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William Davies: Die Geopolitik bremst das Wachstum
Nachdem die Aktienmärkte das Jahr 2023 mit einem Plus von 25 Prozent abgeschlossen hatten, rechnete zum Jahreswechsel vermutlich kaum jemand damit, dass die Kurse in diesem Jahr um weitere 20 Prozent steigen würden (S&P, Stand: September 2024). Die Aktienmärkte blicken auf einen außergewöhnlichen Lauf zurück, insbesondere in den USA. Warum? Die US-Wirtschaft zeigt eine solide Dynamik, die Jahresrate des BIP-Wachstums liegt seit dem dritten Quartal 2023 bei rund 3 Prozent. Gleichzeitig ist die Inflation kontinuierlich gesunken und lag nach 9 Prozent im Jahr 2022 und 3 Prozent Anfang 2024 zuletzt nur noch bei etwa 2,5 Prozent (US Federal Reserve, Stand: 16. Oktober 2024). Beides hat die Märkte gestützt.
Außerdem sind die Prognosen für das Gewinnwachstum der US-Unternehmen im Jahr 2025 mit rund 15 Prozent weiterhin optimistisch. Diese Resilienz ist durchaus etwas überraschend, da der Ausblick für die Weltwirtschaft zum Jahreswechsel 2024/25 nicht frei von Risiken ist.
Es bläst ein kräftiger Gegenwind
Die geopolitischen Risiken, die uns im Jahr 2024 beschäftigen, haben die Wirtschaft bislang nicht ausgebremst. Eine weitere Zuspitzung der verschiedenen Konflikte bleibt jedoch eine reale Möglichkeit. Der Krieg in der Ukraine dauert an, mit keinem Ende in Sicht. Im Nahen Osten scheint sich die Lage trotz zahlreicher Aufrufe zum Waffenstillstand zu verschärfen. Beide Konflikte sind vor allem menschliche Tragödien. Als Investmentmanager müssen wir jedoch auch ihre wirtschaftlichen Folgen betrachten. Kurzfristig ist eine erhöhte Volatilität ein echter Sorgenfaktor, langfristig hingegen das mögliche Wiederaufleben der Inflation, da beide direkte Auswirkungen auf Unternehmen haben könnten.
In den USA hat Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewonnen. Darüber hinaus haben seine Republikaner die Kontrolle über den Senat und das Repräsentantenhaus erlangt. Das wird es für Trumps Regierung sehr viel einfacher machen, ihre politischen Vorhaben umzusetzen. Mit Blick auf 2025 könnte dies niedrigere Steuern sowie weniger Regulierung bedeuten (wobei die Zölle steigen könnten) und Auswirkungen auf den internationalen Handel haben.
Der wirtschaftliche Nationalismus wird immer stärker. Zölle und Sanktionen haben in der Regel Vergeltungsmaßnahmen zur Folge, wodurch es zu einer Negativspirale kommen kann. Dieses Thema dürfte uns in den nächsten Jahren stärker beschäftigen.
Divergenzen auf dem Abwärtspfad
Viele globale Volkswirtschaften haben seit 2023 einen ähnlichen Inflationsschock erlebt. Im Spannungsfeld von Inflationsbekämpfung und Wachstumsförderung sind die Zentralbanken jedoch unterschiedlich vorgegangen.
Der klare Außenseiter ist die Bank of Japan, die ihren Leitzins im Juli 2024 um 25 Basispunkte (Bps) angehoben hat. Unter den Zentralbanken, die ihre Geldpolitik wieder lockern, hat die Europäische Zentralbank mit zwei aufeinanderfolgenden Zinssenkungen um jeweils 0,25 Prozent den Anfang gemacht. Angesichts des anhaltend starken Lohnwachstums in Großbritannien ist die Bank of England vorsichtiger vorgegangen und hat zwischen ihren beiden Zinssenkungen eine Pause eingelegt. Die US-Notenbank (Fed) hat hingegen die Zinswende etwas später eingeläutet, dafür aber mit einer aggressiven Senkung um 50 Bps, auf die im November eine weitere Lockerung um 25 Bps folgte (Grafik 1). Momentan sieht es danach aus, dass es der Fed gelungen ist, eine „weiche Landung“ der US-Wirtschaft herbeizuführen. Noch blickt jedoch alles auf den Arbeitsmarkt, der sich zuletzt eingetrübt hat.
Grafik 1: Die Zinsen sinken, aber unterschiedlich schnell
Angesichts der Tatsache, dass die Gesamtinflation und die Kerninflation in den USA auf etwa 2,5 Prozent bzw. gut 3 Prozent gesunken sind (und sich anderswo auf einem ähnlichen Niveau bewegen), glauben wir jedoch nicht, dass die Zinsen so stark sinken werden, wie viele meinen. In jedem Fall dürften die Zinsen höher bleiben, als sie es in den 2010er-Jahren waren (Grafik 2). Diese Entwicklung wird Auswirkungen für Anleger und ihre Portfoliopositionierung haben.
Grafik 2: Der Inflationsschock ist – vorerst – ausgestanden