Absturz oder Koma Wie gefährlich die explodierenden US-Schulden für Anleger werden können
Auch nach dem Rückzug Joe Bidens noch immer den riesigen US-Schuldenberg im US-Wahlkampf nahezu komplett auszublenden, ist keine clevere Idee, meint Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management: „Das Congressional Budget Office schätzt im aktuellen Sommergutachten, dass die Netto-Verschuldung bis 2034 bei unveränderter Fiskalpolitik auf 122 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) steigen wird.“ Damit wäre die Verschuldung der USA innerhalb von 30 Jahren um 90 Prozentpunkte nach oben geklettert und könnte sogar noch weiter ansteigen, wenn die während der Regierung Trump verabschiedeten Steuergeschenke nächstes Jahr verlängert würden.
Beunruhigende Aussichten
„Die Lage wird sich wahrscheinlich so lange verschlechtern, bis eines Tages die Schulden in einem Umfeld normalen Wachstums, normaler Inflation und normaler Zinssätze nicht mehr bedient werden können“, so Galler weiter.
Die Finanzmärkte spiegeln das noch nicht wider, Aktienindizes wie der S&P 500 springen von einem Allzeithoch zum nächsten, während die Renditen auf den Rentenmärkten kaum zulegen. „Die exzessive Ausgabenpolitik in den USA kann über den Hebel der Währung jedoch zahlreiche Krisen in der ganzen Welt auslösen“, warnt Galler.
„Ohne einschneidende Maßnahmen keine Reduzierung des Defizits“
Aber warum reagieren die Märkte so wenig auf die hohen Schuldenniveaus? Für den JPM-Experten liegt der Hauptgrund darin, dass der bisherige Anstieg der Zinszahlungen auf die höheren Zinsen zurückzuführen ist und nicht auf das Wachstum der Schulden selbst: „Sollte die Wirtschaft in eine Rezession geraten oder die Fed aufgrund einer Krise beschließen, die kurzfristigen Zinsen drastisch zu senken und die quantitative Lockerung wieder aufzunehmen, könnten diese Zinskosten sogar schnell deutlich sinken.“
Für langfristige Anleger sei der Schuldenanstieg dennoch wichtig: „Das größte Risiko im Zusammenhang mit der Staatsverschuldung besteht darin, dass es der Politik schwerfällt, sich mit diesem Thema auf eine rationale Art und Weise auseinanderzusetzen. Schon ein flüchtiger Blick auf den US-Haushalt 2024 macht deutlich, dass ohne Ausgabenkürzung, ohne Steuererhöhungen oder eine Mischung dieser Maßnahmen keine echten Fortschritte beim Defizit erzielt werden können“, so Galler.
Sturzflug oder Koma
Und weiter: „Bei einer Verschlechterung der Situation stehen der Regierung nur zwei Manöver zur Verfügung, die sich martialisch als argentinischer Sturzflug oder japanisches Koma bezeichnen lassen.“ Im Rahmen der ersten Option könnten sich die Regierung und die Notenbank Galler zufolge verschwören, um die Inflation auf ein Niveau zu heben, das den Wert der Schulden im Verhältnis zum nominalen BIP deutlich reduziert: „Das Risiko dabei besteht darin, dass die Zinssätze in die Höhe schnellen würden, was das Problem der Fremdfinanzierung verschärfen und gleichzeitig zu einem Zusammenbruch der Wirtschaft und der Währung führen könnte.“
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Bei der zweiten Strategie könnte ein gebremstes Wirtschaftswachstum bewirken, dass „Inflation und Zinsen auf einem sehr niedrigen Niveau bleiben, wie es etwa in Japan während des Großteils der letzten 30 Jahre der Fall war. Dies hätte jedoch negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Währung.“
Das Ausblenden des Themas führt in einen Teufelskreis
Diese langfristigen Risiken hätten den Wählern allerdings weder Politiker noch Medien jemals ausreichend erklärt: „Das Interesse, Politiker zu wählen, die bereit sind, diese schwierigen Entscheidungen zu treffen, ist entsprechend niedrig.“ Denn die hohe Staatsverschuldung werde nach der jüngsten Umfrage gerade einmal von fünf Prozent der Wähler als eines der wichtigsten Themen bei der Präsidentschaftswahl gesehen.
Die aktuelle Sorglosigkeit der Finanzmärkte über die Risiken der US-Verschuldungspolitik kann zu einem bösen Erwachen führen
Das allein klingt schon fatal. Aber das Defizit kann auch schnell weiter zulegen. „Sollten nach der US-Wahl die Steuergeschenke der ersten Regierung Trump verlängert werden, kämen jedoch fünf Billionen US-Dollar Mehrkosten für den Haushalt hinzu, was die US-Schuldenquote auf 133 Prozent zum BIP hochschnellen ließe“, erklärt Galler.
„Die aktuelle Sorglosigkeit der Finanzmärkte über die Risiken der US-Verschuldungspolitik kann zu einem bösen Erwachen führen, sobald die steigende Staatsverschuldung zunehmend Auswirkungen auf die Finanzierungskosten habe.“ Die Notwendigkeit, jährliche Defizite von 2 Billionen US-Dollar zu finanzieren, verhinderten Galler zufolge bereits jetzt einen nachhaltigen Rückgang der Renditen: „Ein längerfristig höheres US-Zinsniveau würde zu einer weiteren Aufwertung des bereits sehr teuren US-Dollars führen. Für zahlreiche Emerging Marktes beispielsweise sind hohe US-Zinsen und ein starker US-Dollar schlechte Nachrichten.“ Die US-Ausgabenpolitik könnte auf diese Weise weltweit für Turbulenzen sorgen, was Anleger sich bewusst machen sollten.