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Türkei: Abenddämmerung im Morgenland?

Gregor Müller
Gregor Müller
Nicht nur die internationale Politik ist erschrocken über die heftigen und gewalttätigen Reaktionen der türkischen Politik auf die aktuellen Proteste. Auch wir reiben uns erstaunt die Augen, was aktuell in einem der beliebtesten Reiseziele der Deutschen passiert.

Ebenfalls zutiefst verunsichert ist der Kapitalmarkt. Der türkische Aktienmarkt hat nach einer fulminanten Rally der letzten Jahre binnen weniger Wochen über 20 Prozent verloren, nachdem kurz zuvor noch historische Höchstkurse erreicht wurden. Zusätzlich hat die türkische Lira gegenüber dem Euro bis zu 8 Prozent abgewertet.

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Viele Investoren sind besorgt und assoziieren die Geschehnisse mit den Protesten im arabischen Frühling (Ägypten, Libyen).

Was ist passiert?

An einem Streit um die Zukunft des in Istanbul gelegenen Gezi-Parks hatte sich der Konflikt zwischen Demonstranten und Regierung ursprünglich entzündet. Anfangs richtete sich der Widerstand gegen die Errichtung eines Einkaufszentrums und Moschee in dem beliebten Park am zentralen Taksim-Platz.

Doch als die Polizei gewaltsam gegen die Demonstranten vorging, weiteten sich die Proteste auf das ganze Land aus. Mittlerweile richten sie sich vor allem gegen den immer autoritärer werdenden Führungsstil des Premiers Erdogan. Immer mehr Türken fühlen sich in dem von Erdogan befeuerten Turbokapitalismus benachteiligt, die Kluft zwischen arm und reich wird grösser.

Zudem wird Erdogan vorgeworfen, das Land stärker islamisieren zu wollen. So setzt sich Erdogan für die Wiedereinführung der Todesstrafe ein, eine Verschärfung des Abtreibungsrechts sowie strengere Regeln für Alkoholausschank. Speziell die junge Bevölkerung in den großen Städten ist sehr westlich orientiert und wehrt sich dagegen.

In der türkischen Verfassung ist der Laizismus, die Trennung von Staat und Religion, fest verankert. Jeder Versuch, diesen Grundsatz auszuhebeln, wurde in der Vergangenheit teilweise durch militärischen Einsatz verhindert, zuletzt 1980. Umso erstaunlicher ist das harte Vorgehen heute der Regierung gegen die eigene Bevölkerung.

Signalisierte Erdogan noch Ende letzter Woche Gesprächsbereitschaft, schwenkte er zum Wochenende wieder um und setzte erneut Polizeigewalt gegen die Protestanten ein. Wohnungen von Demonstranten werden durchsucht, es gibt Verhaftungen, die Regierung droht mit dem Einsatz des Militärs.

Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der Türkei

Die Türkei hat in den letzten Jahren eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung genommen. Von 2002 bis 2011 hat sich die Wirtschaftsleistung des Landes mehr als verdoppelt. Zuletzt waren die Wachstumsraten allerdings leicht unter dem Durchschnitt. Für die nächsten Jahre rechnet das IWF mit einer Wachstumsrate von 3,5 – 4,0 Prozent.

Die Inflationsrate dürfte sich auf ein Niveau von 5-6 Prozent einpendeln, nachdem in der Vergangenheit oft zweistellige Inflationsraten herrschten. Die Staatsverschuldung liegt aktuell bei 36 Prozent des BIP und dürfte sich in den nächsten Jahren weiter reduzieren.

Schwachstelle bleibt das Leistungsbilanzdefizit, mit 6 Prozent des Sozialproduktes eines der höchsten der Welt.  Aufgrund der hohen Energieimporte wird das die nächsten Jahre auch so bleiben, knapp 70 Prozent der benötigten Energie muss die Türkei importieren. Um unabhängiger zu werden, investiert die Türkei allerdings massiv in inländische Kraftwerke.

Diese Entwicklungen hat die Türkei in den Club der Investment-Grade Staaten geführt. Erst vor wenigen Wochen hat Moodys das Rating auf IG hoch gestuft. In einem aktuellen Kommentar sieht Moodys noch keinen Grund, angesichts der politischen Entwicklung das Rating zu reduzieren. Damit bewerten sowohl Fitch als auch Moodys die Bonität des Landes mit Investitionsgüte, S&P dürfte wohl demnächst nachziehen.

Keine voreiligen Schlüsse ziehen

Für viele Investoren ist die Türkei in den letzten Jahren Wunschziel geworden. Noch ist es zu früh, um aufgrund der politischen Instabilität negative wirtschaftliche Konsequenzen festzustellen. Sollten jedoch die Proteste und die staatlichen Gegenmaßnahmen weiter eskalieren, drohen empfindliche Störungen: Der Tourismus, wichtige Stütze der Wirtschaft, ist ebenso anfällig wie auch die Kapitalströme ausländischer Investoren. Doch zur Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite ist die türkische Wirtschaft dringend auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen.

Kurzfristig könnte die türkische Zentralbank für eine gewisse Stabilität an den Kapitalmärkten sorgen. Dennoch könnten die Proteste den Wirtschaftsboom verlangsamen. Zudem verspielt die Regierung mit ihrer Haltung das mühsam aufgebaute Vertrauen vieler Investoren. Für eine weiterhin positive Entwicklung der Türkei ist eine stabile politische Lage unabdingbar, damit Investoren wieder Risikokapital in der Türkei investieren.

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