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Ökonom Johannes Mayr über Trumps Zollpolitik (Interview)

DAS INVESTMENT: Donald Trump hat wiederholt gesagt, dass er das Leistungsbilanzdefizit für ein Kernproblem der USA hält. Hat er damit einen Punkt?
Johannes Mayr: Die Wahrnehmung, dass das große Defizit in der Leistungsbilanz langfristig ein Problem für die Amerikaner ist – und auch für die Weltwirtschaft –, die teile ich schon. Denn wenn man sehr auf Kosten des Auslands konsumiert, birgt das ein...
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DAS INVESTMENT: Donald Trump hat wiederholt gesagt, dass er das Leistungsbilanzdefizit für ein Kernproblem der USA hält. Hat er damit einen Punkt?
Johannes Mayr: Die Wahrnehmung, dass das große Defizit in der Leistungsbilanz langfristig ein Problem für die Amerikaner ist – und auch für die Weltwirtschaft –, die teile ich schon. Denn wenn man sehr auf Kosten des Auslands konsumiert, birgt das ein gewisses Absturzrisiko.
Auf der anderen Seite offenbart das große Leistungsbilanzdefizit der Amerikaner auch, dass die USA einen gewaltigen Vorteil durch den US-Dollar als Weltreservewährung genossen haben. Sie haben sehr viel konsumiert und sich zulasten des Rests der Welt enorm verschuldet.
Klar ist gleichzeitig: Diese Entwicklung hat innerhalb der USA große Gewinner und Verlierer hervorgebracht. Breite Teile der Bevölkerung hatten am Aufstieg der US-Volkswirtschaft zur uneingeschränkten Nummer 1 nicht teil, vor allem die Industriearbeiter. Der Anteil der Industriearbeitsplätze ist deutlich gesunken. Die Lohnentwicklung in dem Bereich ist deutlich etwa hinter dem Bereich Technologie zurückgeblieben.
Trump hat angekündigt, die industrielle Basis wieder stärken zu wollen. Ist das in einer modernen Wirtschaft, die mittlerweile auf Dienstleistungen fokussiert ist, überhaupt ein realistisches Ziel – und zu welchem Preis wäre es zu erreichen?
Mayr: Möglich ist das natürlich, aber der Preis wäre sehr hoch. Und bezahlen würde es vor allem der heimische Konsument. Und auch Arbeitnehmer, die aktuell in diesem Dienstleistungssektor sehr gerne arbeiten und auch sehr gut verdienen. Interessant ist, dass laut Umfragen viele Amerikaner grundsätzlich hinter der Idee stehen, mehr Industriearbeitsplätze zu schaffen. Ein großer Teil der Bevölkerung befürwortet das. Gleichzeitig lehnt ein großer Teil der Bevölkerung es aber ab, selbst in diesem Sektor zu arbeiten.
Bei solch einer Veränderung und solch einem wirtschaftspolitischen Eingriff gibt es definitiv Gewinner und Verlierer. Die bisherigen Verlierer, US-Industriearbeiter, sind sicherlich die Klientel, auf die Trump am meisten abzielt und die profitieren würde. Klar ist aber auch, dass die Gesamtwirtschaft darunter leiden würde. Der Kuchen wird kleiner. Innerhalb dieses kleineren Kuchens würde jedoch ein größeres Stück auf die Industrie entfallen.
Bei der Zollpolitik gab es in den vergangenen Wochen viel Hin und Her, Zölle wurden verhängt und teils wieder zurückgenommen, gegenüber China scheinen die Maßnahmen besonders aggressiv zu sein. Können Zölle die US-Wirtschaft wirklich stützen?
Mayr: Mit dieser Zollpolitik zielt Trump aktiv darauf ab, die Leistungsbilanz-Defizite zu reduzieren. Kann das gelingen? Vermutlich nein. Das hat man schon 2016 in der ersten Runde der Trump'schen Zollpolitik gesehen. Damals hat sich am Ende des Tages das Leistungsbilanzdefizit ja überhaupt nicht reduziert.
„Die vier Ziele von Trumps Zollpolitik widersprechen sich zum Teil“
Wieso sind höhere Zölle Ihrer Meinung nach nicht wirksam?
Mayr: Sie schaffen es natürlich mit höheren Zöllen, die Importe unter Umständen etwas zurückzudrängen, gerade wenn sie Zölle gegenüber allen anderen Ländern einführen. 2016 haben die USA Zölle ja noch primär gegenüber China verhängt. Die Chinesen haben dann angefangen, ihre Produkte über Drittländer in die USA zu exportieren.
Es wird aber trotzdem nicht funktionieren, aus mehreren Gründen: Wenn Sie höhere Zölle einführen, um die Importe zu bremsen, bremsen Sie automatisch auch die Exporte aus. Zum einen, weil das Risiko von Gegenzöllen sehr hoch ist. Durch das Zurückdrängen der Importe würden Sie zum anderen die heimische Wirtschaft zwingen, mehr für den Heimatmarkt bereitzustellen. Diese Kapazitäten fehlen dann, um Exportprodukte zu erzeugen.
Und schließlich bedeutet ein Defizit in der Leistungsbilanz ökonomisch ja nichts anderes, als dass der Verbrauch im Inland größer ist als die heimische Produktion. Andersherum ausgedrückt: Die heimischen Investitionen sind größer als die heimischen Ersparnisse. Nur wenn Sie es gleichzeitig schaffen, im Inland diese makroökonomischen Größen zu verändern, die amerikanischen Privathaushalte und den öffentlichen Haushalt zum Sparen zu zwingen oder weniger im Inland zu investieren, dann kann sich die Leistungsbilanz nachhaltig ausgleichen.
Welcher Effekt überwiegt Ihrer Meinung nach bei der Zollstrategie: Dass die USA durch Zölle wirklich Geld einnehmen, oder dass der Handel dadurch versiegt?
Mayr: Das hängt sicherlich von der Höhe und auch dem Ausmaß der Zölle ab. Also gegenüber welchen Handelspartnern, gegenüber welchen Produkten Zölle eingeführt werden. Trump verfolgt im Grunde genommen vier Ziele mit seiner Zollpolitik. Das erste Ziel ist, die US-Industrie zu schützen. Zweitens will er möglichst viele Zolleinnahmen generieren, um Staatsausgaben oder Steuersenkungen zu finanzieren. Drittens will er die Leistungsbilanz ausgleichen. Und viertens auch noch eine Verhandlungsmasse für sonstige Deals in der Hand haben.
Davon scheint sich einiges zu widersprechen.
Mayr: Genau, die vier Ziele stehen einander teils im Weg. Ich kann nicht auf der einen Seite die US-Industrie schützen, ausländische Produkte aus dem Land fernhalten – und gleichzeitig hohe Zolleinnahmen generieren. Das passt nicht zusammen.
Am wenigsten schädlich ist sicherlich der Schutz der US-Industrie oder das Dealmaking. Weil dort nur bestimmte Zölle sinnvoll sind und langfristig eingesetzt werden dürften. Deutlich schädlicher ist es, wenn die Zollpolitik eingesetzt werden soll, um Staatsausgaben in großem Umfang zu finanzieren oder die Leistungsbilanz wirklich auszugleichen.
„Trumps Strategie ist mehr oder minder durchdacht"
Würden Sie sagen, dass Trump nach der „Trial-and-Error“- Methode vorgeht, oder dass ein größerer Plan dahinter steckt?
Mayr: Ich würde schon sagen, dass seine Strategie mehr oder minder durchdacht ist. Trumps Agenda besteht im Kern aus drei Säulen: das Leistungsbilanzdefizit über die Handelspolitik zu reduzieren, die Kapitalbilanz einzusetzen, um US-Unternehmen preislich wettbewerbsfähiger zu machen und einen staatlichen Puffer aufzubauen, um fehlendes Kapital zu ersetzen. Alle sollen dazu führen, dass die US-Industrie robuster wird, weniger abhängig vom Ausland.
Aktuell wird stark auf die erste Säule, die Reduzierung der Leistungsbilanz über die Handelspolitik, geschaut. Die zweite Säule setzt an der Kapitalbilanz an. Dabei werden die Amerikaner auch nachhaltig versuchen, durch niedrigere Steuern und Zinsen im Inland und durch einen schwächeren Dollar gegenüber dem Rest der Welt ihre Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen.
Und die dritte Säule?
Mayr: Die dritte Säule betrifft ein größeres Engagement des amerikanischen Staates in der eigenen Wirtschaft. Die Trump-Agenda wird zwar oft als Agenda beschrieben, die Amerika vor allem auf der privaten Seite stärken soll, der Staat soll möglichst klein sein. Sie könnte aber darin münden, dass der Einfluss des Staates auf die Wirtschaft größer wird. Denn wenn die Amerikaner durch ihre Politik weniger ausländisches Kapital ins Land holen, wenn die Leistungsbilanz und die Kapitalbilanz kleiner werden, dann kommt auch weniger ausländisches Kapital herein, das sich für Investitionen nutzen lässt.
In diese dritte Säule würde ich alle Aktivitäten einsortieren, die die USA unternehmen, um auf noch ungehobenes Kapital zuzugreifen, zum Beispiel auf Rohstoffe. Auch die Spekulationen über eine Annäherung an Grönland oder an Kanada kann man, wenn man es ökonomisch interpretiert, in diese dritte Säule einsortieren.
Dienen denn die Zölle, die flexibel mal erlassen, mal wieder aufgehoben werden, vor allem als Experiment, wie weit man gehen kann?
Mayr: Danach sieht es sehr aus. Erst werden Maximalzölle eingeführt, von denen man wieder heruntergeht, wenn es negative Reaktionen gibt – von den Finanzmärkten, vom heimischen Wahlvolk, von den Konsumenten. Man versucht das im Nachhinein irgendwie ökonomisch zu rechtfertigen, was man da tut.
Mit dem sogenannte Mar-a-Lago-Accord will die Trump-Administration den US-Dollar gezielt schwächen, um US-Firmen international wettbewerbsfähiger zu machen. Kann die Rechnung aufgehen?
Mayr: Das fällt in die schon beschriebene zweite Säule. Den Dollar zu schwächen ist durchaus eine realistische Möglichkeit. Das sehen wir jetzt gerade. Allerdings liegt das eher an dem Vertrauensverlust, der einsetzt. Ein geordnetes und gezieltes Abschwächen einer Währung durch eine solche Politik ist ein schwieriges Unterfangen. Denn die heimischen und vor allem die ausländischen Investoren würden so ein Ziel nicht geordnet begleiten. Kapitalströme drehen in solchen Situationen sehr schnell die Richtung, die Reaktion kann überschießen.
Eine Währung gezielt abzuwerten, sodass es der Industrie hilft und auf der anderen Seite der Wirtschaft als Ganzes nicht zu viel Kapital entzieht – das ist ein unglaublich schwieriger Balanceakt. Die Bewegungen am Finanzmarkt zeigen eher an, dass das nicht wirklich gezielt ablaufen kann.
Wie ist Europa davon betroffen?
Mayr: Laut ökonomischen Schätzungen dürfte die amerikanische Wirtschaft unter der Handelspolitik am meisten leiden. Europa verliert auch, aber überraschend wenig. Denn es werden ja nur Handelsbarrieren gegenüber den Amerikanern verschärft, Europa könnte von günstigeren Importen aus dem Rest der Welt profitieren. Es könnte auch Handelserleichterungen mit anderen Ländern vereinbaren.
Wenn der Dollar schwächer wird und der Euro gleichzeitig stärker, heißt das natürlich, dass die Inflationsrisiken in Europa sinken. Die EZB hat dann mehr Spielraum, die Wirtschaft zusätzlich anzuschieben. Das ist eine für Europa überraschende und auch positive Ausgangslage.
„Damit würde sich Donald Trump ein Eigentor schießen"
Die US-Notenbank Fed hat gerade entschieden, die Leitzinsen bei 4,25 bis 4,50 Prozent zu belassen. Donald Trump hat wiederholt gesagt, dass er bei Zinsentscheidungen der US-Notenbank Fed mitbestimmen will. Fed-Chef Jerome Powell verwahrt sich bislang dagegen. Könnte es sein, dass Trump trotzdem einmal eine Zinssenkung dirigistisch anordnen wird?
Mayr: Die Notenbank genießt ein hohes Maß an Unabhängigkeit, auch in den USA – wenn auch juristisch nicht so stark verankert wie in Europa. Wenn an Notenbankentscheidungen Zweifel aufkommen sollten, wenn die Unabhängigkeit der Notenbanken infrage steht, dann ist das für ausländische Investoren ein großes Warnsignal. Ich denke, das wäre ein fulminantes Eigentor von Trump.
Kann man die Kapitalmärkte das letzte Korrektiv nennen, das Trump in seinem erratischen Wirken im Zaum hält?
Mayr: Ich würde sagen, es gibt für Trump zwei Korrektive. Das eine ist die Wählerschaft, vor allem die amerikanischen Konsumenten. Wenn die Inflation überhandnimmt, dann wird sicherlich der Druck aus der Bevölkerung sehr groß werden. Das zweite Korrektiv ist der Kapitalmarkt – und da vor allem der Anleihenmarkt.
Erläutern Sie das mal bitte.
Mayr: Wir haben ja miterlebt, dass die Rücksetzer am Aktienmarkt die US-Administration überraschend lange kalt gelassen haben. In dem Moment aber, als klar wurde, dass die US-Staatsanleihen ihren Status als sicherer Hafen für Investoren zu verlieren drohen und zum Teil auch schon eingebüßt haben, hat die Trump-Administration doch deutlich umgesteuert.
Der Anleihenmarkt ist ein sehr starkes Korrektiv, denn daran hängt am Ende, was sich aus dem Staatshaushalt finanzieren lässt. Ohne Vertrauen der Gläubiger in den amerikanischen Staat sind viele Projekte, die Trump sonst noch auf der Liste hat, nicht mehr durchführbar.
Wie sollten Anleger vor diesem unsicheren Hintergrund ihr Portfolio aufstellen?
Mayr: Wichtig scheint mir die Trennung zwischen kurzfristiger Reaktion und längerfristiger Investmentstrategie. Wenn man auf die längerfristigen Implikationen schaut, dann liegt natürlich nahe, in einer fragmentierteren, multipolaren Weltordnung auch die Anlage noch breiter zu diversifizieren, sie in mehrere Regionen zu streuen.
Wir sehen nach wie vor den Bereich Technologie als sehr vielversprechend an. Aber nicht mehr nur in den USA, sondern jetzt auch in der asiatischen Welt. Auch in Europa wird es auf dem Gebiet interessante Entwicklungen geben. Das Gleiche gilt für die anderen großen Wachstumstrends, zum Beispiel im Bereich Gesundheit, der Pharma-Welt. Auch dort gilt es, Anlagen regional in die drei großen Kraftzentren USA, Asien mit China und Europa zu diversifizieren.
Über den Interviewten:
Johannes Mayr ist seit April 2021 Chefvolkswirt bei der Fondsgesellschaft Eyb & Wallwitz. Zuvor war er Leiter Volkswirtschaft und Investment Research bei der BayernLB. Mayr hat in der Vergangenheit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ifo Institut gearbeitet und sich dort mit Themen der Finanz- und Eurokrise beschäftigt. Als Sachverständiger sagte er 2019 vor dem Bundesverfassungsgericht in der Verhandlung über das QE-Programm der Europäischen Zentralbank aus.



