Über Geld spricht man immer noch nicht
Entgelttransparenzgesetz bleibt ohne Wirkung
Andreas Peichl und Julia Schricker (v.l.): Die beiden Forscher am Ifo-Institut analysieren das Entgelttransparenzgesetz. Foto: ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.
Das Entgelttransparenzgesetz soll Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern senken und Durchblick in Lohngefüge schaffen. Klappt das? Andreas Peichl und Julia Schricker vom Ifo-Institut in München haben da so ihre Zweifel.
Auch für die Zukunft sind die Erwartungen der Personalleiter bezüglich der langfristigen Effekte des Entgelttransparenzgesetzes gedämpft: Nur 6 Prozent rechneten damit, dass das Gesetz langfristig zu einer Veränderung der Gehaltsstruktur in ihrem Unternehmen beitragen wird, 61 Prozent glaubten nicht daran, 32 Prozent hatten keine Meinung dazu, wobei die größeren Unternehmen determinierter in ihrer Haltung waren (vgl. Abb. 3, Schricker 2019).
Erklärungsversuche für Wirkungslosigkeit
Insgesamt wirkt das Entgelttransparenzgesetz wie ein Papiertiger. Es scheint, als ob die Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer bislang kaum Notiz von ihrem Auskunftsanspruch genommen haben. Aber warum...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Auch für die Zukunft sind die Erwartungen der Personalleiter bezüglich der langfristigen Effekte des Entgelttransparenzgesetzes gedämpft: Nur 6 Prozent rechneten damit, dass das Gesetz langfristig zu einer Veränderung der Gehaltsstruktur in ihrem Unternehmen beitragen wird, 61 Prozent glaubten nicht daran, 32 Prozent hatten keine Meinung dazu, wobei die größeren Unternehmen determinierter in ihrer Haltung waren (vgl. Abb. 3, Schricker 2019).
Erklärungsversuche für Wirkungslosigkeit
Insgesamt wirkt das Entgelttransparenzgesetz wie ein Papiertiger. Es scheint, als ob die Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer bislang kaum Notiz von ihrem Auskunftsanspruch genommen haben. Aber warum ist das so?
Dies hat mehrere mögliche Ursachen. Einerseits ist zu vermuten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur ungenügend über ihre neuen Rechte informiert sind. Die Unternehmen dürften wenig Interesse daran haben, für das Gesetz Werbung zu machen. Transparenz ist am Ende auch immer eine Frage der Unternehmensführung und -kultur. Deshalb ist ein entscheidender Grund sicher auch in den hohen Hürden zu sehen, die auf dem Weg zur Auskunft über das Gehalt der Kollegen liegen: herauszufinden, ob der eigene Arbeitgeber mehr als 200 Angestellte beschäftigt, ist noch relativ einfach.
Auskunftsgesuch in schriftlicher Form
Kompliziert wird es aber bei der Frage, welche Tätigkeiten und Positionen mit der eigenen vergleichbar sind – eine Anforderung, die der Gesetzgeber an die Auskunftsbegierigen in „zumutbarer Weise“ stellt. Noch dazu muss der Kollege (oder die Kollegin), über dessen (deren) Gehalt man Auskunft wünscht, dem anderen Geschlecht angehören, und darüber hinaus müssen noch fünf weitere KollegInnen des anderen Geschlechts im Betrieb beschäftigt sein, die eine Vergleichstätigkeit ausüben.
Hat man all das in Erfahrung gebracht, hat das Auskunftsgesuch in schriftlicher Form an den Arbeitgeber, oder soweit vorhanden, den Betriebsrat gerichtet zu werden. Es ist leicht vorstellbar, dass sich viele Angestellte angesichts dieser hohen Hürden keine große Wahrscheinlichkeit ausrechnen, mit ihrem Auskunftsgesuch tatsächlich eine Anpassung des eignen Gehalts zu erreichen. Deshalb verwundert es nicht, dass nur so vereinzelt vom Recht auf Auskunft Gebrauch gemacht wurde.
Unsere Ergebnisse bestätigen diese subjektiven Einschätzungen, und die Chancen auf eine Gehaltsanpassung erscheinen begrenzt: in nur jedem siebten Unternehmen zogen Auskünfte über das Vergleichsgehalt eine Gehaltsanpassung nach sich. Während in den kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Angestellten jede vierte Forderung zu einer Lohnerhöhung führte, lag der Anteil bei den Großunternehmen um null (vgl. Schricker 2019). Dies könnte möglicherweise dadurch zu erklären sein, dass große Unternehmen oft feste Gehaltsschemata für Mitarbeiter(-gruppen) etabliert haben, während in kleinen Unternehmen Löhne öfter individuell ausgehandelt werden.
Was können wir von Nachbarn lernen?
Der Gender Pay Gap ist jedoch nicht nur hierzulande ein großes Thema. EU-weit liegt der durchschnittliche Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern bei 16,2 Prozent. Am besten schneiden die nordischen Länder Island, Norwegen, Finnland und Schweden ab, die Schlusslichter bilden – direkt nach Deutschland mit rund 21 Prozent – Estland, Österreich und Tschechien.
Rund zwei Drittel dieser Lohnlücke können im Durchschnitt erklärt werden, z.B. durch unterschiedliche Jobmerkmale, insbesondere durch den höheren Anteil von Frauen in Teilzeitbeschäftigungen und der Konzentration von Frauen in schlechter bezahlten Branchen, wie dem Sozial- und Gesundheitswesen.
Zirka ein Drittel ist statistisch dadurch jedoch nicht zu erklären (vgl. Statistisches Bundesamt 2018; Boll und Lagemann 2018). Hier setzen die Gesetzgebungen, die bereits in einigen europäischen Ländern, u.a. in Island, in der Schweiz und Bulgarien, eingeführt wurden, zum großen Teil an. Weitere Länder diskutieren die Einführung von Maßnahmen, z.B. Frankreich.
Island sticht heraus
Im internationalen Vergleich zur Entgelttransparenz sticht insbesondere Island heraus. Island hat eine lange Tradition der Gesetzgebung gegen die Ungleichbezahlung von Frauen und Männern. Das erste Gesetz gegen die geschlechterspezifische Ungleichbezahlung trat bereits 1961 in Kraft. Es folgten weitere Gesetze und Novellierungen, die das gleiche Ziel verfolgten. Und obwohl Island in der Folge seinen Gender Pay Gap soweit reduzieren konnte, dass es nunmehr die EU-weit niedrigste geschlechterspezifische Lohnlücke aufweist, legte die Regierung 2017 noch einmal nach.
Mit der Novellierung des Gender Equality Act, die Anfang Januar 2018 rechtskräftig wurde, gilt das isländische Gesetz zur gleichen Bezahlung von Frauen und Männern als die schärfste derartige Gesetzgebung EU-weit. Zum einen soll dadurch die Lohnlücke bis 2022 gänzlich geschlossen werden, zum anderen enthält es auch Richtlinien, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter erhöhen und eine Veränderung traditioneller Geschlechterrollen bewirken sollen. Seit 2018 sind alle Unternehmen ab 25 Beschäftigten – privatwirtschaftlich sowie staatlich – nun dazu verpflichtet, einen Nachweis über die gerechte Bezahlung zu erbringen.
Dazu führte Island einen Equal Pay Standard ein, den alle Unternehmen umsetzen müssen und über dessen Einhaltung alle drei Jahre ein Zertifikat zu erwerben ist. Bei Nichteinhaltung drohen Strafen für jeden Tag, an dem gegen das Gesetz verstoßen wird, sowie eine Veröffentlichung der Firmennamen der Nichterfüller (vgl. Government Office of Iceland 2018).
- Seite 1 − Die Wirkung blieb bislang aus
- Seite 2 − 10 Prozent machten Gebrauch
- Seite 3 − Erklärung für Wirkungslosigkeit
- Seite 4 − Definition von Gleichwertigkeit
Über die Autoren