UBS Fondsmanager im Interview Schwellenländeraktien stehen am Wendepunkt
Können Sie uns ein Beispiel dafür geben, wie nicht-standardisierte Analysequellen Ihnen bei einer Anlageentscheidung geholfen haben?
Wong: Research vor Ort hat uns bei zahlreichen Investments geholfen. Wie schon im Beispiel erwähnt, haben wir direkte Gespräche mit Landwirten und Traktorhändlern im ländlichen Indien geführt. Dies hat uns ein klareres Bild der verschiedenen Marken und ihrer Wettbewerbsposition im Markt verschafft. Wir waren dadurch gut positioniert, als sich die Bedingungen nach dem Monsun verbesserten und die Landwirte bereit waren, neue Traktoren anzuschaffen. Durch unsere direkten Besuche bei Filialen eines führenden russischen Einzelhändlers, weit von Moskau entfernt, konnten wir die Wachstumsaussichten und die Qualität ihres operativen Geschäfts besser verstehen. So erhielten wir einen besseren Maßstab, um den richtigen Zielkurs für die Aktie zu bestimmen.
Wie wichtig ist in einem Schwellenländerportfolio das Risikomanagement, und wie gehen Sie an dieses Thema heran?
Wong: Die Unternehmen permanent auf den Prüfstand zu stellen und Risiken kontinuierlich zu managen sind entscheidende Faktoren, um die Folgen unerwarteter Schocks so gering wie möglich zu halten. Die Standards für gute Unternehmensführung sind variabel, besonders in den Schwellenländern. Unsere Konzentration auf Qualität erweist sich bei der Risikokontrolle im Portfolio als sehr hilfreich. Zusätzlich überwachen wir die makroökonomischen und politischen Risiken auf Länderebene. Schließlich setzen wir auch branchenübliche und proprietäre Risikosysteme ein. Auf diese Weise integrieren wir das Risikomanagement in jede Stufe des Anlageprozesses, von der Unternehmensanalyse bis zur Portfoliokonstruktion. Auf Unternehmensebene stehen wir im kontinuierlichen Dialog mit den Firmen, in die wir investieren, und mit allen unseren Analysequellen. In jedem Jahr bewerten die Analysten die Unternehmensführung und andere Risikoquellen für jedes Unternehmen neu. Auf Portfolioebene analysiert unser hauseigenes Risikosystem die Portfolios, um zu ermitteln, wo wir auf Ex-ante-Basis aktive Risiken eingehen. Dieses System ist so angelegt, dass es unseren Bottom-up-Anlageprozess spiegelt. Risikofaktoren auf Einzeltitelebene werden in der Risikogewichtung daher ebenso stark berücksichtigt wie Länder- und Branchenfaktoren.
Den Schwellenländern werden höhere politische Risiken zugesprochen. Wie gehen Sie mit den Sorgen nervöser Investoren um?
Wong: Wenn wir darüber nachdenken, eine Aktie in Kundenportfolios aufzunehmen, untersuchen wir die politischen und makroökonomischen Risiken. Wir besitzen einen hauseigenen Länderrisiken- Monitor aus rund zwei Dutzend wirtschaftlichen Risikovariablen für jedes Land, in dem wir investieren, einschließlich politischer Risiken. Generell halten wir keine Positionen in Ländern, in denen das Risiko der Enteignung groß ist, und normalerweise investieren wir nicht in Ländern mit extremen politischen Risiken. Politische Unsicherheiten gibt es in unterschiedlicher Stärke in einigen Schwellenländern, aber dies ist ja keine Besonderheit der Schwellenmärkte, wie zum Beispiel das jüngste britische Votum, die EU zu verlassen, gezeigt hat.
Schwellenländer werden auch als volatiler angesehen als die Industrienationen. Wie sieht es im aktuellen Vergleich aus?
Wong: Die Volatilität in den Schwellenländern wird auch weiterhin höher ausfallen als in den Industrienationen. Es ist aber wichtig festzuhalten, dass sich einige der Risikofaktoren zugunsten der Schwellenländer entwickelt haben. Beispielsweise war die Volatilität des „Taper Tantrums“ 2013 – ausgelöst durch panische Marktreaktionen nach der Ankündigung der US-Notenbank, ihre Geldflüsse in die Wirtschaft schrittweise zu reduzieren – mit hohen Leistungsbilanzdefiziten in vielen Schwellenländern verbunden. Dies hat sich nun stabilisiert, die meisten Schwellenländer weisen einen Überschuss oder nur geringe Defizite auf. Derweil wachsen in der entwickelten Welt die Sorgen über die mangelnde Wirksamkeit der quantitativen Lockerung und die Unfähigkeit, sich aus der säkularen Stagnation zu befreien. Schwellenländer haben dieses Problem in der Regel nicht, da sie über eine bessere Bevölkerungsstruktur und andere Wachstumstreiber verfügen.
Schwellenländer waren eine Zeit lang wenig beliebt. Was hat sich geändert?
Wong: Nach dem Wirtschaftsboom in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts durchliefen die Schwellenländer eine längere Phase der Verlangsamung. Dies fiel mit einer schwächeren Kursentwicklung zusammen, da die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit und eine starke Kreditausweitung die Ertragskraft der Unternehmen belasteten. Inzwischen gibt es jedoch Zeichen struktureller Anpassungen, die längerfristig eine positive Entwicklung erwarten lassen. Die Lokalwährungen haben gegenüber einem stärkeren Dollar korrigiert, und die Reallöhne wachsen langsamer. Die Produktivität wächst nun wieder schneller als die Löhne. Beides markiert den Beginn einer erneuerten Wettbewerbsfähigkeit. Auch die Außenhandelsbilanzen haben sich verbessert, und das Kreditwachstum in den meisten Ländern - mit der bemerkenswerten Ausnahme China - hat sich verlangsamt. Mittelfristig sehen wir außerdem Raum für punktuelle Überraschungen und mögliche Trendwenden, auch in Brasilien und Russland, deren Volkswirtschaften sich, so glauben wir, nach schweren Rezessionen ihrem Tiefpunkt nähern. Kurz gesagt, wir sehen, dass der Schwellenländerzyklus allmählich seine Tiefstände erreicht haben könnte. Da die Finanzmärkte der Realwirtschaft. tendenziell vorauslaufen, werden sie sich wahrscheinlich schon recht stark bewegt haben, bis die Erholung deutlich zutage tritt.