulierbare Vorgehen Trumps wird allerdings zur Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung. Selbst unter der optimistischen Annahme, es handele sich bei einem größeren Teil von Trumps irritierenden Aussagen und Ankündigungen letztlich nur um einen Bluff, um die USA in bessere Verhandlungspositionen zu bringen, werden mit diesem Vorgehen wichtige ökonomische Faktoren zunehmend zerstört: Vertrauen, Verlässlichkeit und Vertragstreue.
Strukturelle Stärke: Warum die USA wirtschaftlich gut aufgestellt sind
Die amerikanische Wirtschaft ist stark. Sie hat sich trotz deutlich strafferer Geldpolitik in den vergangenen Jahren erstaunlich widerstandsfähig gezeigt. Die wirtschaftliche Stärke hat System. Das Wachstumspotenzial der amerikanischen Volkswirtschaft liegt bei 2 Prozent pro Jahr. In der Eurozone ist das Wachstumspotenzial nur etwa halb so hoch.
Die Gründe für das strukturell höhere Wachstum sind vielfältig: Die USA verfügen über einen hohen Grad an Energieautonomie. Das Land ist bis heute hochattraktiv für qualifizierte und leistungswillige Arbeitskräfte aus aller Welt. Die Folge war und ist eine hohe Innovationskraft. Mit den großen, wachstumsstarken Technologieunternehmen haben die USA die Taktgeber und Profiteure der Digitalökonomie, die nach dem Prinzip von „The winner takes it all“ funktioniert, im eigenen Land. Die Vereinigten Staaten verfügen über den weltgrößten Kapitalmarkt und die Weltleitwährung.
Schließlich gibt es im Land des Kapitalismus den unbedingten Willen zum wirtschaftlichen Wachstum, während sich Europa verstärkt um Themen abseits des Wirtschaftswachstums gekümmert hat („Beyond GDP“). Mit den genannten Standortvorteilen wären die USA bestens aufgestellt, um die Wachstumsliga der entwickelten Volkswirtschaften weiterhin anzuführen.
Das Risiko der Unberechenbarkeit: Wenn politische Sprunghaftigkeit zum Problem wird
Eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Grundlage für den Wohlstand von Nationen sind gute, verlässliche, wachstumsfreundliche Institutionen. Die amerikanische Demokratie gilt als stark genug, um auch die zweite Trump-Präsidentschaft zu überstehen. Trumps rigoroser Umgang mit den internationalen Institutionen zeigt aber, dass die amerikanischen Institutionen wirklich stark sein müssen, um die nächsten vier Jahre weitgehend unbeschadet zu überstehen.
Bei der Deregulierungsoffensive ist inzwischen zu befürchten, dass nicht nur die überbordende Bürokratie zurückgeschnitten wird. Wo Märkte mit ihrer Koordinationsfunktion an Grenzen stoßen, ist ein Mindestmaß an staatlicher Regulierung notwendig. Dies gilt auch und insbesondere für das Thema künstliche Intelligenz. Wenn dieser Teil der Regulierung ebenfalls zur Disposition gestellt wird, könnten die institutionellen Grundlagen des amerikanischen Wohlstands ausgehöhlt werden – auch wenn es für manche Unternehmen zunächst wachstumsfördernd wirkt.
Das Hin und Her in der Zollpolitik, aber auch die Sprunghaftigkeit in anderen Politikbereichen, sind kontraproduktiv. Planungssicherheit ist ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Der unversöhnliche Politikstil wird zudem wohl zu einer weiteren Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft beitragen. Insgesamt dürfte der politische Stil der ersten sechs Wochen mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften.
Donald Trump hat in der Vergangenheit – neben den hinlänglich bekannten Fake News – oft auch Dinge angesprochen, die zwar zum jeweiligen Zeitpunkt nicht unbedingt der „political correctness“ entsprachen, die aber dennoch einen wahren Kern hatten. Als Beispiele können hier die harte handelspolitische Haltung gegenüber China gelten und Trumps damals fast schon penetrante Forderung gegenüber Deutschland und anderen Nato-Mitgliedsstaaten, sie müssten ihre Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erhöhen.
Trump hat sich während seiner ersten Amtszeit manches Mal getraut, heiße Eisen anzufassen, auch wenn die Tonlage meist nicht passend war. Doch nun überdreht er inhaltlich und verschreckt die Partnerstaaten Amerikas zutiefst.
Europas Dilemma: Neue Verteidigungsausgaben brauchen neue Finanzierungswege
Europa wird sich sicherheitspolitisch auf eigene Beine stellen müssen, um sich vom militärischen Schutzschirm der USA unabhängig zu machen. Dafür dürften die Verteidigungsausgaben kräftig hochgefahren werden. Zu einem guten Teil wird die Finanzierung wohl über neue Schulden erfolgen. Dafür stehen vor allem zwei Möglichkeiten im Raum:
- Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt kann ausgesetzt oder weiter aufgeweicht werden, sodass die Nationalstaaten höhere Verschuldungsspielräume bekommen.
- Die Verteidigungsausgaben können über Gemeinschaftsanleihen („Eurobonds“) finanziert werden. Es wäre das dritte Mal nach der Gründung des ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) und dem „Corona-Wiederaufbaufonds“ (Next Generation EU), dass Europa Gemeinschaftsanleihen begeben würde. In diesem Fall wären sie sachlich zu rechtfertigen, weil die Verteidigung Europas ein internationales öffentliches Gut ist, das idealerweise gemeinschaftlich finanziert wird, um Trittbrettfahrerverhalten einzelner Länder zu vermeiden. Für die Mitgliedsländer wären Gemeinschaftsanleihen auch deshalb interessant, weil die daraus resultierenden Schulden nicht dem nationalen Schuldenstand zugerechnet werden, sondern auf EU-Ebene verbleiben. Von Deutschland, das traditionell erhebliche Vorbehalte gegen Gemeinschaftsschulden hat, dürfte in diesem Fall kein großer Widerstand kommen, weil dadurch der Streit um die deutsche Schuldenbremse entschärft werden könnte. Die neue Bundesregierung müsste sonst höhere Verteidigungsausgaben aus dem laufenden Haushalt finanzieren oder die Schuldenbremse reformieren, was politisch sehr umstritten ist.
Konjunktureller Impuls versus verlorene Friedensdividende: Die langfristigen Folgen
Für den wirtschaftlichen Ausblick in Europa würde das Hochfahren der Verteidigungsausgaben einen Nachfrageschub und damit einen gewissen konjunkturellen Impuls bedeuten. Die neue sicherheitspolitische Gemengelage bedeutet aber auch, dass der Verlust der sogenannten Friedensdividende auf die längerfristigen Wachstumsaussichten drückt, weil die Verteidigungsausgaben für andere, produktivitätssteigernde Verwendungen fehlen. Längerfristig ist mit einer etwas erhöhten Inflationsrate zu rechnen.
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