Über Geld spricht man immer noch nicht
Entgelttransparenzgesetz bleibt ohne Wirkung
Andreas Peichl und Julia Schricker (v.l.): Die beiden Forscher am Ifo-Institut analysieren das Entgelttransparenzgesetz. Foto: ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.
Das Entgelttransparenzgesetz soll Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern senken und Durchblick in Lohngefüge schaffen. Klappt das? Andreas Peichl und Julia Schricker vom Ifo-Institut in München haben da so ihre Zweifel.
Eine entscheidende Neuerung bei der jüngsten Novellierung des isländischen Gesetzes war die neue Definition von Gleichwertigkeit. Diese misst jeder Arbeit einen bestimmten Wert bei, unabhängig davon, wer sie ausführt oder wie sie konkret ausgestaltet ist. Es zählen in entscheidendem Maße die Dauer der Ausbildung und die Qualifikation, die für die auszuübende Tätigkeit nötig sind. Dadurch sollen z.B. Ausbildungsberufe, die das gleiche Qualifikationslevel haben und für die eine gleich lange Ausbildung erforderlich ist, den gleichen Wert erhalten.
Darüber hinaus fließen aber weiterhin Faktoren wie bspw. persönliche Fähigkeiten, Erfahrung oder Verantwortung in die Gehaltsfindung mit ein....
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Eine entscheidende Neuerung bei der jüngsten Novellierung des isländischen Gesetzes war die neue Definition von Gleichwertigkeit. Diese misst jeder Arbeit einen bestimmten Wert bei, unabhängig davon, wer sie ausführt oder wie sie konkret ausgestaltet ist. Es zählen in entscheidendem Maße die Dauer der Ausbildung und die Qualifikation, die für die auszuübende Tätigkeit nötig sind. Dadurch sollen z.B. Ausbildungsberufe, die das gleiche Qualifikationslevel haben und für die eine gleich lange Ausbildung erforderlich ist, den gleichen Wert erhalten.
Darüber hinaus fließen aber weiterhin Faktoren wie bspw. persönliche Fähigkeiten, Erfahrung oder Verantwortung in die Gehaltsfindung mit ein. Die eigentliche Tätigkeit soll dadurch aber weniger stark eingehen, wodurch klassische Frauenberufe bessergestellt würden (vgl. Kvenréttindafélag Íslands 2018). Unternehmen mit mehr als 250 Angestellten müssen das Gesetz bis Ende 2018 umgesetzt haben, kleinere Unternehmen haben dafür bis Ende 2021 Zeit. Eine abschließende Evaluierung der Wirkung des Gesetzes kann daher noch nicht erfolgen, Island ist damit das erste Land, das eine Ungleichbezahlung von Männern und Frauen faktisch verbietet.
Neue Definition von Gleichwertigkeit
Die Einführung dieser neuen Definition von Gleichwertigkeit ist auch deswegen zentral, weil die bisherige Gesetzgebung oftmals mit genau diesem Argument einer nichtzutreffenden Gleichwertigkeit umgangen wurde. Dass im Entgelttransparenzgesetz eine derartige Klausel fehlt, dürfte mit dazu beitragen, dass relativ wenige Auskünfte in einer Gehaltserhöhung resultierten.
In der Gesamtschau der Gesetzgebungen der verschiedenen EU-Länder zeigt sich, dass insbesondere flexible Elternzeitmodelle, rechtliche Regelungen zur Unterbrechung der Erwerbstätigkeit sowie zur Telearbeit, ein Ausbau der öffentlichen Betreuungsangebote für Ältere und Kinder berufstätiger Eltern dazu beitragen konnten, den (statistisch erklärten Anteil am) Gender Pay Gap zu reduzieren (vgl. Senden und Timmer 2016; World Economic Forum 2017).
Wie wichtig Lohntransparenz ist, zeigt auch die Studie von Card et al. (2012). In einem Experiment erhielten zufällig ausgewählte Mitarbeiter kalifornischer Universitäten Einblick in die Gehälter ihrer KollegInnen. Die Ergebnisse zeigen asymmetrische Effekte der Gehaltstransparenz: Lag der eigene Lohn unter dem Durchschnittsgehalt der Berufsgruppe, stieg die Unzufriedenheit mit dem Job und die Wahrscheinlichkeit eines Jobwechsels deutlich. Umgekehrt konnte eine eigene überdurchschnittliche Gehaltsperformance die Jobzufriedenheit kaum positiv beeinflussen. Am stärksten war der Effekt bei Geringverdienern. Auf Arbeitnehmerseite kann Gehaltstransparenz also zu einem Bereinigungsprozess der unterdurchschnittlich bezahlten ArbeitnehmerInnen führen, wovon insbesondere Frauen profitieren können.
Fazit
Das Entgelttransparenzgesetz ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung hin zu mehr Lohngerechtigkeit. Doch der Gesetzgeber sollte sich hierauf nicht ausruhen, denn es gibt noch immer viel zu tun, wie die Ergebnisse unserer Befragung sowie der internationale Vergleich zeigen. Staatliche Institutionen haben entscheidenden Anteil sowohl an der Lohnlücke als auch an dem niedrigen Anteil von Frauen in Spitzenpositionen. Natürlich spielen auch soziale Normen, individuelle Präferenzen und Unternehmenskultur eine wichtige Rolle. Doch auch diese werden durch Institutionen beeinflusst. Und im Gegensatz zu sozialen Normen, Präferenzen und Kultur kann der Gesetzgeber die juristischen Normen und damit die Rahmenbedingungen direkt verändern.
Um welche Institutionen geht es? Die Klassiker sind das Ehegattensplitting, die beitragsfreie Familiensozialversicherung und die mittlerweile zwar verbesserte, aber immer noch nicht sehr gute Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen. Diese und andere Regelungen des deutschen Steuer- und Transfersystems führen teilweise zu marginalen Abgabenquoten von bis zu 100 Prozent für ZweitverdienerInnen oder Alleinerziehende (vgl. Bruckmeier et al. 2018) und reduzieren somit die Anreize, sich besser bezahlte Jobs zu suchen.
Aber es gibt noch weitere Baustellen. Insbesondere beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt es noch viel zu tun. Leider ist noch immer oft eine kinderfeindliche Unternehmenskultur vorzufinden, die nicht nur Frauen, sondern auch Männer diskriminiert, die familiäre Aufgaben übernehmen wollen. Auch die Flexibilität von Arbeitszeitmodellen kann verbessert werden, und Sitzungen von Geschäftsführungen müssen nicht erst nach Schließung der Kitas beginnen. Zwar hat der Gesetzgeber bei diesen Punkten keinen direkten Einfluss, aber durch entsprechende Reformen der staatlichen Institutionen kann er ein Zeichen setzen.
Wenn wir wirklich die Chancengerechtigkeit erhöhen, die Lohnlücke schließen und mehr Frauen in Führungspositionen bringen wollen, dann müssen wir die tieferliegenden Ursachen und nicht die Symptome bekämpfen, indem wir unsere Institutionen modernisieren und nicht weiter einem antiquierten Rollenbild folgen. Dann besteht auch die Chance, dass sich soziale Normen, individuelle Präferenzen sowie die Kultur in Unternehmen ändern. Will man wirklich eine Veränderung unserer gesellschaftlichen Strukturen erreichen, muss man Transparenz als Chance verstehen und nicht als notwendiges Übel. Aber über Geld redet man ja in Deutschland bekanntlich nicht.
Dabei ist der Weg zu einem modernen System einfach – schauen wir nur nach Frankreich oder auf unsere nordischen Nachbarn: Niedrige Grenzbelastung für Zweitverdiener durch mehr Individualbesteuerung (z.B. in Form eines Real- oder Familiensplittings), optimale Kinderbetreuung und Pflege, großzügige Mutterschutz- und Elternzeitregelungen, flexible Elternzeitmodelle, rechtliche Regelungen zur Unterbrechung der Erwerbstätigkeit sowie zur Telearbeit und noch vieles mehr. Doch solche Reformen muss man auch wollen. Hierfür ist der Gesetzgeber weiterhin gefordert!
Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?
- Seite 1 − Die Wirkung blieb bislang aus
- Seite 2 − 10 Prozent machten Gebrauch
- Seite 3 − Erklärung für Wirkungslosigkeit
- Seite 4 − Definition von Gleichwertigkeit
Über die Autoren