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Die USA sind Europa einen Schritt voraus

Die USA überraschen ein ums andere Mal. Im dritten Quartal ist dort die Wirtschaft laut GDP Now, einer Prognose der Atlanta Fed, um sage und schreibe real 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen. Offensichtlich haben die Amerikaner immer noch reichlich Geld in der Tasche, sodass sie weiter auf einem hohen Niveau konsumieren können. Zum Vergleich: Die Kommission der Europäischen Union hat ihre Wachstumsprognose für 2023 seit Sommer von ursprünglich 1,0 Prozent auf nur noch 0,8 Prozent gesenkt.
US-amerikanisches Wirtschaftswachstum derzeit nicht aus dem Tritt zu bringen
Zwar gibt es auch in den USA durchaus negative Entwicklungen. Die Zahl der neu geschaffenen Stellen außerhalb der Landwirtschaft hat im September mit 337.000 klar die Prognose von 170.000 übertroffen. Das könnte aber daran liegen, dass immer mehr Amerikaner einen zweiten Job brauchen, um ihren Lebensstandard zu finanzieren. Darauf weisen zumindest die mittlerweile stagnierenden Löhne hin.
Dennoch sieht eine Rezession anders aus. Diese ist in den Vereinigten Staaten frühestens im zweiten oder dritten Quartal des kommenden Jahres zu erwarten, wenn überhaupt. Derzeit bräuchte es wohl einen exogenen Schock, um das amerikanische Wirtschaftswachstum aus dem Tritt zu bringen. Dafür käme beispielsweise ein Shutdown des amerikanischen Staates infrage.
Im Haushaltsstreit zwischen den regierenden Demokraten und den oppositionellen Republikanern gab es zuletzt nur eine Einigung auf einen Übergangshaushalt. Ob aber eine Blockade durch Ex-Präsident Donald Trump und Co. bei der Bevölkerung gut ankäme, scheint zumindest fraglich. Im kommenden Jahr finden in den USA bekannterweise Präsidentschaftswahlen statt.
Inflation könnte wieder sinken
Gleichzeitig kann die amerikanische Notenbank Fed bei der Bekämpfung der Geldentwertung mittlerweile durchaus Erfolge vorweisen. Zwar sind die Verbraucherpreise im August mit 3,7 Prozent wieder etwas stärker gestiegen als in den beiden Vormonaten. Doch dies lag maßgeblich am höheren Ölpreis, den die Fed kaum beeinflussen kann. Die Sorte WTI hat sich jedoch seit dem bislang letzten Hoch Ende September wieder um rund zehn Prozent verbilligt und notiert derzeit etwas tiefer als vor einem Jahr. Wenn der Ölpreis nicht mehr inflatorisch, sondern neutral oder sogar deflatorisch wirkt, dürfte bei der Geldentwertung Entwarnung angesagt sein.
Vor diesem Hintergrund ist es durchaus möglich, dass die Fed entgegen den derzeitigen Erwartungen der Marktteilnehmer doch eine längere Zinspause einlegt. Sollte sie dennoch auf ihrer nächsten Sitzung am 1. November noch einmal die Leitzinsen um einen viertel Punkt erhöhen, dürfte es sich dabei um den letzten Schritt im derzeitigen Zinszyklus handeln. Aktuell sieht es in den USA nach dem gewünschten „soft landing“ aus, also einem Rückgang der Inflation und damit der Zinsen bei einem anhaltenden Wirtschaftswachstum.
Europa hinkt hinterher
Die Entwicklung verläuft in Europa zeitlich nach hinten versetzt, was nicht ungewöhnlich ist. Die Inflation belief sich hier zuletzt noch auf 5,3 Prozent. Und die EZB befindet sich noch mitten in ihrem Zinserhöhungsmodus. Vereinfacht ausgedrückt fährt EZB-Präsidentin Christine Lagarde per Autopilot und macht genau das, was Fed-Chef Jerome Powell vor einem halben Jahr gemacht hat.
Doch es wäre wünschenswert und auch sinnvoll, wenn Lagarde auf Handsteuerung umschaltet und nicht weiter an der Zinsschraube drehen würde. Denn wie in den USA kommen auch hier die Leitzinserhöhungen mit einem zeitlichen Verzug von mindestens neun Monaten in der Realwirtschaft an, was eine weiter sinkende Inflation erwarten lässt. Außerdem droht die EZB mit einer weiteren Verschärfung ihrer Geldpolitik Europa in eine Rezession zu treiben.
Favoritenwechsel in Aussicht
Unterm Strich lassen die derzeitigen Rahmenbedingungen in den kommenden Wochen eher festere Aktienmärkte erwarten. Auch wenn der Start im Oktober schwach verlief, zählt das vierte Quartal erfahrungsgemäß eher zu den besseren Börsenphasen. Wie so häufig dürfte wieder einmal die Wall Street den Takt vorgeben.
In den zurückliegenden Monaten haben hier die sogenannten „Magnificent Seven“, also die sieben großen Technologiekonzerne, den S&P 500 nach oben getrieben. Die restlichen 493 Titel haben sich mehr oder weniger nur seitwärts entwickelt. Jetzt könnte es aber zu einem Favoritenwechsel kommen. Wenn die Zinsen tatsächlich ihren Peak erreicht haben und wieder zurückkommen, könnten die Verlierer der vergangenen Monate wieder interessant werden.
Dazu zählen vor allem die Versorger und die Hersteller von Basiskonsumgütern. Das Geschäft der Versorger gilt als kapitalintensiv. Dementsprechend hoch verschuldet sind sie, was in Zeiten hoher Zinsen Anleger abschreckt. Bei Coca-Cola, Pepsi und Co. konnten dagegen die Dividendenrenditen in letzter Zeit nicht mit den Zinsen von amerikanischen Staatsanleihen mithalten. Beide Branchen sollten von wieder sinkenden Zinsen spürbar profitieren.
Über den Autor:
Michael Wittek leitet das Portfoliomanagement bei Albrecht, Kitta & Co. und ist für die Anlegestrategie der Vermögensverwaltung verantwortlich.