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Jan Viebig: „Die USA leben mit einem gefährlichen Zwillingsdefizit“ (Interview)

DAS INVESTMENT: Die US-Schuldenquote ist auf rund 120 Prozent des BIP angestiegen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung im historischen Kontext?
Jan Viebig: Dieses Niveau hatten wir zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals ist die Quote dann relativ stark gefallen. Mit Ronald Reagan begann der dramatische Wiederanstieg – mit einer kurzen Ausnahme unter Bill Clinton. Dieser hatte damals sogar davon geträumt, die USA könnten schuldenfrei werden. Heute liegen wir bei 123 Prozent.
Welche Folgen hat eine solch hohe Verschuldung?
Viebig: Diese enorme Verschuldung hat drei wesentliche Auswirkungen: Erstens ist der Staat in seiner Fiskalpolitik massiv eingeschränkt. Er kann bestimmte Programme schlicht nicht mehr durchführen. Das haben wir in der Griechenland-Krise gesehen: Nicht nur die Finanzmärkte leiden, sondern auch ganz normale Menschen. Sozialleistungen werden gestrichen, Bildungsprogramme eingeschränkt – viele notwendige Dinge fallen weg. Zweitens steigen die Laufzeitprämien, weil Anleger für das höhere Risiko langfristig eine deutlich höhere Rendite verlangen. Und drittens – das ist der umstrittenste Punkt – führt eine derart hohe Verschuldung irgendwann zu deutlich niedrigerem Wirtschaftswachstum.
Ab wann ist dieser Punkt erreicht, dass eine hohe Verschuldung zu niedrigerem Wirtschaftswachstum führt?
Viebig: Die bekannten Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff von der Harvard University haben in ihrer viel diskutierten Studie eine Schwelle von 90 Prozent identifiziert. Ab diesem Niveau beginnt das Wachstum deutlich zurückzugehen. Natürlich wurde diese These auch kritisiert, aber der grundsätzliche Zusammenhang ist unbestritten: Wenn Staaten sehr hoch verschuldet sind, wird das Wachstum schwächer. Das sehen wir aktuell auch in Frankreich, wo man verzweifelt versucht, wenigstens das Defizit von 6 auf 5 Prozent zu drücken – weit entfernt vom Maastricht-Ziel von 3 Prozent.
Wie ist es in den USA denn überhaupt zu dieser Situation gekommen?
Viebig: Die Amerikaner haben schlicht über ihre Verhältnisse gelebt. Das zeigt sich sowohl in der Handelsbilanz als auch in der Verschuldungsquote. Sie haben jahrelang viel mehr importiert als exportiert, also zu wenig gespart. Das führt zu einer toxischen Kombination aus hoher Staatsverschuldung und chronischem Handelsbilanzdefizit. Die USA leben quasi mit einem gefährlichen Zwillingsdefizit.
Besteht denn mit Trump als Präsident eine Chance, dass die Schulden gesenkt werden können?
Viebig: Selbst nach den optimistischsten Prognosen des Weißen Hauses würde die Schuldenquote bis 2034 auf 137 Prozent steigen. Trump hat in seinem Wahlkampf sogar Mehrausgaben von 7 Billionen Dollar in den nächsten zehn Jahren versprochen. Gleichzeitig will er die Unternehmenssteuern von 21 auf 15 Prozent senken. Wenn er das tatsächlich umsetzt, würde die Verschuldung regelrecht explodieren.
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DAS INVESTMENT: Die US-Schuldenquote ist auf rund 120 Prozent des BIP angestiegen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung im historischen Kontext?
Jan Viebig: Dieses Niveau hatten wir zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals ist die Quote dann relativ stark gefallen. Mit Ronald Reagan begann der dramatische Wiederanstieg – mit einer kurzen Ausnahme unter Bill Clinton. Dieser hatte damals sogar davon geträumt, die USA könnten schuldenfrei werden. Heute liegen wir bei 123 Prozent.
Welche Folgen hat eine solch hohe Verschuldung?
Viebig: Diese enorme Verschuldung hat drei wesentliche Auswirkungen: Erstens ist der Staat in seiner Fiskalpolitik massiv eingeschränkt. Er kann bestimmte Programme schlicht nicht mehr durchführen. Das haben wir in der Griechenland-Krise gesehen: Nicht nur die Finanzmärkte leiden, sondern auch ganz normale Menschen. Sozialleistungen werden gestrichen, Bildungsprogramme eingeschränkt – viele notwendige Dinge fallen weg. Zweitens steigen die Laufzeitprämien, weil Anleger für das höhere Risiko langfristig eine deutlich höhere Rendite verlangen. Und drittens – das ist der umstrittenste Punkt – führt eine derart hohe Verschuldung irgendwann zu deutlich niedrigerem Wirtschaftswachstum.
Ab wann ist dieser Punkt erreicht, dass eine hohe Verschuldung zu niedrigerem Wirtschaftswachstum führt?
Viebig: Die bekannten Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff von der Harvard University haben in ihrer viel diskutierten Studie eine Schwelle von 90 Prozent identifiziert. Ab diesem Niveau beginnt das Wachstum deutlich zurückzugehen. Natürlich wurde diese These auch kritisiert, aber der grundsätzliche Zusammenhang ist unbestritten: Wenn Staaten sehr hoch verschuldet sind, wird das Wachstum schwächer. Das sehen wir aktuell auch in Frankreich, wo man verzweifelt versucht, wenigstens das Defizit von 6 auf 5 Prozent zu drücken – weit entfernt vom Maastricht-Ziel von 3 Prozent.
Wie ist es in den USA denn überhaupt zu dieser Situation gekommen?
Viebig: Die Amerikaner haben schlicht über ihre Verhältnisse gelebt. Das zeigt sich sowohl in der Handelsbilanz als auch in der Verschuldungsquote. Sie haben jahrelang viel mehr importiert als exportiert, also zu wenig gespart. Das führt zu einer toxischen Kombination aus hoher Staatsverschuldung und chronischem Handelsbilanzdefizit. Die USA leben quasi mit einem gefährlichen Zwillingsdefizit.
Besteht denn mit Trump als Präsident eine Chance, dass die Schulden gesenkt werden können?
Viebig: Selbst nach den optimistischsten Prognosen des Weißen Hauses würde die Schuldenquote bis 2034 auf 137 Prozent steigen. Trump hat in seinem Wahlkampf sogar Mehrausgaben von 7 Billionen Dollar in den nächsten zehn Jahren versprochen. Gleichzeitig will er die Unternehmenssteuern von 21 auf 15 Prozent senken. Wenn er das tatsächlich umsetzt, würde die Verschuldung regelrecht explodieren.
Trumps Argument ist, dass er durch Zölle deutlich mehr Einnahmen generieren kann…
Viebig: Das ist leider ein Trugschluss. Trump argumentiert, dass er durch Zölle Milliarden oder sogar Billionen an Einnahmen generieren könnte. Das stimmt aber nicht. Ein Zoll ist letztlich nichts anderes als eine Steuer auf den Konsumenten. Wenn Walmart Güter importiert und Zoll zahlen muss, gibt das Unternehmen diese Kosten eins zu eins an die Verbraucher weiter. Außerdem werden die Menschen ihr Konsumverhalten anpassen und bestimmte Produkte nicht mehr kaufen. Es ist völlig unrealistisch, dass er dadurch die versprochenen Einnahmen generieren kann. Die Finanzmärkte preisen das bereits ein: Die Zinsstrukturkurve wird steiler, die Laufzeitprämien steigen.
Welche konkreten Auswirkungen hätten die angedrohten Zölle auf die Inflation?
Viebig: Wenn Trump tatsächlich 60 Prozent Zölle auf chinesische und 20 Prozent auf europäische Waren erheben würde, würde die Inflation in den USA um etwa 1,8 Prozent steigen. Aber das ist nur die halbe Geschichte: Die anderen Länder würden mit Gegenzöllen reagieren. Noch gravierender wären die Auswirkungen auf die Lieferketten. China könnte beispielsweise die Lieferung strategisch wichtiger Güter wie seltene Erden einschränken. Das würde zu sprunghaften Preisanstiegen führen.
Halten Sie solch drastische Zölle für realistisch?
Viebig: Wir erwarten nicht, dass es zu 60 Prozent Zöllen auf chinesische Güter kommt. Auch gegen europäische Güter werden die Zölle wahrscheinlich moderater ausfallen – es wäre schlicht nicht im Interesse der USA. Aber selbst moderate Zölle werden die Inflation antreiben, vermutlich um ein halbes Prozent oder mehr. Dazu kommt: Wenn Trump, wie angekündigt, Millionen von ausländischen Arbeitskräften aus der Landwirtschaft verbannen würde, würden auch dort die Kosten steigen.
Das würde den Druck auf die Fed noch mehr erhöhen – und der ist momentan ja schon sehr hoch.
Viebig: Der Druck auf Fed-Chef Jerome Powell ist bereits jetzt enorm. Trump sagt ganz unverblümt, dass er glaubt, der Präsident solle über die Zinspolitik entscheiden. Er behauptet sogar, sein Bauchgefühl sei besser als die Entscheidungen der Fed. Powells Amtszeit läuft noch bis 2026, aber Trump versucht schon jetzt, Einfluss auf die Nachfolge zu nehmen. Das erinnert an die 1970er Jahre, als Präsident Nixon massiven Druck auf Fed-Chef Arthur Burns ausübte. Damals hätte die Fed die Zinsen wegen der hohen Inflation eigentlich anheben müssen, tat es aber nicht. Das Ergebnis war desaströs.
Könnte sich so etwas wiederholen?
Viebig: Die Gefahr ist real. Bisher hält Powell dem Druck stand. Aber wenn Trump die Mehrheit im Kongress hat, könnte er versuchen, das Notenbankgesetz zu ändern. Stellen Sie sich vor: Eine sehr hohe Verschuldung kombiniert mit einer Fed, die ihre Glaubwürdigkeit in der Inflationsbekämpfung verliert – das wäre ein echtes Horror-Szenario für die Märkte.
Die 30-jährigen Renditen liegen aktuell bei knapp 4,5 Prozent. Ab wann würden Sie von einer kritischen Risikoprämie sprechen?
Viebig: Das größte Risiko ist, dass die langfristigen Zinsen stärker steigen könnten, als der Markt erwartet. Ich glaube derzeit zwar nicht, dass die zehnjährigen Zinsen in den USA dieses Jahr deutlich über 5 Prozent steigen werden. Aber wenn wir bei den Zehnjährigen Richtung 6 Prozent gehen würden, hätten wir ein massives Problem. Wie gravierend die Verschuldung ist, die zu steigenden Laufzeitprämien führt, sieht man an den Zinszahlungen der USA. Die Zinslast der USA wird in den nächsten Jahren angesichts steigender Schulden und gestiegener Zinsen die kompletten Militärausgaben der größten Weltmacht übersteigen.
Was bedeutet das für Anleger? Wie sollten sie sich im Anleihenmarkt positionieren?
Viebig: Wir raten derzeit klar zu Unternehmensanleihen statt Staatsanleihen. Bei der Auswahl muss man natürlich genau auf die Verschuldung der Unternehmen achten. Ein wichtiger Indikator ist der Zinsdeckungsgrad: Wie oft kann ein Unternehmen aus dem operativen Gewinn seine Zinsen bezahlen? Diese Zahlen sind aktuell relativ gut. Deshalb macht es mehr Sinn, in solide Unternehmensanleihen zu investieren als in Staatsanleihen, die ein sehr hohes Inflations- und Zinsänderungsrisiko tragen.
Gilt das sowohl für Investment Grade als auch für High Yield?
Viebig: Die Spreads sind sehr eng geworden, weil auch High-Yield-Anleihen stark gestiegen sind. Kurzlaufende High-Yield-Anleihen können durchaus interessant sein. Aber für die meisten Anleger, die regelmäßige Zahlungseingänge suchen und kein übermäßiges Risiko eingehen wollen, sind Investment-Grade-Unternehmensanleihen die bessere Wahl. Von Fremdwährungsanleihen würde ich aufgrund des hohen Risikos derzeit eher abraten.
Trump will mit seinen Zöllen auch das Handelsbilanzdefizit reduzieren. Kann das funktionieren?
Viebig: Das ist ein fundamentaler Irrtum. Es gibt in der Ökonomie eine einfache Gleichung: Ein Staat kann sein Handelsbilanzdefizit nur dann senken, wenn seine Bürger weniger konsumieren oder mehr sparen. Handelsbeschränkungen ändern daran nichts. Im Gegenteil: Sie schaden beiden Seiten, aber den Handelspartnern der USA deutlich mehr. Studien zeigen, dass das BIP in Mexiko um 3 Prozent einbrechen könnte, während es in den USA nur um 0,2 bis 0,3 Prozent zurückgehen würde. Die USA sind eben eine relativ geschlossene Volkswirtschaft.
Bis auf die Automobilhersteller – die würden Zölle vermutlich doch sehr treffen.
Viebig: Absolut. Das war in den letzten Tagen ein großer Streitpunkt. Die Autoindustrie hat massiv lobbyiert, um von den Zöllen ausgenommen zu werden. Und das aus gutem Grund: Viele Bauteile überqueren die Grenze zwischen Mexiko und den USA mehrfach während des Produktionsprozesses. Wenn jedes Mal Zölle fällig würden, wäre das ein logistischer und finanzieller Albtraum. Überraschenderweise hat Trump bisher nur für kanadisches Öl eine Ausnahme mit einem reduzierten Zoll von 10 Prozent angekündigt. Das hat selbst in seiner eigenen Regierung für Verwirrung gesorgt.
Wie erklären Sie sich das wieder aufkommende Interesse an protektionistischen Maßnahmen?
Viebig: Das hat viel mit den Erfahrungen seit Chinas WTO-Beitritt 2001 zu tun. Damals gab es schon kritische Stimmen wie Robert Lighthizer, Trumps späteren Handelsbeauftragten. Auf dem Gütermarkt profitierten die USA zunächst von billigen Importen. Aber am Arbeitsmarkt waren die Folgen verheerend: Ganze Industriezweige, etwa die Möbelindustrie in den ländlichen Regionen, wurden praktisch über Nacht ausradiert. Die Arbeitslosigkeit stieg massiv. Das erklärt teilweise, warum viele Menschen für Trump stimmen – sie hoffen auf den Schutz ihrer Arbeitsplätze.
Zum Abschluss noch ein positiverer Ausblick: Sie sehen in der KI-Innovation eine Chance für die Märkte. Warum?
Viebig: Die künstliche Intelligenz entwickelt sich gerade zu einem echten Gamechanger. Was wir heute sehen, ist, dass Computer aus Daten lernen können – so wie Menschen aus Erfahrungen. Deepseek, ein chinesisches KI-Startup hat jüngst für erhebliche Verunsicherung und zu einem zweistelligen Kursrückgang von Nvidia und anderen Halbleiteraktien geführt.
Ich glaube hingegen, dass billigere KI-Modelle zu einem wahren KI-Boom führen können. Der Ökonom William Stanley Jevons hat anhand des Jevons Paradoxons gezeigt, dass Effizienzsteigerungen zu einer breiteren Nutzung einer Ressource führen können. Er hat im 19ten Jahrhundert gezeigt, dass effizientere Dampfmaschinen zwar anfänglich zu einem Fall des Kohlepreises geführt haben. Die preiswertere Kohle wurde dann aber breiter in der Industrie genutzt. So wird es bei der KI wohl auch sein: Preiswertere KI-Modelle machen sie attraktiver und werden zu einer massenhaften Nutzung der KI führen.
Und bei KI erwarten Sie einen ähnlichen Effekt?
Viebig: Genau das. Wenn KI-Anwendungen günstiger werden, wird die Nachfrage exponentiell steigen. Statt einmal am Tag werden Menschen diese Technologie dann fünf-, sechs-, siebenmal täglich nutzen. Das bedeutet auch, dass sich KI viel schneller in der Wirtschaft durchsetzen wird, als bisher angenommen. Besonders spannend ist das für kleinere und mittlere Unternehmen: Sie können dann KI nutzen, um ihre Prozesse effizienter zu gestalten – Investitionen, die sich heute noch nicht rechnen würden.
Könnte das auch Europas Produktivitätsproblem lösen?
Viebig: Das ist einer der Hoffnungsschimmer. Es gibt im Grunde nur zwei Wege, wie ein Land reicher werden kann: Entweder arbeiten mehr Menschen, oder die Produktivität steigt. In Europa, besonders in Deutschland, wächst die Produktivität seit den 1990er Jahren viel langsamer als in den USA. KI könnte hier tatsächlich einen wichtigen Beitrag zur Lösung leisten. Das wäre nicht nur gut für die Unternehmen, sondern für den gesamten Wirtschaftsstandort.



